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»Sie wollten ihn da nicht hineinziehen. Wenn Sie der Polizei sagten, was Sie gesehen hatten, würde es auch Tim ruinieren?«

Fielding nickte. »In ganz Carne war er das einzige, was ich liebte.«

»Liebte?« fragte Smiley.

»Um Himmels willen«, sagte Fielding mit erschöpfter Stimme, »warum nicht?«

»Seine Eltern wollten, daß er auf die Militärakademie nach Sandhurst geht, ich nicht, leider. Ich dachte, ich könnte ihm, wenn ich ihn noch ein oder zwei Semester hierbehalten könnte, vielleicht ein Musikstipendium verschaffen. Deswegen machte ich ihn zum Hauspräfekten: Ich wollte, daß seine Eltern ihn hierließen, weil er sich so gut machte.« Fielding machte eine Pause. »Er war ein miserabler Hauspräfekt«, fügte er hinzu.

»Und was genau war in der Aktenmappe«, fragte Smiley, »als Sie sie an jenem Abend öffneten, um Tims Prüfungsarbeit zu besehen?«

»Ein Packen aus durchsichtigem Kunststoff - es kann eines von diesen zusammenfaltbaren Capes gewesen sein, ein altes Paar Handschuhe und ein Paar selbstgemachte Gummischuhe.«

»Selbstgemacht?«

»Ja. Von einem Paar Gummistiefel abgetrennt, würde ich sagen.«

»Das ist alles?«

»Nein. Da war noch ein Stück schweres Kabel; wie ich annahm, um etwas in seinem Naturwissenschafts-Unterricht zu demonstrieren. Es schien natürlich genug, im Winter eine Regenhaut bei sich zu führen. Dann, nach dem Mord, begriff ich, wie er es gemacht hatte.«

»Wußten Sie«, fragte Smiley, »warum er es getan hatte?«

Fielding schien zu zögern. »Rode ist ein Versuchskaninchen«, begann er, »der erste, den wir von einer öffentlichen Schule hatten. Die meisten von uns sind tatsächlich selbst alte Carnianer. Schon darauf eingestellt, wenn wir anfangen. Rode war es nicht, und Carne regte ihn auf. Der Name Carne selbst bedeutet Qualität, und Rode liebte Qualität. Seine Frau war nicht so. Sie hatte ihren Standard, und der war anders, aber genausogut. Ich pflegte Rode mitunter in der Abtei am Sonntagmorgen zu beobachten. Die Lehrer sitzen am Ende der Bankreihen, ganz beim Mittelschiff, wissen Sie. Ich beobachtete sein Gesicht, wenn der Chor an ihm vorbeizog, in Weiß und Scharlach, und der Direktor in seinem Talar eines Doktors der Philosophie, die Kuratoren hinter sich. Rode war trunken - trunken vom Stolz auf Carne. Wir sind berauschender Wein für die Leute von öffentlichen Schulen, wissen Sie. Es muß ihn schrecklich geschmerzt haben, daß Stella daran überhaupt nicht teilnahm. Man konnte das sehen. Noch an dem Abend, als sie zu mir zum Dinner kamen, an demselben Abend, als sie starb, zankten sie sich. Ich habe es niemandem erzählt, aber es stimmt. Der Direktor hatte an jenem Abend bei der Komplet eine Predigt »Haltet fest am Guten< gehalten. Rode sprach bei Tisch darüber; er konnte nicht viel Alkohol vertragen, wissen Sie, er war nicht daran gewöhnt. Er war erfüllt von dieser Predigt und der Beredsamkeit des Direktors. Seine Frau kam nie in die Abtei - sie ging in das schäbige Bethaus beim Bahnhof. Er verbreitete sich über die Schönheit des Abteirituals, die Würde, die Ehrfurcht. Sie verhielt sich still, bis er fertig war, lachte dann und sagte: >Armer alter Stan. Du wirst immer Stan für mich bleiben. < Ich habe noch nie jemanden so zornig gesehen wie damals ihn. Er wurde ganz blaß.«

Fielding wischte sich das weiße Haar aus den Augen und fuhr beinahe mit der alten Großspurigkeit fort: »Ich habe sie bei den Mahlzeiten beobachtet. Nicht nur hier, sondern auch bei Dinnergesellschaften anderswo, wenn wir beide eingeladen waren. Ich habe beobachtet, wie sie die simpelsten Dinge tat - etwa einen Apfel aß. Sie schälte ihn in einem Stück rundherum, bis die ganze Schale abfiel. Dann schnitt sie den Apfel auf und würfelte die Viertel, machte alles fertig, ehe sie ihn aß. Sie hätte die Frau eines Bergarbeiters sein können, die den Apfel für ihren Mann vorbereitet. Sie mußte doch gesehen haben, wie die Leute so etwas hier machen, aber es fiel ihr nie ein, daß sie sie nachahmen sollte. Ich bewundere das. Sie, Mr. Smiley, vermutlich auch. Aber Carne nicht - und Rode nicht; vor allem Rode nicht. Er pflegte sie zu beobachten, und ich glaube, er begann sie zu hassen, weil sie sich nicht anpaßte. Er sah sie allmählich als Hindernis für seinen Erfolg, als den einen Faktor, der ihn einer großen Karriere berauben würde. Einmal zu diesem Ergebnis gekommen, was konnte er tun? Er konnte sich nicht scheiden lassen - das hätte ihm mehr Schaden zugefügt, als wenn er mit ihr verheiratet blieb. Rode wußte, was Carne über eine Scheidung denken würde; wir sind eine Kirchengründung, bedenken Sie das. Deswegen tötete er sie. Er plante seinen schäbigen Mord und gab ihnen mit seinem kleinen Naturwissenschaftlerverstand all die Spuren, die sie finden wollten. Fabrizierte Spuren. Spuren, die auf einen Mörder hindeuten sollten, der gar nicht existierte. Aber etwas ging schief; Tim Perkins bekam einundsechzig Prozent. Er hatte eine unwahrscheinlich gute Note bekommen - er mußte gemogelt haben. Er hatte die Gelegenheit dazu - er hatte die Arbeiten in der Aktentasche gehabt. Rode setzte seinen kleinen Verstand daran und entschied, was geschehen war: Tim hatte die Mappe geöffnet und das Cape, die Schuhe und Handschuhe gesehen. Und das Kabel. Deswegen tötete Rode auch ihn.«

Mit überraschender Energie stand Fielding auf und schenkte sich einen Brandy ein. Sein Gesicht war gerötet, fast triumphierend.

Smiley stand auf. »Wann, sagten Sie, würden Sie nach London kommen? Donnerstag, nicht wahr?«

»Ja. Ich hatte abgemacht, daß ich mit meinem Einpaukmann in einem dieser schrecklichen Clubs in Pall Mall essen würde. Ich gehe immer in den falschen, Sie auch? Aber ich fürchte, es hat nicht viel Sinn, ihn jetzt noch zu treffen, wenn dies alles herauskommen wird, nicht wahr? Nicht einmal ein Einpaukinstitut wird mich dann noch nehmen.«

Smiley zögerte.

»Kommen Sie, und essen Sie mit mir an jenem Abend. Bleiben Sie über Nacht, wenn Sie wollen. Ich werde noch ein oder zwei Leute dazubitten. Wir werden eine Party abhalten. Sie werden sich bis dahin besser fühlen. Wir können ein bißchen plaudern. Vielleicht bin ich imstande, Ihnen zu helfen... um Adrians willen.«

»Danke. Ich täte es gern. Abgesehen von der Unterredung habe ich ohnehin allerlei in London zu ordnen.«

»Gut. Viertel vor acht. Bywater Street, Chelsea, Nummer 9 A.«

Fielding schrieb es in sein Notizbuch. Seine Hand war ganz sicher.

»Smoking?« fragte Fielding, den Stift gezückt, und irgendein Kobold ließ Smiley antworten:

»Ich ziehe gewöhnlich einen an, aber es ist nicht wichtig.« Einen Moment war Schweigen.

»Ich nehme an«, begann Fielding tastend, »daß dies alles in der Gerichtsverhandlung herauskommen wird, über Tim und mich? Ich werde ruiniert sein, wenn das geschieht, wissen Sie, ruiniert.«

»Ich weiß nicht, wie man das verhindern könnte.«

»Jetzt fühle ich mich jedenfalls viel besser«, sagte Fielding, »viel besser.«

Mit einem flüchtigen Adieu ließ Smiley ihn allein. Still ging er zur Polizeistation zurück, ziemlich sicher, daß Fielding der vollendetste Lügner war, dem er seit langem begegnet war.

 

ENTWISCHT

Er klopfte an Rigbys Tür und trat sofort ein.

»Es tut mir furchtbar leid, Sie müssen Rode verhaften«, begann er und schilderte seine Unterredung mit Fielding.

»Ich werde es dem Chef berichten müssen«, sagte Rigby zweifelnd. »Möchten Sie das alles vor ihm wiederholen? Wenn wir einen Carne-Lehrer einnähen wollen, so meine ich, daß es der Chef zuerst wissen muß. Er ist gerade zurückgekehrt. Warten Sie eine Minute.« Er griff nach dem Telefon auf seinem Tisch und verlangte den Polizeidirektor. Einige Minuten später gingen sie schweigend einen teppichbelegten Korridor hinunter. An beiden Wänden hingen Fotos von Rugby- und Cricketmannschaften, einige vergilbt und von der indischen Sonne gebleicht, andere in dem Sepiaton, der bei Carne-Fotografen zu Beginn des Jahrhunderts in Gunst gestanden hatte. In Zwischenräumen den Korridor entlang standen leere Eimer in leuchtendem Rot, die in Weiß den sorgfältigen Aufdruck FEUER zeigten. Am hintersten Ende des Korridors war eine dunkle Eichentür. Rigby klopfte und wartete. Stille. Er klopfte wieder, und das wurde mit dem Ruf »Herein« beantwortet.