George
Nachdem er den Umschlag sorgfältig zugeklebt hatte, indem er die Ecken mit den Daumen herunterpreßte, verschloß Smiley die Tür und ging die breite Marmorfreitreppe nach unten, vorsichtig auf die dünne Kokosmatte tretend, die in der Mitte hinunterlief. In der Halle war ein roter Holzbriefkasten zur Benutzung für Hotelgäste, aber Smiley, ein vorsichtiger Mann, mied ihn. Er ging zum Briefkasten an der Straßenecke, warf seinen Brief ein und überlegte, was er wegen eines Mittagessens unternehmen solle. Es gab natürlich die von Miss Brimley vorbereiteten Brote und den Kaffee. Widerwillig kehrte er zum Hotel zurück. Es war voll von Journalisten, und Smiley haßte Journalisten. Außerdem war es kalt, und er haßte Kälte. Und belegte Brote in einem Hotelzimmer waren etwas sehr Vertrautes.
KATZE UND HUND
Als George Smiley die Stufen hinaufstieg, die zur Vordertür von Terence Fieldings Haus führten, war es kurz nach sieben am selben Abend. Er klingelte und wurde von einer kleinen, plumpen Frau Mitte Fünfzig in die Halle eingelassen. Zu seiner Rechten brannte ein freundliches Feuer aus Scheiten auf einem Haufen Holzasche, und über sich gewahrte er undeutlich eine Galerie und eine Mahagonitreppe, die sich in einer Spirale zum Obergeschoß wand. Das meiste Licht schien vom Feuer herzurühren, und Smiley konnte sehen, daß an den Wänden ringsum eine große Zahl von Gemälden verschiedener Perioden und Stile hing und daß das Kaminsims mit allen möglichen Kunstgegenständen beladen war. Mit einem unfreiwilligen Schauder bemerkte er, daß weder das Feuer noch die Bilder es ganz fertigbrachten, den schwachen Geruch der Schule zu bannen - von en gros gekaufter Politur, Kakao und Gemeinschaftsküche. Korridore führten aus der Halle, und Smiley stellte fest, daß der untere Teil einer jeden Wand nach der unbeugsamen Schulregel dunkelbraun oder grün gestrichen war. Aus einem dieser Korridore tauchte die enorme Gestalt von Mr. Terence Fielding auf.
Er näherte sich Smiley, massig und jovial; eine schöne Mähne grauen Haars fiel unordentlich über seine Stirn, und sein Talar blähte sich hinter ihm.
»Smiley? Ah! Sie haben True kennengelernt, nicht wahr? Miss Truebody, meine Haushälterin? Wunderbar, dieser Schnee, nicht? Purer Breughel! Haben Sie die Jungen am Eyot Schlittschuh laufen sehen? Wunderbares Bild! Schwarze Anzüge, bunte Halstücher, bleiche Sonne; alles da, alles da! Breughel, wie er leibt und lebt. Wunderbar!« Er nahm Smileys Mantel und warf ihn auf einen wackligen Kiefernholzstuhl mit Binsensitz, der in der Ecke der Halle stand.
»Dieser Stuhl gefällt Ihnen - Sie erkennen ihn wieder?«
»Ich glaube nicht«, erwiderte Smiley in einiger Verwirrung.
»Ah, das sollten Sie aber, wissen Sie, das sollten Sie! Habe ihn in der Provence anfertigen lassen, vor dem Krieg. Kleiner Schreiner, den ich kannte. Können Sie ihn nun identifizieren? Faksimile des gelben Stuhls von van Gogh; manche erkennen ihn.« Er ging voran durch einen Korridor und in ein großes, behagliches Arbeitszimmer, das mit holländischen Fliesen, kleinen Renaissanceskulpturen, mysteriösen Bronzen, Porzellanhunden und unglasierten Vasen ausgestattet war, und Fielding selbst machte sich großartig unter ihnen.
Als rangältester Internatsleiter von Carne trug Fielding anstelle der üblichen akademischen Kleidung eine wunderbare Mischung von schweren schwarzen Röcken und einer Richterhalskrause; er sah aus wie ein Mönch im Abendanzug. All dies vermittelte eine Andeutung von klerikaler Kargheit in betontem Gegensatz zu dem ausgeklügelten Prunk seiner Persönlichkeit. Sich dessen offensichtlich bewußt, suchte er die Feierlichkeit seiner Uniform zu betonen und ihr ein wenig von seinem eigenen Temperament hinzuzufügen, indem er sie mit sorgfältig ausgewählten Blumen aus seinem Garten schmückte. Er hatte die Schneider von Carne, deren Milchglasfenster die Insignien königlicher Hofhaltung trugen, dadurch schockiert, daß er sich in seine Talare Knopflöcher machen ließ. Diese füllte er je nach Laune mit allem, von Erika bis zur Glockenblume. An diesem Abend trug er eine Rose, und aus ihrer Frische schloß Smiley, daß er sie erst in dieser Minute angesteckt hatte; er hatte sie extra bestellt.
»Sherry oder Madeira?«
»Danke; ein Glas Sherry.«
»Hurengetränk, Madeira!« rief Fielding, indem er aus einer Kristallflasche einschenkte. »Aber die Jungen mögen ihn. Vielleicht deswegen. Sie sind schreckliche Schäker.« Er reichte Smiley ein Glas und fügte hinzu, indem er seiner Stimme einen dramatischen Klang gab:
»Wir sind im Augenblick alle durch diese schreckliche Geschichte etwas bedrückt. Wir haben nämlich nie etwas dergleichen erlebt. Haben Sie die Abendzeitungen gesehen?«
»Nein, leider nicht. Aber das >Sawley-Arms<-Hotel ist natürlich gepackt voll von Journalisten.«
»Sie haben sich wirklich ganz in die Sache hineingekniet. Sie haben die Armee in Hampshire aufgeboten, und sie spielt mit Minensuchgeräten herum. Weiß Gott, was sie zu finden erwarten.«
»Wie haben die Jungen es aufgenommen?«
»Begeistert! Mein eigenes Haus war natürlich besonders beglückt, weil diese Rodes an jenem Abend hier diniert haben. Irgendein Flegel von der Polizei wollte sogar einen von meinen Jungen ausfragen.«
»Tatsächlich!« Smiley lächelte unschuldig. »Worüber denn?«
»Oh, Gott weiß was«, antwortete Fielding kurz angebunden. Das Thema wechselnd, fragte er: »Sie kannten meinen Bruder gut, nicht? Er sprach von Ihnen.«
»Ja, ich habe Adrian sehr gut gekannt. Wir waren eng befreundet.«
»Auch im Krieg?«
»Ja.«
»Sie waren also in seinem Laden?«
»Welchem Laden?«
»Steed-Asprey, Jebedee. Alle diese Leute.«
»Ja.«
»Ich habe nie wirklich erfahren, wie er starb. Sie?«
»Nein.«
»Wir haben uns in späteren Jahren nicht mehr oft gesehen, Adrian und ich. Da ich eine Fälschung bin, kann ich's mir nicht leisten, neben dem echten Stück gesehen zu werden«, erklärte Fielding mit etwas von seiner früheren Prahlerei. Smiley wurde der Verlegenheit einer Antwort durch ein leises Klopfen an der Tür enthoben, und ein großer rothaariger Junge kam schüchtern ins Zimmer.
»Ich habe das >Adsum< angesagt, Sir, wenn Sie bereit sind, Sir.«
»Verdammt«, sagte Fielding und leerte sein Glas. »Andacht.« Er wandte sich an Smiley. »Perkins, mein Präfekt. Musikalisches Genie, aber schwierig im Klassenzimmer. Stimmt's, Tim? Bleiben Sie hier oder kommen Sie mit, wie Sie wollen. Es dauert nur zehn Minuten.«
»Heute abend sogar weniger, Sir«, sagte Perkins. »Es ist das >Nunc Dimittis<.«
»Gott sei für kleine Wohltaten gedankt«, erklärte Fielding, zupfte kurz an seiner Halskrause und führte Smiley mit raschen Schritten in den Korridor hinaus und durch die Halle; Perkins stakte hinter ihnen her. Fielding sprach die ganze Zeit, ohne sich die Mühe zu machen, den Kopf zu wenden: