Heilige Ölsardine und verflixter Heringssalat! Dieses Kind ist wirklich stur! Ich sehe uns beide schon mit Betonklötzen an den Füßen in der Elbe landen, versenkt von einem Verbrecher namens Vadim. So etwas geschieht nach meinen Fernsehkenntnissen nämlich häufig mit Leuten, die Kriminellen in die Quere kommen. Ich starte einen letzten Anlauf, um Kira von ihrem Plan abzubringen.
»Also, wenn wir da schon hingehen, dann auf keinen Fall allein! Und wenn ich Werner nicht einweihen soll und deine Mutter nichts erfahren darf, dann müssen wir uns andere Unterstützung organisieren.« Vielleicht gibt Kira auf, wenn ich damit drohe, jemanden mitzunehmen.
»Feigling!«, ruft Kira. »Und wer soll diese Unterstützung denn sein? Du kennst doch hier überhaupt niemanden. Oder willst du Odette und Spike mitnehmen? Damit sich Vadim schlapplacht, wenn du da mit drei Katzen im Schlepptau aufkreuzt?«
»Natürlich kenne ich hier auch andere Menschen!«, behaupte ich einfach ins Blaue hinein. Bloß keine Schwäche zeigen.
»Ach ja?«
»Genau. Ich weiß schon, wen ich frage.«
»Okay, lass hören.«
»Ich frage … äh … ich frage … also, ich könnte …« Und in genau diesem Moment fallen mir tatsächlich zwei Menschen ein, die ich fragen könnte. Und die ich fragen werde. Ob es Kira nun passt oder nicht.
Ich habe mutige Freunde.
Und Russland ist ein fernes, fremdes Land.
Ich glaube, um Menschen von einer Sache zu überzeugen, ist es nicht unbedingt klug, zu hundert Prozent die Wahrheit zu sagen. Tom und Pauli gucken mich jedenfalls gerade mit sehr großen Augen an. Vielleicht war es doch nicht so schlau, ihnen vorher zu verraten, was für ein Mistkerl dieser Vadim ist. Wenn sie nun beide nicht mitkommen wollen, habe ich es eindeutig vermasselt.
»Also, du meinst, der Typ ist gefährlich und könnte richtig Ärger machen?« Tom legt die Stirn in Falten.
»Äh, ja, na ja … also …« Wenn ich jetzt behaupte, dass Vadim im Gegenteil ein ganz netter Zeitgenosse ist, dann glauben sie mir das wohl nicht mehr. Das hätte ich mir eher überlegen müssen. »Also, Vadim ist manchmal ein bisschen aufbrausend und er hatte auch schon mal Ärger mit der Polizei. Aber ansonsten …«
»Also ist er richtig, richtig gefährlich.« Tom grinst. »Cool.«
Cool? Heißt das, Tom findet die Vorstellung gut, Vadim mal ein bisschen auf die Finger zu klopfen? Das wäre ja großartig!
»Also, ich würde sagen, wenn du zwei Partner für eine gefährliche Mission brauchst, dann bist du bei Tom und mir an der richtigen Adresse«, fügt nun auch Pauli lächelnd hinzu. Super! Dann war meine Idee ja doch nicht so falsch!
»Wie genau ist denn der Plan?«, erkundigt sich Tom. »Ich meine, nur so in zwei Sätzen. Die Pause ist ja gleich vorbei.«
Gute Frage. Sehr gute Frage. Wie genau ist eigentlich der Plan?
»Tja, ich dachte … äh …« Hm. Im Grunde gibt es noch keinen Plan. Also, bis auf den Teil, dass ich und Kira nicht allein bei Vadim auftauchen, sondern Verstärkung mitbringen.
»Kann es sein, dass du dir noch nichts Genaues überlegt hast?«, hakt Pauli nach. Schlaues Kind. Treffer mitten ins Schwarze. Abstreiten zwecklos.
»Leider hast du recht«, gebe ich zu. Pauli seufzt.
»Okay. Dann lass uns mal überlegen. Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann hat dieser Vadim bei der Polizei behauptet, dass deine Mutter gemeinsam mit ihm irgendetwas verbrochen hat. In Wirklichkeit war er es aber allein. Und nun will er nicht mit der Wahrheit rausrücken, weil deine Mutter nicht zu ihm zurückkommen will.«
»Genau. So war es.«
»Dann brauchen wir also eine Falle.«
»Eine Falle?« Ich persönlich kenne nur Mausefallen. Da legt man ein Stück Käse rein, und wenn die Maus es sich holen will, dann schnappt die Falle zu und die Maus baumelt darin. Solche Fallen sind allerdings sehr klein. Auch wenn ich ihn noch nie gesehen habe, glaube ich nicht, dass Vadim da reinpassen könnte.
»Ja, klar. Eine Falle. Wieso guckst du so erstaunt?«, wundert Pauli sich.
»Ich weiß nicht. Vadim und Käse? Und überhaupt, gibt es denn so große …« Bevor ich noch näher ausführen kann, wo ich das Problem sehe, ist die Pause zu Ende.
»Merk dir, was du sagen wolltest. Wir reden später darüber. Vielleicht fällt mir während Bio noch etwas Schlaues ein.«
Biologie bei Herrn Prätorius ist mein momentanes Lieblingsfach. Nicht so sehr, weil mich Biologie interessiert, sondern weil ich Herrn Prätorius gleich als Katzenfreund erkannt habe. Und Katzenfreunde sind einfach gute Menschen!
Im Gegensatz zu meiner Sitznachbarin Emilia. Die ist einfach kein guter Mensch, sondern die Pest. Jetzt zum Beispiel schreibt sie sich gerade Zettelchen mit der fiesen Leonie, und ich weiß ganz genau, dass sie irgendetwas mit mir zu tun haben. Auf einem der Briefchen habe ich schließlich meinen Namen gelesen. Schätze mal, das sind keine Liebesbriefe. Aber was soll’s. Ich habe schließlich Wichtigeres zu tun, als mich über die beiden blöden Schnepfen zu ärgern. Ich bin ein Kater mit einer Mission!
Auch Herr Prätorius scheint die innige Brieffreundschaft zwischen den beiden bemerkt zu haben, denn jetzt schießt er auf Leonie zu und nimmt ihr ein Blatt Papier weg.
»Liebe Leonie, hat das etwas mit den Nervenzellen des menschlichen Körpers zu tun, die wir gerade durchnehmen? Also, außer der Tatsache, dass du mir damit auf die Nerven gehst?« Prätorius grinst.
»Geben Sie das wieder her!«, schnaubt Leonie empört. »Das dürfen Sie gar nicht!«
»Leonie Weichert, was ich darf und was nicht, das bestimmst garantiert nicht du. Und wenn du und Emilia Briefe austauscht, anstatt an meinem Unterricht teilzunehmen, dann gibt’s gleich richtig Ärger. Also, dann wollen wir doch mal sehen, was du gerade geschrieben hast.«
Prätorius räuspert sich, dann liest er laut vor.
Hey, Emmi,
weißt du, was mein Vater über die Russen sagt? Entweder sind die kriminell, dann sind sie stinkreich. Oder sie sind ehrlich, dann sind sie so arm, dass sie nicht mal richtiges Klopapier haben. Vielleicht sollten wir Kira also mal besser ’ne Rolle Klopapier schenken, denn reich ist die garantiert nicht, wenn die Mutter putzen geht …
☺☺☺
Ich spüre, wie mir heiß und kalt wird. Natürlich gelten die Zeilen nicht mir, Winston, sondern Kira als Mädchen. Trotzdem ist selbst dem dümmsten Kater klar, wie gemein dieser Brief ist. Und wie böse!
Herr Prätorius lässt den Zettel sinken und sagt erst mal gar nichts. Auch in der Klasse ist es mucksmäuschenstill. Ich habe keine Ahnung, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist. Oder gar keins. Schließlich holt Prätorius tief Luft.
»Leonie, ich bin entsetzt! Ich kann nicht glauben, dass du ernsthaft so etwas Dummes auf ein Blatt Papier schreibst. Was hast du mir dazu zu sagen?«
Leonie sagt erst mal gar nichts, sondern wird ziemlich rot im Gesicht. Das Farbensehen ist wirklich einer der Vorteile am Menschsein. Solche Gesichtsverfärbungen sind mir früher nie aufgefallen. Interessant!
»Leonie, was sagst du dazu?« Die Stimme von Prätorius bekommt jetzt einen sehr scharfen, unangenehmen Klang.
»Ich … äh … ich wollte …«, fängt Leonie an herumzustottern. Ihr übergroßes Selbstbewusstsein scheint wie weggeblasen zu sein.
»Was?«, hakt Prätorius nach. »Was wolltest du? Eine Klassenkameradin zutiefst beleidigen? Oder Geschichtchen über ein Land erzählen, in dem du noch nicht warst?«
»Nein, ich wollte doch nur … und überhaupt war das doch nur ein Spaß!«, verteidigt sich Leonie mit einer Stimme, die vermuten lässt, dass sie gleich anfängt zu heulen. Prätorius steht nun genau vor ihrem Tisch und mustert sie mit sehr finsterer Miene.