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»Cool, der hast du’s aber gegeben. Geschieht ihr recht. Die ist so eine blöde Kuh.« Sehr schön. Es ist ganz beruhigend, jemanden kennenzulernen, der meine Abneigung in Sachen Leonie teilt. »Hätte ich dir übrigens gar nicht zugetraut. Ich dachte, du wärst so schüchtern.«

»Danke, äh …«

»Pauli, also eigentlich Paula, aber so nennen mich nur die Lehrer«, stellt sich das Mädchen vor und lächelt mich aufmunternd an. Sie sieht völlig anders aus als die übrigen Schüler hier. Irgendwie … wilder! Ihre Haare stehen vom Kopf ab und ihre Augen sehen aus, als hätte sie das Mädchen mit schwarzem Filzstift umrandet. Außerdem hat sie ziemliche Löcher in ihrer Hose und trägt ein Shirt, das ihr viel zu groß ist. All das macht aber nicht den Eindruck, als hätte sie heute früh im Kleiderschrank danebengegriffen, sondern vielmehr, als sei der seltsame Aufzug Absicht. Fragt sich nur: warum?

»Pauli, richtig«, tue ich so, als hätte ich ihren Namen schon mal gehört. »Das ist nett von dir.«

»Keine Ursache. Sind ganz schön viele Namen, wenn man neu ist. Da fühlt man sich wie der erste Mensch, richtig?« Pauli grinst, ich nicke. Wenn die wüsste, wie recht sie mit ihrer Bemerkung hat!

»Ja, ich glaube, es dauert noch ein bisschen, bis ich alle Namen kenne.« In diesem Moment habe ich eine Idee: Pauli scheint in Ordnung zu sein, vielleicht kann sie mir ein bisschen helfen? »Auch bei den Lehrern hapert es bei mir noch – bei wem haben wir denn gleich Unterricht?«

»Bei Frau Schiffer. Englisch.«

Ach du grüne Neune! Wenn ich mich nicht täusche, ist Englisch eine andere Sprache als die, in der sich alle Menschen, die ich kenne, unterhalten. Und eine völlig andere Sprache als die, die ich verstehe. Das kann ja heiter werden – hoffentlich fragt mich Frau Schiffer nichts.

Und da kommt sie auch schon durch die Tür geweht: eine zarte Gestalt, ganz in Schwarz, die Haare zu einem strengen Knoten gedreht. Mit schnellen Schritten läuft sie zum Lehrerpult und knallt ihre Tasche auf den Stuhl dahinter. Ich mag mich täuschen, aber auf den ersten Blick wirkt Frau Schiffer sehr ungemütlich. Sie zieht einen Stapel Hefte aus ihrer Tasche und legt ihn auf das Pult, dann guckt sie mit ernster Miene in unsere Runde.

»Guten Morgen!«

»Guten Morgen, Frau Schiffer!«, antworten meine Mitschüler im Chor. Mir hat es gerade die Sprache verschlagen.

»Setzt euch.«

Stühlerücken, Gemurmel, alle setzen sich.

»Ich habe euch heute eure Englischarbeit mitgebracht. Und ich muss leider sagen: Sie ist miserabel ausgefallen.« Ein Stöhnen und Seufzen geht durch die Klasse. »Allerdings gibt es eine Ausnahme. Ihr wisst, dass ich normalerweise keine einzelnen Noten bekannt gebe. In diesem Fall weiche ich aber von meiner Regel ab. Zum einen, weil diese Arbeit wirklich ganz besonders gut ist. Zum anderen, weil sie eine Schülerin geschrieben hat, die erst seit Kurzem auf diese Schule geht. Ich schließe daraus, dass es mit den Englischkenntnissen dieser Klasse nicht weit her ist. Wir müssen uns hier also alle viel mehr Mühe geben. Und wenn ich alle sage, dann meine ich auch alle. Also sowohl euch als auch mich.«

Frau Schiffer nimmt eines der Hefte und kommt damit in meine Richtung, dann bleibt sie vor mir stehen. »Kira, das hast du wirklich sehr gut gemacht. Von deinem Englisch können sich hier alle eine Scheibe abschneiden!«

»Oh, danke!«, stottere ich und hoffe, dass sie nicht gleich anfängt, mit mir Englisch zu reden. Dann wäre ich nach höchstens einer Minute enttarnt. Es sei denn, ich kann in Kiras Gestalt nicht nur sprechen, sondern auch alle anderen Sachen, die ein zwölfjähriges Mädchen so draufhat. Also Lesen und Schreiben. UND Englisch. Auf einen Versuch möchte ich es in diesem Augenblick aber nicht ankommen lassen!

»Du hast ja schon erzählt, dass deine Mutter Lehrerin ist. Wahrscheinlich unterrichtet sie auch Englisch, nicht wahr?«

»Was, meine Mutter? Nein, die ist keine Lehrerin. Die ist Haushälterin bei Professor Hagedorn«, plappere ich ohne nachzudenken los.

»Ach wirklich? Haushälterin?« Frau Schiffer schaut mich ganz erstaunt an. »Na ja, da habe ich dich wohl falsch verstanden.«

Emilia fängt an zu kichern.

»Hihi, Kiras Mutter ist Putzfrau!«

In diesem Moment wird mir klar, dass ich einen Fehler gemacht habe. Verdammt! Offenbar hat Kira etwas ganz anderes über Anna erzählt. Ich verstehe zwar nicht, warum – aber ich hätte einfach die Klappe halten sollen. Emilia kichert immer noch und natürlich lacht mittlerweile auch die fiese Leonie. Frau Schiffer schnappt nach Luft.

»Ruhe, ihr beiden! Ihr habt nun wirklich keinen Grund für übertrieben gute Laune. Du, Emilia, hast eine Fünf plus. Und mit einer Vier minus bist du, Leonie, auch nicht viel besser. Also, anstatt euch über Mitschüler lustig zu machen, solltet ihr lieber Vokabeln lernen. Da hätten wir alle mehr von.«

Leonie sagt dazu nichts, Emilia zischt mir etwas ins Ohr. Hört sich an wie »Streber«. Was meint sie damit? Besonders nett klingt es jedenfalls nicht.

Den Rest der Stunde behandelt mich Emilia wie Luft. Schätze mal, die brauche ich nicht um Rat zu fragen, wenn ich hier in der Schule nicht weiterweiß. Ich kenne mich zwar mit menschlichen Freundschaften noch nicht so aus, aber dass Emilia nicht Kiras Freundin ist, habe selbst ich dummer Kater schon gemerkt. Ob Freunde für Menschen wohl wichtig sind? Als Winston bin ich Einzelgänger und fühle mich sehr wohl dabei – wenn ich nicht gerade Spike, Karamell und Odette über den Weg laufe. Aber vielleicht sind Menschen anders gestrickt.

Der Klingelton reißt mich aus meinen Gedanken über Menschen und Freundschaften. Die meisten meiner Mitschüler stehen auf und laufen in der Klasse herum. Anscheinend ist hier Schluss. Oder zumindest Pause. Auch gut. Soeben habe ich meine erste Schulstunde einigermaßen unfallfrei über die Bühne gebracht. Bis auf den Fehltritt mit der Putzfrau. Und so schlimm wird der schon nicht sein.

»WAS? Du hast gesagt, dass meine Mutter eine Putzfrau ist? Bist du völlig WAHNSINNIG?«

»Na ja, also, das mit der Putzfrau hat Emilia gesagt. Ich habe nur erzählt, dass Anna unsere Haushälterin ist. Also, die von Professor Hagedorn.«

Kira stößt einen kläglichen Schrei aus und lässt sich zur Seite kippen.

»Erledigt. Ich bin völlig erledigt. Endgültig fix und fertig. Da brauch ich gar nicht mehr hingehen.«

»Ich finde, du übertreibst. Erstens wusste ich nicht, dass du erzählt hast, deine Mutter sei Lehrerin. Und zweitens ist Haushälterin doch ein sehr ehrenhafter Beruf. Vor allem ein sehr wichtiger. Ich würde sogar sagen: der wichtigste. Gleich hinter Physikprofessor.«

Ein heiseres Fauchen.

»Du hast doch gar keine Ahnung. Die anderen Eltern sind alle Rechtsanwälte oder Zahnärzte. Oder haben eine Werbeagentur. Lehrerin ist das Mindeste, womit man da aufkreuzen muss. Und es war nicht mal gelogen: Schließlich war Mama in Russland Lehrerin. Aber du musstest ihnen unbedingt erzählen, dass meine Mutter Putzfrau ist. Ich würde sagen, damit bin ich eindeutig das uncoolste Mädchen der ganzen Klasse. Die Clique von Leonie kann ich jetzt endgültig abhaken. Vielen Dank, Winston!«

Okay, ich gebe zu, ich habe mich nicht besonders geschickt verhalten. Aber dass es nun so ein Drama ist, Annas wahre Arbeit zu verraten, will ich trotzdem nicht einsehen.

»Aber … aber … was willst du überhaupt mit der Clique von Leonie? Du hast doch selbst gesagt, dass sie total doof ist. Und dabei gibt es in deiner Klasse auch richtig nette Leute. Zwei habe ich schon kennengelernt: Pauli und Tom. Mach doch lieber etwas mit denen.«

MAUNZ. Kira windet sich hin und her.

»Pauli und Tom? Du spinnst wohl komplett. Pauli ist eine Punkerin, die völlig verrückt ist, und Tom ein Computer-Nerd, der sich lieber mit seinem Laptop als mit einem Menschen unterhält. Man merkt, dass du überhaupt keine Ahnung hast. Das sind die beiden Klassenspinner, die du dir da ausgesucht hast. Wenn du jetzt auch noch mit denen rumhängst, will garantiert niemand von den anderen mehr mit mir befreundet sein. Abgesehen davon ist Toms Vater auch Arzt. Ob Tom also so scharf auf die Freundschaft mit der Tochter einer Putze ist, weiß ich nicht.«