»Klar, ganz einfach!« Tom klingt spöttisch. So, als würde er nicht meinen, was er sagt. Wundert mich nicht. Ich habe auch meine Zweifel. Wie in aller Welt sollen wir Vadim dazu bringen, wieder zu schmuggeln?
»Nun guckt nicht so düster!« Pauli grinst immer noch. »Hört euch lieber an, was ich mir überlegt habe.«
»Na gut«, stimme ich zu, »dann leg mal los!«
»Also: Wenn Vadim so viel Geld mit Zigaretten verdient hat, wird er das wieder tun, wenn er denkt, dass ein gutes Geschäft winkt. Die alten Zigaretten hat die Polizei einkassiert. Er muss sich also erst mal neue besorgen. Und das macht er bestimmt, wenn er glaubt, dass er die ganz schnell loswerden kann. Wenn also jemand bei ihm schon welche bestellt hat, verstanden? Wir müssen so tun, als wollten wir Zigaretten bei ihm kaufen. Dann muss er sich welche besorgen und wir können das fotografieren.«
»Aber wie soll denn das mit der Bestellung gehen?« Diesmal bin ich es, der skeptisch klingt. »Wir können doch nicht einfach bei ihm klingeln. Ich sowieso nicht, weil er mich kennt. Und außerdem verkauft der doch keine Zigaretten an Kinder. Da merkt er doch gleich, dass irgendwas faul ist!«
Pauli lacht.
»Wer sagt denn, dass er uns sieht, wenn wir die Zigaretten bestellen? Wir rufen ihn an und verstellen unsere Stimmen. Wenn er sich bei uns meldet und sagt, dass die Zigaretten da sind, schleichen wir uns heimlich bei ihm rein. Bestimmt hat deine Mutter noch einen Wohnungsschlüssel.«
Ich zucke mit den Schultern.
»Weiß nicht. Kann natürlich sein. Muss ich mal gucken.«
»Und wir brauchen Vadims Telefonnummer. Kennst du die?«, will Pauli wissen.
»Nee, weiß ich nicht.«
»Aber du hast doch auch da gewohnt«, wundert sich Tom. »Du musst doch wissen, wie man den Typen erreicht.«
»Äh … ich … nee. Weiß ich eben nicht. Aber ich kümmere mich drum.« Puh, noch ein paar Fragen in die Richtung und ich komme richtig ins Schwitzen. Ich beschließe, die Sache abzukürzen.
»Pauli, deine Idee ist spitze. Ich werde mich zu Hause gleich um die Telefonnummer kümmern. Und nach dem Schlüssel schaue ich auch. Wenn ich die Sachen zusammenhabe, legen wir los. Einverstanden?«
Tom und Pauli nicken und sehen nun ziemlich begeistert aus. Ich hoffe, ich muss sie nicht enttäuschen und finde die Sachen wirklich. Das wird schwierig. Anna kann ich schließlich nicht fragen. Die ist außerdem noch stocksauer wegen der T-Shirt-Geschichte. Auch wenn mich Kira geschickt durch das Krisengespräch mit ihrer Mutter gelotst hat – Tochter des Monats werde ich bei Anna momentan nicht.
Ach, was für ein Schlamassel! Warum ist es nur so verdammt kompliziert, ein Kind zu sein?
Warum schlecken sich Menschen eigentlich nie die Ohren ab?
Zu Hause werde ich schon dringend erwartet. Und zwar von Kira, über die ich fast stolpere, als ich in die Wohnung komme.
»Na endlich, da bist du ja!« Kira miaut aufgeregt.
»Ich war nur in der Schule. Da muss ich momentan jeden Tag hin – deinetwegen, falls du das vergessen haben solltest!«
»Schon gut, so war es nicht gemeint. Aber hier braut sich gerade etwas Ungutes zusammen und als Katze kann ich nichts dagegen machen.«
»Wieso? Was ist denn passiert?«
»Meine Mama ist kurz vorm Nervenzusammenbruch. Vorhin hat schon wieder die Polizei angerufen. Und jetzt weint sie und telefoniert mit Tante Olga. Auf Russisch! Das macht sie nur im alleräußersten Notfall, also wenn richtig Feuer unterm Dach ist!«
»Feuer unterm Dach? Oh Gott, dann müssen wir sofort die Feuerwehr rufen!« Ich merke, wie mein Puls anfängt zu rasen. Wie alle Katzen habe ich eine Heidenangst vor jeder Art von Feuer. Erst recht, wenn es auf dem Dach meines eigenen Hauses lodert!
Kira kichert.
»Was ist denn daran so lustig? Ich rufe sofort die Feuerwehr!«
»Quatsch. Das war doch nicht wörtlich gemeint!«
»War es nicht?«
»Nein, natürlich nicht. Oder meinst du, dann würde ich hier noch so ruhig sitzen?«
»Na ja, immerhin habt ihr Menschen nicht ganz so große Angst vor Feuer.«
»Das stimmt. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich immer mehr zur Katze werde. Also, ich meine, auch innerlich. Heute Morgen hatte ich sogar richtig Appetit auf Fisch. Den esse ich sonst nie!«
Ich weiß genau, wovon Kira spricht. Mir geht es da nicht anders. Heute in der Pause habe ich fast eine ganze Tüte Gummibärchen gegessen – dabei hätte ich das süße, zähe Zeugs früher nie angerührt. Feuer finde ich allerdings immer noch gefährlich – umso besser, dass Kira offenbar etwas anderes gemeint hat. Nur was eigentlich?
»Okay, aber wenn es nicht wirklich brennt, was ist dann los?«, will ich deswegen von ihr wissen.
»Wie ich schon sagte: Meine Mama ist ganz aufgeregt. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass es wieder mit dieser Zigarettengeschichte zu tun hat. Oder mit deinem T-Shirt-Klau. Oder mit beidem.«
»Oh, dazu muss ich dir später auch noch etwas erzählen. Aber zuerst erklär mir mal, warum du so dringend auf mich gewartet hast.«
»Ganz einfach: Wenn jemand meine Mama beruhigen kann, dann du. Also, damit meine ich natürlich mich. Kira eben. Meist beruhigt sich meine Mama schnell, wenn ich richtig lieb zu ihr bin. Dann geht es ihr gleich besser.«
»Äh, schon klar – aber wie ist man denn als Mädchen lieb zu seiner Mutter? Soll ich ihr die Ohren abschlecken? Das habe ich früher bei meiner Mutter immer gemacht.«
Kira kichert und dreht sich auf den Rücken.
»Die Ohren abschlecken? Na, da würde meine Mutter aber komisch gucken! Eine lustige Idee! Aber nee – Mama trösten geht anders. Komm, ich erklär’s dir!«
Ich beuge mich zu Kira hinunter, hebe sie vorsichtig hoch und trage sie auf dem Arm zum Sofa. Zeit für eine Lehrstunde im Elternverstehen!
»Am besten ist es immer, Mama mit großen Augen traurig anzugucken«, meint Kira, während wir auf dem Sofa sitzen und uns die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. »Das geht nur in deinem Fall leider nicht, weil sie dann garantiert merken würde, dass deine – also meine – Augen auf einmal grün sind. Diese Taktik musst du leider weglassen, aber es gibt noch genug andere Mittel und Wege, Mama um den Finger zu wickeln.«
»Na, hoffentlich! Falls Anna immer noch heult, wenn Werner nach Hause kommt, macht das die Sache nicht unbedingt besser. Er will bestimmt wissen, was hier los ist. Ich kenn doch meinen Professor, der lässt garantiert nicht locker! Und dann wird er sich einmischen, weil er helfen will. So ist er, mein Zweibeiner!«
»Uah – ich stelle mir gerade vor, wie Professor Hagedorn bei Vadim klingelt, um dem mal so richtig die Meinung zu sagen. Dann brennt hier nicht nur das Dach, sondern gleich das ganze Haus!« Diesmal muss sogar ich lachen – obwohl von Feuer die Rede ist. Bei meinen Samttatzen, ich werde noch ein richtiger Zweibeiner!
»Ja, das sollten wir verhindern. Am besten ist es, wir lösen das Problem allein. Also, wie kriege ich deine Mutter vom Kratzbaum herunter?«
»Hä? Was für ein Kratzbaum?« Kira schaut mich völlig verständnislos an.
Ich seufze. Dieses Mädchen hat wirklich keine Ahnung von Katzen. Na ja, außer dass sie gerade selbst eine ist. »Ich meine, wie schaffen wir es, dass sich deine Mutter wieder beruhigt?«, erkläre ich nachsichtig.
»Ach so, jetzt hab ich’s kapiert! Also, richtig gut kommt es, wenn du ihr sagst, dass sie die liebste Mama der Welt ist und es dir furchtbar leidtut, dass sie deinetwegen solch einen Ärger hat.«
»Für meine Ohren klingt das ziemlich platt und dick aufgetragen, findest du nicht?«
Kira schüttelt den Kopf.
»Nein. Im Gegenteil. Für Eltern kann es gar nicht dick genug sein – die mögen so etwas!«
Ist es denn zu fassen? Ich glaube, ich wäre sehr misstrauisch, wenn jemand so zuckersüß bei mir ankäme.
»Du meinst also, mit so einer billigen Nummer kann ich bei deiner Mutter landen?« Kira nickt.