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»Ein Spaß? Das darf doch wohl nicht wahr sein! Oder hörst du hier jemanden lachen?«

»Nein.« Leonie klingt sehr kleinlaut. Prätorius seufzt.

»Mein liebes Fräulein, ich denke, Frau Rosenblatt würde das für einen Verweis reichen.«

»Oh nein!«, ruft Leonie, dann fängt sie tatsächlich an zu weinen. Was mag ein Verweis bloß sein? Anscheinend etwas sehr Schlimmes. Auf einmal tut Leonie mir leid.

»Ich sagte, ihr würde das reichen. Ich sage nicht, dass wir jetzt zu ihr hinmarschieren. Obwohl ich eigentlich große Lust dazu hätte, denn ich finde dieses Geschreibsel wirklich unterirdisch. Stattdessen habe ich aber noch eine andere Idee, wie du es wiedergutmachen kannst. Sozusagen ein Täter-Opfer-Ausgleich.«

Leonie reißt erstaunt die Augen auf. Anscheinend versteht sie kein Wort. Da geht es ihr wie mir. Prätorius setzt zu einer Erklärung an.

»Statt dich sofort zu Frau Rosenblatt zu schleifen, habe ich mir überlegt, dass es besser wäre, wenn du dich bei Kira entschuldigst. Und zwar, indem du deine neue Mitschülerin zu einem Eis einlädst. Bei der Gelegenheit kann sie dir vielleicht etwas über ihre alte Heimat erzählen, damit du das nächste Mal ein bisschen nachdenkst, bevor du so einen Unsinn behauptest. Ist das klar?«

Leonie nickt.

»Und am besten nimmst du Emilia gleich mit«, fährt Prätorius fort. »Mir scheint, auch bei ihr besteht noch ein gewisser Informationsbedarf über eines der größten Länder der Erde. Und in Sachen Freundlichkeit sowieso. Bist du damit einverstanden, Kira?«

Ich nicke langsam.

»Gut. Dann ist das so weit geregelt. Heute nach der Schule kommt euer Einsatz. Entschuldigen dürft ihr euch allerdings jetzt schon bei Kira.«

»Entschuldige bitte, Kira!«, kommt es wie im Chor von Leonie und Emilia. »Das war wirklich blöd von mir«, ergänzt die auf einmal ganz sanfte Leonie noch. »Ich mach’s mit einem riesigen Eis wieder gut. Kannst dir eins in meiner Lieblingseisdiele aussuchen, okay? Und dann können wir auch mal in Ruhe reden.«

Ich nicke wieder. Und hoffe, die beiden wollen nachher nicht wirklich etwas über Russland wissen.

Ziemlich beste Feindinnen

»Los, nun mach schon!« Leonie lächelt mich an. Aber es ist kein aufmunterndes Lächeln, so viel ist selbst mir klar. Es wirkt eher … höhnisch. Okay, damit ist es wohl eher ein Grinsen. »Oder traust du dich nicht?«

Ich muss trocken schlucken. »Klar traue ich mich. Also, ich meine, ich würde mich schon trauen, aber …«

»Was, aber?« Nun grinst nicht nur Leonie, sondern auch Emilia, Ruth und Helene sehen aus, als hätten sie gerade den Spaß ihres Lebens.

»Äh, ich meine, dass es sehr unklug wäre, in ein Geschäft hineinzuspazieren, das von schätzungsweise vier Kameras überwacht wird, und dort ein T-Shirt zu klauen. Die juristischen Probleme wären unvermeidlich.«

Jetzt reißt Leonie die Augen auf. »Die juristischen Probleme wären unvermeidlich? Was redest du da für einen Müll?« Sie dreht sich auf dem Absatz um und lässt mich einfach stehen. Die drei anderen folgen ihr.

Verdammt. So wird das nichts. Ich weiß einfach zu wenig darüber, was es wirklich bedeutet, ein Mensch zu sein. Geschweige denn ein Mädchen. Das hatte ich mir deutlich einfacher vorgestellt. Ich hätte auch nicht gedacht, dass eine simple Einladung zum Eisessen, die doch eigentlich als Entschuldigung gedacht war, so enden würde: an der Eingangstür eines Klamottenladens. Verbunden mit der Aufforderung, hier mal schnell ein T-Shirt zu klauen.

Aber genau das ist gerade passiert: Erst waren wir zu fünft ein Eis essen. Leonie, Emilia, ich und zwei weitere Mädchen aus Leonies Clique. Eigentlich war es ganz nett. Wir haben über die Schule gequatscht, und Leonie hat noch mal gesagt, dass ihr die Sache mit dem Brief leidtue. Tja, und dann haben die vier beschlossen, dass sie mich liebend gern in ihre Clique aufnehmen würden. Ich müsste allerdings vorher eine Mutprobe bestehen. Und die Aufgabe wäre nun mal, hier, bei TK Moritz, ein T-Shirt mitgehen zu lassen.

Nun bin ich ja kein Experte in menschlichen Angelegenheiten, aber selbst ich weiß, dass man sich mit so einer Aktion eine Menge Ärger einhandeln kann. Ich sollte es also besser lassen.

Andererseits: Vielleicht wäre Kira wirklich gern Mitglied dieser Mädchentruppe und ich vermassle ihr eine einmalige Chance?! Ich stelle mir vor, Odette würde versuchen, sich mit mir anzufreunden, und würde sich von Kira, die zufälligerweise gerade in meinem Körper steckt, eine Abfuhr einfangen. Und dann wäre die Chance vertan und Odette würde nie wieder ein Wort mit mir reden. Ich glaube, ich wäre stinksauer auf Kira. Also doch reingehen und das T-Shirt klauen?

Ich drehe mich um und rufe Leonie hinterher.

»He, nun wartet doch mal! Wenn es euch so wichtig ist, dann mache ich das eben.«

Leonie und die anderen kehren wieder um und kommen zu mir zurück.

»Cool. Dann lass mal sehen, was du so draufhast!«

Ich versuche, ganz lässig zu wirken, dabei ist mir überhaupt nicht wohl in meiner Haut.

»Klar, kein Problem!«

Zu fünft spazieren wir wie zufällig in den Laden und laufen an den Verkaufstischen vorbei.

»Da!«, sagt Leonie schließlich und zeigt auf ein weißes T-Shirt mit einem glitzernden Schriftzug auf der Brust. »Das hätte ich gern. Los, hol’s für mich!«

Ich schlucke und nicke. Wie komme ich da wohl am besten ran? Vorsichtig schaue ich mich um – auf den ersten Blick kann ich hier keine Kamera entdecken. Dann entscheide ich mich für die Variante »Augen zu und durch!«. Ich greife mir schnell das T-Shirt und stopfe es in meine Jackentasche. Leonie starrt mich an und flüstert:

»Und? Hast du es?«

»Ja!«

»Dann nix wie weg!«

Möglichst unauffällig schlendern wir zum Ausgang. Mein Herz rast und ich merke, wie ich schon wieder anfange zu schwitzen. Hoffentlich schaffen wir es hier heil raus – je näher wir der Tür kommen, desto mehr beginnt nun auch mein Magen, sich zusammenzukrampfen. Durchhalten!

Der Ausgang ist vielleicht noch einen Meter von mir entfernt, da löst sich von der Seite ein Schatten. Ich kann ihn nur aus den Augenwinkeln sehen, aber ich erkenne sofort die Umrisse eines Mannes. Auweia! Das ist bestimmt der Kaufhausdetektiv! Auch die anderen Mädchen haben ihn gesehen, jedenfalls rennen sie sofort los Richtung Tür. Ich stürze ihnen nach und will gerade direkt hinter Leonie aus dem Laden raus – da schlägt sie mir regelrecht die Tür vor der Nase zu, sodass ich eine Vollbremsung einlegen muss. Eine Sekunde später spüre ich schon eine Hand auf meiner Schulter.

Das gibt’s doch gar nicht! Leonie hat mich absichtlich zurückgelassen, da bin ich mir ganz sicher! Hätte sie nicht schnell die Tür zugeworfen, hätte ich es auch noch rausgeschafft! Fassungslos beobachte ich durch das Schaufenster, wie Leonie und die anderen Mädchen davonlaufen und sich dabei ausschütten vor Lachen. Wie kann man nur so gemein sein?

»So, junges Fräulein«, spricht mich der Schatten an, der eine ziemlich dunkle Stimme hat, »dann zeig doch mal, was du da in deiner Tasche hast!« Er greift in meine Jackentasche, ich lasse es geschehen. Widerstand erscheint mir hier zwecklos. Dann zieht er das T-Shirt heraus. »Aha. Sieh an, sieh an. Na, dann komm bitte mal mit nach hinten in mein Büro.«

Ergeben und mit gesenktem Haupt trotte ich hinter dem Mann her. Er ist nicht besonders groß, aber dafür ziemlich breit. Alles in allem sieht er nicht aus wie jemand, mit dem ich gern Streit hätte. Der Detektiv führt mich in sein kleines Büro und bedeutet mir mit einer Handbewegung, auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen. Dann setzt er sich ebenfalls.

»Also, wie heißt du?«

»Winston Chur…, äh, ich meine Kira Kovalenko.«

Der Mann zieht die Stirn in Falten und mustert mich streng.

»Hör mal, Mädchen, das ist hier eine ernste Sache, also keine Späße mit mir! Wie heißt du denn nun wirklich?«