»Ja. Versuche dabei, möglichst kuschelig zu sein. Dann kann sie garantiert nicht widerstehen und fühlt sich bestimmt gleich besser.«
»Kuschelig sein? Also doch mit Ohrenablecken?«
»Was hast du nur mit diesem Ohrenablecken?« Kira klingt belustigt.
»Ja. So ein großer Schlecker links und rechts – das finde ich ziemlich kuschelig.«
»Nein. Das lass mal lieber. Kommt bestimmt nicht so gut.« Schade. Ich hätte das gern mal ausprobiert.
»Am besten setzt du dich mit ihr auch aufs Sofa und legst deinen Kopf auf ihren Schoß. Wenn sie dann anfängt, dir die Haare zu streicheln, hast du schon gewonnen. Dann sagst du noch dein Sprüchlein auf, so von wegen dass es dir leidtut, und die Sache ist geritzt. Garantiert!«
»Okay, sobald deine Mutter mit Olga zu Ende telefoniert hat, werde ich sie ankuscheln und den reuigen Sünder geben. Wenn Werner nach Hause kommt, hat sie sich hoffentlich wieder beruhigt und alles ist in bester Ordnung. Hier in der Hochallee jedenfalls. Um Vadim müssen wir uns allerdings noch kümmern. Und da ist uns auch schon etwas eingefallen«, leite ich elegant zu dem Thema über, das mir unter den Krallen brennt. Oder brennen würde, wenn ich noch Krallen hätte.
»Wer ist denn uns?«, erkundigt sich Kira neugierig.
»Tom, Pauli und mir. Na gut, vor allem Pauli.«
»Oh nein – hängst du etwa immer noch mit denen rum?«
»Besser als mit Oberzicke Leonie«, entgegne ich trotzig. Ich merke, dass es mich gewaltig wurmt, wenn Kira etwas gegen Tom und Pauli sagt. Zum ersten Mal in meinem Leben spüre ich, dass mir jemand außerhalb der Hochallee 106a wichtig ist. Es ist nicht das gleiche Gefühl wie für meinen Professor und auch nicht wie für Kira, die mittlerweile schon zur Familie gehört. Nein, es ist eine andere Art von Verbundenheit. Ich freue mich, Tom und Pauli zu sehen, und ich ärgere mich, wenn Kira schlecht über sie redet. Da habe ich sofort den Wunsch, die beiden zu verteidigen. Ich bin mir sicher, umgekehrt würden sie es auch für mich tun. Und das ist schön! Ob das Freundschaft ist?
Kira seufzt.
»Winston, das verstehst du nicht. Du bist eben ein Kater, kein Mädchen. Es kann ja sein, dass Tom und Pauli nett sind. Aber sie sind eben so was von out, outer geht’s nicht! Und wenn man sich zu sehr mit Außenseitern abgibt, ist man irgendwann selbst einer. So einfach ist das. Ich habe noch keine einzige Freundin in der Klasse, aber wenn Leonie nett zu mir wäre, dann würde ich bald richtig dazugehören. Und das ist einfach wichtig für mich, verstehst du?«
Ich nicke.
»Ja, das verstehe selbst ich, der alte Katzen-Einzelgänger. Und deswegen habe ich auch versucht, mich mit den Mädels anzufreunden. Ich hätte doch sonst nie ein T-Shirt geklaut! Das habe ich für dich gemacht! Aber wenn ich hier als weiser Kater mal einen Tipp geben darf: Die anderen müssen dich respektieren, sonst wird das mit der Freundschaft nichts. Und je kleiner du dich machst, um den anderen zu gefallen, desto weniger Respekt werden sie vor dir haben.«
Genau. Respekt. Seeehr wichtig! Ich mag zwar von Freundschaft nicht so viel Ahnung haben wie ein Mensch, aber mit Respekt kenne ich mich als Katze aus. Der ist unter Katzen entscheidend – siehe meine Erfahrungen mit den Hofkatzen. Schon bei dem Gedanken an Odette und ihre Freunde bekomme ich sofort richtig, richtig schlechte Laune. Aber damit muss ich mich später beschäftigen. Ich kann mich nicht um mehrere Probleme gleichzeitig kümmern. Und nun ist erst mal Vadim dran. Ich räuspere mich.
»Okay, mal abgesehen von diesem Freundschaftsding – Pauli und Tom haben eine tolle Idee, wie wir Vadim drankriegen könnten!«
»Ja?« Kira klingt interessiert.
»Ja. Wir stellen Vadim eine Falle. Einer von uns ruft ihn mit verstellter Stimme an und bestellt viele Zigaretten. Daraufhin wird Vadim ein gutes Geschäft wittern und welche besorgen. Und dann lassen wir ihn auffliegen.«
Kira legt den Kopf schief und mustert mich.
»Nicht schlecht, Winston. Nicht schlecht!«
»Wir brauchen nur noch zwei Sachen, die du besorgen musst: eine Telefonnummer von Vadim und seinen Wohnungsschlüssel. Pauli und Tom waren sich sicher, dass ich beides haben müsste. Ich habe dazu erst mal nichts gesagt, aber hoffe, das wird kein Problem.«
»Nein, das ist leicht zu besorgen. Die Telefonnummer kenne ich auswendig und den Schlüssel besorge ich, wenn du mit meiner Mama kuschelst. Dann ist sie genug abgelenkt. Dass ein Schlüssel von ihrem Bund fehlt, wird sie garantiert nicht so schnell merken.«
»Super! Also, wenn deine Mutter ihr Telefonat beendet hat, legen wir los. Du als Agent, ich als liebe Tochter!« Kira kichert schon wieder.
»Was ist daran so lustig?«, will ich von ihr wissen.
»Och, ich stelle mir gerade nur vor, wie du meiner Mama die Ohren abschleckst.«
Zigaretten, Ziegen und Chinesen.
Und gute Werbung.
»Hallo, spreche ich mit Vadim?«
Tom hat ein Taschentuch über den Telefonhörer gestülpt und redet nun mit einer Stimme, die vermuten lässt, dass er schwer erkältet ist. Ich bin beeindruckt. Er klingt mit einem Mal viel älter. Hoffentlich lässt sich Vadim davon täuschen.
»Wer will das wissen?«, kommt eine dunkle Stimme aus dem Lautsprecher des Telefons.
»Das tut nichts zur Sache. Sagen wir einfach, ich heiße Joe«, erklärt Tom, ganz so, wie wir es vorher besprochen haben. »Und ich habe gehört, dass du eins a Ware im Angebot hast.«
»Soso. Hast du gehört. Was willst du?«
»Kannst du mir fünfhundert Stangen West besorgen?« Tom klingt wirklich wie die Gangster, die ich schon im Fernsehen gesehen habe. Toll! Auch wenn ich nicht genau weiß, was Lucky Strike West eigentlich bedeutet. Ist wohl eine bestimmte Zigarettenmarke, es scheint da Unterschiede zu geben. Pauli und Tom waren sich jedenfalls sicher, dass echte Profis immer eine Marke angeben, wenn sie Schmuggelzigaretten bestellen. Allerdings hüllt sich Vadim am anderen Ende der Leitung nun erst mal in Schweigen. Hm, war West vielleicht doch nicht die richtige Sorte?
»Ich hab nur die Ziege.« Ziege? Hä? Wir wollen doch keine Tiere kaufen, sondern Zigaretten. Selbst wenn das Schmuggeln von Ziegen auch verboten sein sollte – das passt nicht zu unserem Plan. Denn die bewahrt Vadim doch bestimmt nicht in seiner Wohnung, sondern auf der nächsten Wiese auf. Vadims Antwort gefällt mir also gar nicht. In diesem Moment mischt sich Kira ein. Ich habe sie mit zu unserem Geheimtreffen in Toms Haus genommen. Tom und Pauli haben sich zwar gewundert, aber sicher ist sicher. Schließlich ist Kira die Einzige, die Vadim kennt. Und das macht sich in diesem Moment bezahlt.
»Richtig, die Ziege!«, denkt Kira. »Vadim hatte immer Zigarettenpackungen mit einer Ziege drauf. Die hießen Dim Sin oder so. Hatte ich noch nie vorher gesehen. Wahrscheinlich handelt er mit denen.«
Schnell wiederhole ich laut, was mir Kira gerade gesteckt hat. Pauli stöhnt auf.
»Mensch«, flüstert sie, »das hättest du auch mal eher sagen können!« Tom nickt zustimmend, reagiert aber sofort.
»Tja, Vadim, die Ziege, na klar! Ich dachte halt, dass du noch besseren Stoff als die Ziege im Angebot hast. Aber notfalls nehme ich auch die.«
Miau, ist Tom cool! So eine Antwort wäre mir in hundert Jahren nicht eingefallen! Man hört Vadim schnaufen.
»Die Ziege ist top. Kein besseres Geschäft als mit der. Von wem hast du meine Nummer?«
»Vom Chinesen!«, denkt Kira.
»Vom Chinesen!«, flüstere ich daraufhin.
»Vom Chinesen!«, brummt Tom schließlich laut ins Telefon.
»In Ordnung. Dann fünfhundert Stangen. Schätze, ich brauche dafür zwei Tage. Ich melde mich.«
»Nein. Ich melde mich.«
»Na gut. Wie du willst. In zwei Tagen.«
Klick. Vadim hat aufgelegt. Uah, bei allen Sardinen, die ich schon verspeist habe – der Fisch scheint am Haken zu zappeln! Auch Tom und Pauli sind ganz aufgeregt.