»Winston, dieser Tausch ist eine Katastrophe! Wir müssen unbedingt wieder zurücktauschen! So schnell wie möglich – ehrlich! Ich kann doch nicht den Rest meines Lebens eine Katze bleiben!«
»Tja, ich wäre auch gern so schnell wie möglich wieder ein Vierbeiner«, stimme ich ihr zu. »Nur – wie wollen wir das machen? Ich habe das ungute Gefühl, dass das nicht so einfach wird.«
»Vielleicht müssen wir noch mal vom Blitz getroffen werden und uns dann wünschen, dass alles wieder beim Alten ist?«, schlägt Kira vor. Ich schüttle den Kopf.
»Uns noch mal vom Blitz treffen lassen? Geht denn das so einfach? Und überhaupt: Wir wissen doch gar nicht, wie das wirklich passiert ist. Ob es an dem Blitzschlag lag – keine Ahnung. Oder hast du schon mal irgendwo von Leuten gehört, die vom Blitz getroffen wurden und dann jemand anders sind?«
Kira schlägt mit dem Schwanz hin und her und maunzt unglücklich.
»Nein, habe ich nicht. Und wenn mir vorher jemand erzählt hätte, dass so etwas möglich ist, hätte ich ihn für verrückt erklärt.«
»Na siehst du. Was uns passiert ist, ist also offenbar nicht normal. Und ich glaube, bevor wir nicht herausgefunden haben, warum wir nun im falschen Körper stecken, haben wir keine Chance, wieder rauszukommen.«
Kira gibt seltsame Schnaufgeräusche von sich.
»He, alles in Ordnung?«, will ich wissen.
»Nein, überhaupt nicht! Ich würde am liebsten heulen – und selbst das kann ich als Katze nicht! Es ist einfach furchtbar!«
Ich fürchte, Kira hat recht. Es ist wirklich furchtbar. Und es wird bestimmt noch viel furchtbarer, wenn ich mich das erste Mal mit Anna unterhalten muss und sie denkt, dass ich Kira bin. Was sage ich dann bloß zu ihr? Was sagen Zwölfjährige so zu ihren Müttern? Okay, ich habe die beiden jetzt ein paarmal zusammen erlebt – als Experte würde ich mich deswegen noch lange nicht bezeichnen. Einen Streit, wie ihn die beiden heute Mittag hatten, stehe ich mit Sicherheit noch nicht auf zwei Beinen durch. Jedenfalls nicht, ohne zwischendurch umzufallen. Oje! Insgeheim hoffe ich sehr darauf, morgen früh wach zu werden und festzustellen, dass alles nur ein böser Traum war.
Mein Leben als Mädchen.
Oder: Aller Anfang ist schwer …
»Guten Morgen, mein Schatz! Draußen ist zwar scheußliches Wetter, aber ich fürchte, du musst trotzdem aufstehen! Dafür habe ich dir etwas besonders Leckeres zum Frühstück gemacht.«
Nein. Es war leider kein böser Traum. Vor mir im Halbdunkeln steht Anna und rüttelt sanft an meiner Bettdecke. Ich murmle etwas, das hoffentlich wie »Guten Morgen, Mama« klingt, setze mich auf und reibe mir die Augen. Da haben wir den Heringssalat! Ich bin immer noch ein Mensch!
Anna setzt sich auf die Bettkante neben mich.
»Na, wollen wir uns nicht wieder vertragen?«
Ich nicke stumm. Vertragen ist eine gute Idee. Vor allem für jemanden wie mich, der sich noch nie mit seiner Mutter gestritten hat.
»Dann also wieder Frieden, okay?« Anna zieht mich zu sich und drückt mir einen Kuss auf die Wange – ein wirklich komisches Gefühl, ihre Lippen direkt auf meiner Haut zu spüren. Zum einen hat mich noch nie ein Mensch geküsst und zum anderen trage ich normalerweise schließlich ein Fell!
Anna steht auf und geht aus dem Zimmer. Als sie aus der Tür ist, kommt Kira hineingeschlichen.
»Morgen, Winston. Ich hatte so gehofft, dass alles nur ein böser Traum war. Aber wie es aussieht, bin ich tatsächlich noch ein Kater.« Sie springt zu mir aufs Bett und legt ihren Kopf auf meinen Schoß.
»Tja, geht mir genauso. Meine Begeisterung, heute noch ein Mädchen zu sein, hält sich auch sehr in Grenzen.«
Kira schnurrt und in Gedanken höre ich sie kichern.
»Was ist denn daran so lustig?«, will ich von ihr wissen.
»Och, nichts.«
»Glaub ich dir nicht. Also was?«
»Na ja, du redest wie ein Erwachsener. So geschwollen. Hast du das als Kater auch schon gemacht?«
»Äh, weiß nicht. Ich habe als Kater ja gar nicht mit Menschen geredet. Aber – ja, was du jetzt hörst, ist eben die Art und Weise, wie ich sonst denke.«
Kira dreht sich auf den Rücken und mustert mich.
»Klingt auf alle Fälle ziemlich uncool. Also, pass bloß auf, dass du in der Schule meinen Ruf nicht völlig ruinierst. Der ist eh schon nicht der beste.«
»Moment maclass="underline" wieso Schule?«
»Na, du glaubst doch nicht etwa, dass Mama dich zu Hause bleiben lässt?«
»Äh, aber ich will da nicht hin!« Jetzt kichert Kira nicht, sondern lacht. Eindeutig.
»Tja, Pech gehabt. Ob man in die Schule geht, kann man sich leider nicht aussuchen. Man muss, sonst gibt’s Ärger. Und zwar zuallererst mit meiner Mama. Die nimmt das Thema nämlich sehr ernst. Also, wenn du nicht gerade Schüttelfrost und Fieber hast oder deinen Kopf unter dem Arm spazieren trägst, hast du keine Chance hierzubleiben.«
Oh nein. Das sind richtig schlechte Nachrichten. Ich in der Schule – mit lauter fremden Kindern! Ein echter Albtraum! Stöhnend lasse ich mich wieder ins Bett sinken.
»Kira, steh schon auf! Du kommst zu spät!«, tönt Annas Stimme über den Flur. Sie klingt tatsächlich sehr entschlossen. Und wenn ich einfach behaupte, krank zu sein?
»Äh, mir geht’s nicht so gut!«, krächze ich möglichst schwächlich und schließe die Augen. Sofort höre ich Annas Schritte auf dem Weg zu mir. Im Zimmer angekommen, legt sie ihre Hand auf meine Stirn.
»Fieber hast du eindeutig nicht. Komm, eine schöne Tasse Tee, dann bist du wieder fit! Vielleicht gehst du heute einfach mal früher ins Bett, dann bist du morgens auch wacher. Auf, auf, meine Dame! Ich möchte nicht, dass du in der neuen Schule einen schlechten Eindruck hinterlässt.«
Es ist genau, wie Kira gesagt hat: Wenn es um die Schule geht, scheint Anna keinen Spaß zu verstehen. Als sie wieder verschwunden ist, winde ich mich aus dem Bett und wanke zur Tür. Heilige Ölsardine – Laufen auf zwei Beinen ist wirklich schwierig!
»Ich kann nicht in deine Schule gehen. Das überleb ich nicht.«
»Quatsch. So schlimm ist es auch wieder nicht«, versucht mich Kira zu trösten.
»Aber dann musst du mitkommen. Ohne dich bin ich dort völlig aufgeschmissen«, flehe ich Kira an. Die schüttelt nur kurz den Kopf.
»Geht leider nicht. Hast du vergessen, welchen Ärger ich gestern deinetwegen bekommen hab? Wenn ich – äh, also du – jetzt noch mal mit einer Katze aufkreuzt, ist der Ofen endgültig aus.« Stimmt wahrscheinlich. Ich stöhne gequält.
»Was mache ich zuerst?«, denke ich laut nach.
»Na, du musst dich waschen und anziehen«, erklärt Kira. Stimmt. Gute Idee! Ich strecke meine Arme nach vorn, schlage die Nachthemdärmel zurück und beginne, meine Hände abzuschlecken.
»Miau! Doch nicht so! Du musst ins Badezimmer gehen und Wasser benutzen!«
Igitt! Wasser? Zum Waschen? Eine grauenhafte Vorstellung! Aber stimmt … wo ich so darüber nachdenke: Werner macht das auch immer. Grundgütiger Katzenschnurrbart: Ich habe noch nicht einmal gefrühstückt und schon zwei sehr unangenehme Dinge über das Menschsein gelernt: Kinder müssen zur Schule gehen und gewaschen wird der Mensch mit Wasser. Wenn das so weitergeht, bin ich lange vor dem Mittagessen erledigt!
Ich taumle ins Badezimmer, Kira folgt mir.
»So, jetzt als Erstes Zähneputzen! Mit der Zahnbürste!«, erklärt sie.
Ratlos schaue ich mich im Badezimmer um. Wie könnte wohl eine Zahnbürste aussehen? Ich greife nach etwas, das mich stark an meine Fellbürste erinnert – ungefähr gleich groß und mit Metallborsten. Ob ich mir damit die Zähne putzen kann?
»Falsch!«, kommt es sofort von Kira. »Das ist eine Haarbürste. Meine Zahnbürste steht da drüben in dem Becher. Sie ist lila.« Lila. Aha. Wie mag lila aussehen? Als Katze bin ich kein Fachmann, wenn es um das Unterscheiden von Farben geht. Ich seufze und greife nach einer der kleinen Minibürsten mit dem langen Stil, die sich in dem Becher auf der Ablage befinden. Es scheint die richtige zu sein, jedenfalls protestiert Kira nicht. Dann stecke ich mir das Teil in den Mund und kaue darauf herum. So mache ich es auch immer mit den Zahnpflege-Leckerlis, die Olga extra für mich gekauft hat. Leider ist die Bürste steinhart und schmeckt überhaupt nicht. Ich lege sie wieder ins Waschbecken.