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Während Shane ihren Mantel holte, standen die beiden Männer zusammen in der Halle, aber keiner sprach.

Shane kam zurück, eine Hermelinstola, gelb vor Alter, über ihre breiten weißen Schultern drapiert. Sie neigte ihren Kopf nach rechts, lächelte und reichte Fielding die Hand zum Kuß.

»Terence, Darling«, sagte sie, als Fielding ihre dicken Finger küßte, »so liebenswürdig. Und in deinem letzten Semester. Du mußt mit uns essen, ehe du gehst. So traurig. So wenige von uns übrig.« Sie lächelte wieder, mit halb geschlossenen Augen, um eine Gefühlsverwirrung anzudeuten, und folgte dann ihrem Mann auf die Straße. Es war noch immer bitter kalt, Schnee lag in der Luft.

Fielding schloß und verriegelte sorgfältig die Tür hinter ihnen - vielleicht einen Bruchteil früher, als es die Höflichkeit erforderte - und kehrte ins Eßzimmer zurück. Hechts Portweinglas war noch etwa halbvoll. Fielding nahm es und goß den Inhalt sorgsam in die Kristallflasche zurück. Er hoffte, daß Hecht nicht zu aufgebracht war, denn er schätzte es nicht, bei den Leuten unbeliebt zu sein. Er löschte die schwarzen Kerzen, indem er die Dochte zwischen Zeigefinger und Daumen drückte. Dann drehte er das Licht an, nahm ein billiges Notizbuch von der Anrichte und öffnete es. Es enthielt eine Liste seiner Dinnergäste für den Rest des Semesters. Mit seiner Füllfeder machte er ein ordentliches Häkchen an dem Namen Hecht. Die waren erledigt. Am Mittwoch würde er die Rodes bei sich haben. Der Mann hatte einigen Wert, aber sie war natürlich gräßlich... Das war bei Ehepaaren nicht immer so. In der Regel waren die Frauen viel sympathischer.

Er öffnete die Anrichte und nahm eine Flasche Brandy und einen Schwenker heraus. Beide in einer Hand haltend, mit der anderen beim Gehen an der Wand Halt suchend, schlurfte er mürrisch ins Wohnzimmer zurück. Gott! Er fühlte sich plötzlich alt; dieses dünne schmerzhafte Ziehen über der Brust, diese Schwere in den Beinen und Füßen. Solch eine Anstrengung, mit Menschen zusammenzusein - immer Theater zu spielen. Er haßte es, allein zu sein, aber die Menschen langweilten ihn. Alleinsein war wie Müdesein ohne die Fähigkeit zu schlafen. Irgendein deutscher Dichter hatte das gesagt; er hatte es einmal zitiert: »Du darfst schlafen, aber ich muß tanzen.« Etwas dergleichen.

So bin ich, dachte Fielding. So ist auch Carne; ein alter Satyr, der zur Musik tanzt. Die Musik wurde schneller, und ihre Körper wurden älter, doch sie mußten weitertanzen - in den Kulissen warteten junge Leute. Einmal war es komisch gewesen, die alten Tänze in einer neuen Welt zu tanzen. Er schenkte sich noch etwas Brandy ein. Eigentlich ging er nicht ungern von hier fort, obwohl er irgendwo anders wieder unterrichten mußte.

Aber es hatte seine Reize, Carne... Der Hof der Abtei im Frühling... die Flamingo-Gestalten der Jungen, die auf das Ritual der Andacht warteten... die Ebbe und Flut der Kinder, wie die Jahreszeiten, und die alten Männer, die dazwischen starben. Er wünschte, malen zu können; er würde das Schauspiel von Carne in den falben Brauntönen des Herbstes malen... Was für ein Jammer, dachte Fielding, daß sein Geist, der für Schönheit empfänglich war, kein schöpferisches Talent besaß.

Er sah auf die Uhr. Viertel vor zwölf. Fast an der Zeit auszugehen... um zu tanzen, nicht, um zu schlafen.

DAS DONNERSTAG-GEFÜHL

Es war Donnerstagabend, und die »Christliche Stimme« war gerade in Druck gegangen. In der Fleet Street war dies kaum ein historisches Ereignis. Der picklige Botenjunge, der den zerzausten Stoß von Umbruchseiten mitnahm, zeigte sich nicht dienstwilliger als unbedingt nötig war, um seine Weihnachtsgratifikation nicht zu gefährden. Und selbst in dieser Hinsicht hatte er gelernt, daß die weltlichen Journale von »Unipress« mehr materielle Wohltat versprachen als die »Christliche Stimme«; Wohltat stand nämlich genau im Verhältnis zum Absatz.

Miss Brimley, die Herausgeberin der Zeitschrift, rückte das Luftkissen unter sich zurecht und zündete sich eine Zigarette an. Ihre Sekretärin und Redakteurin - die Anstellung schloß beide Verantwortungen ein - gähnte, ließ ihr Aspirinfläschchen in die Handtasche fallen, kämmte ihr gelbliches Haar und sagte Miss Brimley gute Nacht, wie üblich einen Geruch stark parfümierten Puders und einen leeren Papiertücherkarton zurücklassend. Miss Brimley hörte zufrieden das scharf abgehackte Echo ihrer Schritte den Korridor hinunter verklingen. Es gefiel ihr, daß sie endlich, endlich allein war, und sie genoß die plötzliche Leere. Sie mußte sich immer wieder über sich selbst wundern, wie jeder Donnerstagmorgen, wenn sie das riesige Unipress-Gebäude betrat und etwas lächerlich, gleich einem farblosen Bündel auf einem Luxusdampfer, auf einer Rolltreppe nach der anderen stand, dasselbe leichte Unbehagen mit sich brachte. Jeder wußte, sie hatte die »Stimme« vierzehn Jahre lang herausgebracht, und es gab Leute, die sagten, daß ihr Layout das Beste sei, was Unipress mache. Und doch verließ sie dieses Donnerstag-Gefühl nie, nie die wache Sorge, daß sie eines Tages, vielleicht schon heute, nicht fertig sein würde, wenn der Botenjunge kam. Sie überlegte oft, was dann wohl passieren würde. Sie hatte von Fehlschlägen anderswo in diesem riesigen Konzern gehört, von Sonderartikeln, die mißbilligt, und von Redakteuren, die getadelt worden waren. Ihr war es ein Rätsel, warum sie die »Stimme« überhaupt beibehielten, mit dem teuren Büro im siebenten Stock und einer Auflage, die, wenn Miss Brimley überhaupt etwas wußte, kaum die Büroklammern bezahlte.

Die »Stimme« war um die Jahrhundertwende von dem alten Lord Landsbury gleichzeitig mit einer nonkonformistischen Tageszeitung und der »Temperenz-Gazette« gegründet worden. Aber die Tageszeitung und die »Gazette« waren seitdem längst eingegangen, und Landsburys Sohn war vor nicht so langer Zeit eines Morgens aufgewacht, um zu erfahren, daß seine ganze Firma, jeder Mann und jede Frau darin, jedes Möbelstück, die gesamte Tinte, jede Büro- und Setzschiffklammer mit dem verborgenen Gold von Unipress aufgekauft worden war.

Das war vor drei Jahren gewesen, und jeden Tag hatte sie auf ihre Entlassung gewartet. Aber die kam nie - keine Anweisung, keine Frage, kein Wort. Und da sie eine vernünftige Frau war, machte sie genauso weiter wie zuvor und hörte auf, sich zu wundern.

Und sie war glücklich. Es war leicht, über die »Stimme« die Nase zu rümpfen. Jede Woche bot sie, demütig und ohne Fanfaren, Beweise für das Eingreifen des Herrn in das Weltgeschehen, erzählte sie in einfachen und ziemlich unwissenschaftlichen Wendungen die Frühgeschichte der Juden und versah in einer Rubrik unter einem Phantasienamen jeden, der deswegen schreiben oder danach fragen mochte, mit mütterlichem Rat. Die »Stimme« befaßte sich kaum mit den rund fünfzig Millionen der Bevölkerung, die nie von ihr gehört hatten. Sie war eine Familienangelegenheit, und anstatt die zu verunglimpfen, die nicht zu ihr gehörten, tat sie lieber ihr Bestes für die, die dazugehörten. Für diese war sie gütig, optimistisch und informativ. Wenn in Indien eine Million Kinder an der Pest starben, konnte man sicher sein, daß der Leitartikel der Woche von der wunderbaren Errettung einer Methodistenfamilie in Kent aus Feuersnot berichtete. Die »Stimme« beriet einen nicht, wie man die zunehmenden Fältchen um die Augen beseitigen oder die sich ausdehnende Figur kontrollieren könne; sie entmutigte einen, wenn man alt war, nicht durch ihre eigene ewige Jugend. Sie gehörte selbst zum mittleren Alter und zur Mittelklasse, sie riet Mädchen Vorsicht und allen Nachsicht an. Nonkonformismus ist die konservativste aller Gewohnheiten, und Familien, die die »Stimme« 1903 abonniert hatten, abonnierten sie auch 1960 weiter.

Miss Brimley war nicht ganz das Abbild ihrer Zeitschrift. Das Kriegsgeschick und die Launen der Arbeit in der militärischen Abwehr hatten sie mit dem jüngeren Lord Landsbury in Partnerschaft gebracht, und in den sechs Kriegsjahren hatten sie tüchtig und unauffällig in einem namenlosen Gebäude in Knightsbridge zusammengearbeitet. Die Wechselfälle des Friedens machten sie beide arbeitslos, doch Landsbury war nicht nur so klug, sondern auch so großzügig, Miss Brimley einen Posten anzubieten. Die »Stimme« hatte während des Krieges ihr Erscheinen eingestellt, und niemand schien erpicht darauf, sie wieder herauszugeben. Zuerst hatte Miss Brimley sich etwas beschämt gefühlt, eine Zeitschrift wiederzubeleben und herauszugeben, die in keiner Weise ihren eigenen vagen Gottesglauben ausdrückte; aber sehr bald, als die rührenden Briefe eintrafen und die Auflage sich erholte, entwickelte sie eine Zuneigung zu ihrer Arbeit - und zu ihren Lesern-, die ihre früheren Bedenken überwog. Die »Stimme« war ihr Leben, und ihre Leser waren ihre Hauptbeschäftigung. Sie bemühte sich, ihre kuriosen, besorgten Fragen zu beantworten, suchte Rat von anderen, wenn sie ihn nicht selbst geben konnte, und wurde mit der Zeit unter einer Handvoll Decknamen wenn nicht ihr Philosoph, so doch ihre Führerin, Freundin und Tante für alles.