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Immerhin bot dasselbe nur eine unzulängliche Nahrung, doch sollte man sich am nächsten Tage, Dank Vetter Benedict, dafür entschädigen.

Seit der Auffindung des Hexapodus Benedictus, der seinen Namen verewigen sollte, hatte der würdige Gelehrte die früheren kleinen Streifzüge wieder begonnen. Nachdem das Insect sicher verwahrt, d.h. am Hute sorgfältig angespießt war, ging Vetter Benedict, wenn das Boot anlegte, wieder »auf die Suche«. Da, als er genannten Tages durch das hohe Gras watete, flog ein Vogel auf, dessen Gezwitscher seine Aufmerksamkeit erregte.

Schon wollte Dick Sand auf denselben feuern, als Vetter Benedict ausrief:

»Nicht schießen, Dick, nicht schießen! Ein Vogel für Fünf wäre doch zu wenig!

– Für Jack reicht er doch, antwortete Dick Sand, indem er nochmals auf den Vogel anlegte, der gar nicht an’s Entfliehen dachte.

– Nein, nein! wiederholte Vetter Benedict. Schießt nicht! Das ist ein Wegweiser; durch ihn werden wir Honig in Ueberfluß finden!«

Dick Sand senkte das Gewehr, da ihm auch nur wenige Pfunde Honig werthvoller erschienen als ein Vogel, und bereitete sich, nebst Vetter Benedict, dem Wegweiser zu folgen, der, von Zeit zu Zeit fortfliegend und anhaltend, sie einzuladen schien, ihn zu begleiten.

Sie hatten nicht weit zu gehen, denn schon nach wenig Minuten sahen sie, von Euphorbien versteckt und von Millionen Bienen umsummt, einige alte Baumstümpfe vor sich.

Vetter Benedict hätte diesen fleißigen Hymenopteren »die Frucht ihrer Arbeit« – wie er sich ausdrückte – am liebsten gar nicht geraubt. Dick Sand war freilich anderer Meinung. Er räucherte die Bienen durch Entzündung trockener Kräuter aus und bemächtigte sich einer gehörigen Menge vorzüglichen Honigs. Die Wachszellen wurden dem Wegweiser als ihm gebührender Beuteantheil überlassen, dann kehrten Beide eiligst nach ihrer schwimmenden Wohnung zurück.

Der Honig wurde mit Freuden empfangen; bei seiner für fünf Personen aber immerhin nicht übermäßigen Menge hätten doch Alle bald grausamen Hunger leiden müssen, wenn die Pirogue am 12. Juli nicht in einer kleinen Bucht gehalten hätte, neben der es von Heuschrecken geradezu wimmelte. Myriadenweise bedeckten sie in doppelter und dreifacher Lage den Boden wie die Gebüsche. Da nun Vetter Benedict schon früher mitgetheilt hatte, daß die Eingebornen sich nicht selten allein von diesen Orthopteren sättigen – was auch in der That der Fall ist – so griff man herzhaft zu. Wohl zehnmal hätte man das Boot mit Heuschrecken beladen können, die, bei mäßigem Feuer geröstet, auch minder hungrigen Leuten noch gut gemundet hätten. Vetter Benedict seinerseits verzehrte eine erstaunliche Menge; er seufzte zwar dabei – aber er aß sie doch.

Nichtsdestoweniger wurde es nun hohe Zeit, daß diese lange Reihe moralischer und physischer Prüfungen ein Ende nahm. Obwohl das Hinabfahren auf dem schnellen Flusse nicht im Mindesten so ermüdend war, als die erste Wanderung durch die Wälder, so machten doch die unausstehliche Hitze des Tages, die feuchten Dünste der Nacht und die unaufhörlichen Belästigungen durch Muskitos die Fahrt auf dem Wasser zu einer sehr aufreibenden Reise. Nun mußte man bald ankommen, doch konnte Dick Sand unmöglich den Zeitpunkt angeben, wann das nächste Ziel erreicht sein würde. Bei strenger Richtung des Flusses nach Westen mußte die Gesellschaft sich jetzt wohl schon an der Nordküste Angolas befinden, da er aber im Ganzen mehr nach Norden strömte, konnte es lange dauern, bevor er das Meer erreichte.

Dick Sand’s Unruhe nahm immer mehr zu, als er plötzlich, am Morgen des 14. Juli, sah, daß sich die Stromrichtung änderte.

Der kleine Jack stand im Vordertheil des Bootes und guckte durch die Zweigwand, wobei er am Horizonte eine ausgedehnte Wasserfläche entdeckte.

»Das Meer, das Meer!« rief er.

Wie klopfte Dick Sand bei diesen Worten das Herz, während er auf den Knaben zuging.

»Das Meer! sagte er, leider noch nicht, wohl aber ein Strom, der nach Westen zu fließt und von dem dieser Fluß nur einen Nebenarm darstellt. Vielleicht ist es der Zaïre selbst!

– Gott geb’ es!« seufzte Mrs. Weldon.

Ja, wenn das der Zaire oder Congo war, den Stanley wenige Jahre später näher erforschte, so brauchte man nur noch seinen Lauf hinabzufahren, um die portugiesischen Ansiedelungen an dessen Mündung zu erreichen. Dick Sand hoffte, daß es so sei, und hatte verschiedene Gründe für diese Annahme.

Während des 15., 16., 17. und 18. Juli glitt das Fahrzeug durch die jetzt minder unfruchtbare Landschaft auf den silbernen Wellen des Stromes hinab. Immer beobachtete man die nämlichen Vorsichtsmaßregeln und immer erschien das nur wie ein Haufen Gezweig und Laubwerk, was die Strömung mit sich zum Meere führte.

Nach wenig Tagen sollten die Ueberlebenden des »Pilgrim« allem Anscheine nach das Ende ihrer Leiden begrüßen. Dann konnte eines Jeden Antheil an der Rettung beurtheilt werden, und wenn der junge Leichtmatrose gewiß für sich nicht selbst den größten Antheil beanspruchte, so war doch Mrs. Weldon da, die denselben für ihn in Anspruch nahm.

Da ereignete sich aber in der Nacht des 18. Juli ein Zwischenfall, der die Rettung Aller in Frage stellte.

Gegen drei Uhr Morgens ließ sich im Westen ein entferntes, anfangs nur sehr dumpfes Geräusch vernehmen. Dick Sand wünschte aus ängstlicher Vorsicht die Ursache desselben zu erfahren. Während Mrs. Weldon, Jack und Vetter Benedict ruhig in der Mitte des Bootes schlummerten, rief er Herkules herzu und empfahl ihm, mit größter Aufmerksamkeit zu horchen.

Die Nacht war still. Kein Hauch bewegte die Atmosphäre.

»Das ist das Rauschen des Meeres! meinte Herkules, dessen Augen vor Freude glänzten.

– Nein, das nicht, antwortete Dick Sand kopfschüttelnd.

– Und was wäre es sonst? fragte Herkules.

– Warten wir den Tag ab, aber laßt uns strengstens wachen!«

Herkules kehrte wieder auf seinen Posten zurück.

Dick Sand blieb am Vordertheile. Er lauschte noch immer. Das Geräusch nahm zu. Bald nahm es den Charakter eines fernen Rauschens an.

Der Tag erschien, fast ohne vermittelnde Dämmerung. Nach vorwärts und scheinbar unterhalb des Flusses schwebte eine Art Wolke in der Luft. Daß dieselbe nicht aus wirklichen Dünsten bestand, wurde durch das Auftreten eines von einem Ufer zum anderen reichenden, farbenschillernden Regenbogens bewiesen, sobald die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolken blitzten.

»An’s Ufer! rief Dick Sand, dessen Stimme auch Mrs. Weldon erweckte. Dort ist ein Wasserfall! Jene Wolken bestehen nur aus zerstäubtem Wasser. An’s Ufer, Herkules!«

Dick Sand irrte nicht. Vor ihnen bildete das Flußbett einen über 30 Meter hohen Abhang, in den sich das Wasser mit majestätischer, aber unwiderstehlicher Gewalt hinunterstürzte.

Noch eine halbe Meile, und das Boot wäre rettungslos in den tosenden Schlund hineingezogen worden.

Neunzehntes Capitel.

S. V.

Durch einen kräftigen Ruderschlag hatte sich Herkules dem linken Ufer genähert. An dieser Stelle war die Strömung noch nicht beschleunigt, da das Bett des Flusses seine normale Neigung bis dicht an die Fälle einhielt. Dort erst schwand ihm sozusagen plötzlich der Boden, so daß sich ein stärkerer Zug des Wassers erst anderthalb bis zweihundert Schritte von dem Katarakte fühlbar machte.