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»Ich bin froh, daß Sie diesen Abend für Ihren Besuch gewählt haben. In der Regel habe ich samstags nie Gäste, weil jeder welche hat, obwohl niemand von uns recht weiß, was er zur Zeit mit Einladungen anfangen soll. Felix D'Arcy wird heute abend kommen, aber das ist kaum unterhaltend. D'Arcy ist ein Fachmann. Übrigens, wir ziehen uns gewöhnlich für den Abend um, aber das ist nicht wichtig.«

Smileys Herz sank. Sie bogen um eine Ecke und betraten noch einen Korridor.

»Wir haben hier zu allen Stunden Andachten. Der Master hat die sieben Taghoren für die Offizien Wiederaufleben lassen: Prim, Terz, Sext und so weiter. Überfütterung während des Semesters, Abstinenz während der Ferien - das ist das System, wie bei den Sportübungen. Nützlich im Haus auch für Appelle.« Er ging noch einen Korridor voran, riß an seinem Ende eine Doppeltür auf und marschierte geradewegs in den Speisesaal, sein Talar bauschte sich anmutig hinter ihm. Die Jungen erwarteten ihn.

»Noch etwas Sherry? Wie fanden Sie die Andacht? Sie singen ganz hübsch, nicht? Ein oder zwei gute Tenöre. Im letzten Semester haben wir etwas gregorianischen Choralgesang versucht; ganz gut, wirklich ganz gut. D'Arcy wird gleich hier sein. Er ist ein fürchterliches Ekel. Sieht aus wie ein Sickert-Modell fünfzig Jahre danach - nichts wie Hose und Kragen. Sie können jedoch von Glück sagen, daß seine Schwester ihn nicht begleitet. Sie ist noch schlimmer!«

»Was für ein Fach unterrichtet er?« Sie waren wieder in Fieldings Arbeitszimmer.

»Fach! Wir haben hier keine festen Unterrichtsfächer. Keiner von uns hat ein Wort über irgendein Fach gelesen, seit wir die Universität verließen.« Er senkte die Stimme und fügte geheimnisvoll hinzu: »Das heißt, wenn wir die Universität besucht haben. D'Arcy lehrt Französisch. D'Arcy ist Senior des Lehrkörpers durch Wahl, Junggeselle von Profession, vergeistigter Homosexueller aus Neigung...«, er stand jetzt ganz still, den Kopf zurückgelegt und die rechte Hand auf Smiley gerichtet, »... und sein Fach sind die Fehler anderer Leute. Zuvörderst aber ist er der selbsternannte Haushofmeister des Protokolls von Carne. Wenn man auf dem Fahrrad einen Talar trägt, eine Einladung inkorrekt beantwortet, einen Fehler bei der Plazierung seiner Dinnergäste begeht oder von einem Kollegen als >Mister< spricht, D'Arcy wird einen ertappen und ermahnen.«

»Worin bestehen denn die Pflichten eines Seniors des Lehrkörpers?« fragte Smiley, nur um etwas zu sagen.

»Er ist der Schiedsrichter zwischen den klassischen Philologen und den Naturwissenschaftlern; er arrangiert den Stundenplan und untersucht die Prüfungsergebnisse eingehend. Aber hauptsächlich muß der arme Mann die Geistes- mit den Naturwissenschaften in Einklang bringen.« Er schüttelte weise den Kopf. »Um das fertigzubringen, braucht man einen besseren Mann als D'Arcy. Nicht«, fügte er müde hinzu, »daß es den geringsten Unterschied macht, wer die Extrastunde an den Freitagabenden bekommt. Wer fragt schon danach? Nicht die Jungen, die armen Kerle, das steht fest.«

Fielding sprach weiter, wahllos und immer in Superlativen; manchmal griff er dabei mit der Hand in die Luft, als wolle er die flüchtigen Metaphern einfangen; jetzt von seinen Kollegen mit ätzendem Spott, jetzt von den Jungen mit Mitleid, wenn nicht Verständnis; jetzt von den Geisteswissenschaften mit Leidenschaft - und mit der ausgeklügelten Verwirrung eines einsamen Schülers.

»Carne ist keine Schule. Es ist ein Sanatorium für intellektuelle Aussätzige. Die Symptome begannen, als wir von den Universitäten kamen; ein allmähliches Fauligwerden unserer geistigen Extremitäten. Von Tag zu Tag stirbt unser Geist mehr und mehr ab, verkümmern unsere Seelen und verrotten. Wir beobachten den Vorgang bei uns gegenseitig, in der Hoffnung, ihn in uns selbst zu vergessen.« Er hielt inne und betrachtete nachdenklich seine Hände.

»In mir ist der Prozeß beendet. Sie sehen vor sich eine tote Seele, und Carne ist der Körper, in dem ich lebe.« Sehr entzückt von seinem Bekenntnis, breitete Fielding die langen Arme aus, so daß die Ärmel seines Talars den Flügeln einer riesigen Fledermaus glichen. »Der Vampir von Carne«, erklärte er mit einer tiefen Verbeugung. »Alcoholique et poóte.« Ein bellendes Gelächter folgte dieser Darbietung.

Smiley war von Fielding fasziniert, von seiner Größe, seiner Stimme, der zügellosen Unbeständigkeit seines Temperaments, von seinem ganzen Breitwandstil; er fand sich angezogen und abgestoßen von dieser Folge einander widersprechender Posen; er überlegte, ob von ihm eine Teilnahme an der Vorstellung erwartet wurde, aber Fielding schien so vom Rampenlicht geblendet, daß ihn das Publikum davor nicht interessierte. Je mehr Smiley beobachtete, desto undefinierbarer erschien der Charakter, den er zu verstehen versuchte: veränderlich, aber unfruchtbar; mutig, aber unbeständig; farbig, maßlos, schlicht, aber doch wieder tückisch und widerspenstig. Smiley begann zu wünschen, daß er die wesentlichen Fakten über Fielding erlangen könne - seine Einkommensverhältnisse, seinen Ehrgeiz, seine Enttäuschungen.

In diesen Überlegungen wurde er von Miss Truebody gestört. Felix D'Arcy war eingetroffen.

Keine Kerzen und ein kaltes Abendessen, vortrefflich zubereitet von Miss Truebody. Kein Rotwein, sondern Weißwein, der wie Portwein herumgereicht wurde. Und endlich, endlich erwähnte Fielding Stella Rode.

Sie hatten eher pflichtgemäß von den Geistes- und Naturwissenschaften gesprochen. Die Unterhaltung wäre langweilig gewesen (denn sie war oberflächlich), wäre nicht D'Arcy ständig von Fielding angestachelt worden, der darauf erpicht schien, D'Arcy in seinem schlechtesten Licht zu zeigen. D'Arcys Urteile über Menschen und Probleme waren hauptsächlich davon gefärbt, was er als »angemessen» (ein Lieblingswort) betrachtete, und von einer weibischen Bosheit gegen seine Kollegen. Nach einer Weile fragte Fielding, wer Rode während seiner Abwesenheit vertrete, worauf D'Arcy erwiderte: »Niemand« und salbungsvoll hinzusetzte: »Sie war ein schrecklicher Schock für die Gemeinschaft, diese Affäre.«

»Unsinn«, gab Fielding zurück. »Jungen lieben Katastrophen. Je weiter entfernt wir vom Tode sind, desto anziehender erscheint er uns. Sie finden die ganze Angelegenheit sehr anregend.«

»Die Publizität war höchst unangemessen«, sagte D'Arcy, »wirklich. Ich glaube, das ist bei vielen von uns im Konferenzzimmer die vorherrschende Meinung gewesen.« Er wandte sich an Smiley:

»Die Presse, wissen Sie, ist hier eine ständige Ursache von Ärger. Früher hätte das nie passieren können. In der Vergangenheit waren unsere großen Familien und Institutionen nicht solchen Zudringlichkeiten unterworfen. Nein, wirklich nicht. Aber heute ist das alles anders. Viele von uns sind genötigt, die billigeren Zeitungen zu halten, aus genau diesem Grund. Eine Sonntagszeitung erwähnte nicht weniger als vier von Hechts ehemaligen Schülern in einer Ausgabe. Alle in einem unziemlichen Zusammenhang, darf ich sagen. Und natürlich verabsäumt eine solche Zeitung es nie, darauf hinzuweisen, daß der betreffende Junge ein Carnianer ist. Sie wissen, nehme ich an, daß wir den jungen Prinzen hier haben. Ich selbst habe die Ehre, seine französischen Studien zu beaufsichtigen. Der junge Sawley ist ebenfalls in Carne. Die Betriebsamkeit der Presse während des Scheidungsprozesses seiner Eltern war beklagenswert. Wirklich beklagenswert. Der Direktor schrieb an den Presserat, wissen Sie. Ich habe den Brief selbst aufgesetzt. Aber bei diesem tragischen Ereignis haben sie sich selbst überboten. Wir hatten die Presseleute gestern abend sogar beim letzten Gottesdienst, sie warteten auf das besondere Gebet. Sie nahmen die ganzen zwei hinteren Stuhlreihen an der Westseite ein. Hecht hatte Kirchendienst und versuchte, sie hinauszubekommen.« Er machte eine Pause, hob die Brauen in sanfter Abwehr und lächelte. »Natürlich war er dazu nicht befugt, aber das hielt den guten Hecht nicht ab.« Er wandte sich wieder an Smiley. »Einer unserer athletischen Glaubensgenossen«, erklärte er.