Dann begann er über sie zu sprechen. Ich hätte nie gedacht, daß ein Mensch je so über das eigene Kind sprechen würde. Er sagte, sie sei schlecht - schlecht im Herzen. Sie sei voll Tücke. Deswegen wollten keine Dienstboten auf dem Hügel bleiben. Er erzählte mir, wie sie die Leute an der Nase herumführte, ganz gutartig und warmherzig tat, bis sie ihr alles anvertrauten, und sie dann beleidigte, indem sie böse, ganz böse Dinge sagte, halb wahr, halb erlogen. Er erzählte mir noch viel mehr, und ich glaubte ihm nichts, nicht ein Wort. Ich glaube, ich verlor den Kopf und nannte ihn einen eifersüchtigen alten Mann, der seine Haushälterin nicht verlieren wolle, einen verlogenen, eifersüchtigen alten Mann, der wollte, daß ihn sein Kind bis zu seinem Tode bediente. Ich sagte, er sei schlecht, nicht Stella; und ich schrie ihn an: >Sie Lügner, Sie Lügner. < Er schien es nicht zu hören, schüttelte nur den Kopf, und ich rannte in die Halle und rief Stella. Sie war in der Küche gewesen, glaube ich; jetzt kam sie, legte die Arme um mich und küßte mich.
Wir heirateten einen Monat später, und er war Beistand der Braut. Auf der Hochzeit schüttelte er mir die Hand und nannte mich einen feinen Mann, und ich dachte, was für ein Heuchler er wäre. Er gab uns Geld - mir, nicht ihr -, zweitausend Pfund. Ich dachte, er versuchte vielleicht, die schrecklichen Dinge wiedergutzumachen, die er gesagt hatte, und so schrieb ich ihm später, daß ich ihm vergäbe. Er antwortete nie, und ich sah ihn danach nicht mehr oft.
Über ein Jahr waren wir in Branxome hinlänglich glücklich. Stella war genau das, was ich mir von ihr gedacht hatte, sauber und einfach. Sie ging gern spazieren und küßte mich an den Zaunübertritten; manchmal trat sie gern etwas großspurig auf, ging in großer Toilette in den >Delphin< zum Dinner. Damals bedeutete es mir viel, wie ich zugeben will, die richtigen Orte mit Mr. Glastons Tochter zu besuchen. Er war Rotarier und im Stadtrat und in Branxome ziemlich einflußreich. Sie pflegte mich damit zu necken - vor anderen Leuten noch dazu, was mich ein wenig irritierte. Ich erinnere mich, einmal, als wir den >Delphin< besuchten, war da ein Kellner, ein Kerl namens Johnnie Raglan. Wir waren zusammen auf der Schule gewesen. Johnnie war ein ziemlicher Herumtreiber und hatte, seitdem er die Schule verlassen hatte, nicht viel anderes getan, als Mädchen nachzulaufen und in Schwierigkeiten zu geraten. Stella kannte ihn, woher, weiß ich nicht, und winkte ihm, sowie wir uns gesetzt hatten. Johnnie kam herüber, und Stella forderte ihn auf, noch einen Stuhl zu bringen und sich zu uns zu setzen. Der Geschäftsführer warf Dolchblicke, wagte aber nichts zu tun, weil sie Samuel Glastons Tochter war. Johnnie blieb während des ganzen Essens da, und Stella sprach mit ihm über die Schule, und wie ich denn so gewesen wäre. Johnnie gefiel das großartig, er wurde frech und sagte, ich sei ein Streber, ein braver Junge und so weiter gewesen und wie er mich herumgeboxt habe - fast lauter Lügen, und Stella stachelte ihn auf. Ich stellte sie hinterher zur Rede und sagte, ich bezahlte nicht gutes Geld im >Delphin< dafür, um mir von Johnnie eine Menge Aufschneidereien anzuhören, und sie fuhr so rasch wie eine Katze auf mich los. Es sei ihr Geld, sagte sie, und Johnnie sei immer noch so gut wie ich. Dann tat es ihr leid, sie küßte mich, und ich tat so, als verzeihe ich ihr.«
Schweiß trat ihm ins Gesicht; er sprach rasch, die Worte überschlugen sich. Es war, als erinnere sich jemand eines Alpdrucks, als sei die Erinnerung noch da, die Furcht erst halb verschwunden. Er machte eine Pause und sah Smiley scharf an, als erwarte er von ihm eine Äußerung, doch Smiley schien an ihm vorbeizusehen, das Gesicht teilnahmslos; die weichen Umrisse seiner Züge waren hart geworden.
»Dann gingen wir nach Carne. Ich war gerade Abonnent der >Times< geworden und sah die Anzeige. Sie suchten einen Lehrer für Naturwissenschaft, und ich bewarb mich. Mr. D'Arcy interviewte mich, und ich bekam die Stelle. Erst als wir nach Carne kamen, erkannte ich, daß das, was ihr Vater gesagt hatte, wahr war. Sie war vorher nicht besonders auf ihre Sekte erpicht gewesen, aber sobald sie hier angekommen war, engagierte sie sich in großem Stil dafür. Sie wußte, es würde falsch aussehen, würde mich verletzen. Branxome hat eine schöne große Kirche; es war nichts Sonderbares daran, zum Branxome-Bethaus zu gehen. Aber in Carne war das anders; Carnes Bethaus ist ein kleines abgelegenes Gebäude mit einem Blechdach. Sie wollte anders sein als die anderen, wollte die Schule und mich kränken, indem sie die Demütige spielte. Es hätte mir nichts ausgemacht, wenn es ihr ernst gewesen wäre, aber das war es nicht; Mr. Cardew wußte es. Er lernte Stella kennen. Ich glaube, ihr Vater sagte es ihm; jedenfalls war Mr. Cardew schon vorher im Norden gewesen und kannte die Familie gut. Nach allem, was ich weiß, schrieb er an Mr. Glaston oder ging wohl hin und besuchte ihn.
Sie fing hier ganz gut an. Die Leute aus der Stadt waren alle entzückt, sie zu sehen - eine Frau aus dem College, die zum Bethaus kam, das hatte es nie zuvor gegeben. Dann machte sie sich daran, den Aufruf für die Flüchtlinge zu organisieren - Kleider zu sammeln und so weiter. Miss D'Arcy machte das für die Schule, Mr. D'Arcys Schwester, und Stella wollte sie in ihrem eigenen Spiel schlagen - mehr von den Bethaus-Leuten bekommen, als Miss D'Arcy von der Schule bekam. Aber ich wußte, was sie tat, Mr. Cardew wußte es auch, und am Ende wußten es auch die Stadtleute. Sie lauschte. Jeden Tropfen Klatsch und Schmutz sammelte sie. Manchmal kam sie abends nach Hause - Mittwoch und Freitag machte sie ihre Arbeit für die Gemeinde -, warf ihren Mantel ab und lachte, bis ich meinte, sie sei verrückt geworden.
>Ich hab' sie! Ich habe sie alle!< sagte sie dann. >Ich kenne alle ihre kleinen Geheimnisse, und ich habe sie in der Hand, Stan.< Das sagte sie immer wieder. Und die, die es herausbekamen, kriegten allmählich Angst vor ihr. Sie klatschten alle, weiß der Himmel, aber nicht, um davon zu profitieren wie Stella. Stella war verschlagen; alles Anständige, alles Gute zog sie in den Schmutz. Es gab ein Dutzend Leute, die sie genau durchschaut hatte. Da war Mulligan, der Spediteur; er hatte eine Tochter mit einem Kind bei Leamington. Irgendwie fand sie heraus, daß sie nicht verheiratet war, daß man sie zu einer Tante geschickt hatte, um ihr Baby zur Welt zu bringen und da oben neu anzufangen. Sie rief Mulligan einmal an, es hatte etwas mit einer Rechnung für den Transport von Simon Snows Möbeln zu tun, und sagte: >Grüße aus Bad Leamington, Mr. Mulligan. Wir brauchen etwas Mitarbeit.< Sie erzählte es mir - sie kam nach Hause, schüttelte sich vor Lachen und erzählte es mir. Aber sie kriegten sie am Ende, wie? Sie rächten sich!«
Smiley nickte langsam, seine Augen jetzt voll auf Rode gerichtet.
»Ja«, sagte er endlich. »Sie rächten sich.«
»Sie dachten, die verrückte Janie habe es getan, aber ich nicht. Janie hätte eher ihre eigene Schwester getötet als Stella. Sie waren sich so nahe wie Mond und Sterne, sagte Stella. Sie redeten abends stundenlang miteinander, wenn ich spät aus war, auf Versammlungen oder bei Nachhilfeunterricht. Stella kochte für sie, gab ihr Kleider und Geld. Es gab ihr ein Gefühl der Macht, einer Kreatur wie Janie zu helfen und sie um sich herumschwänzeln zu lassen. Nicht, weil sie gütig, sondern weil sie grausam war.
Sie hatte aus Branxome einen kleinen Hund mitgebracht, einen Köter. Vor einigen Monaten kam ich eines Tages nach Hause und fand ihn in der Garage liegen, winselnd, verschreckt. Er humpelte und hatte einen blutigen Rücken. Sie hatte ihn geschlagen. Sie mußte verrückt geworden sein. Sie hatte ihn schon früher geschlagen, aber so noch nie; noch nie. Dann geschah etwas - ich schrie sie an, und sie lachte, und dann schlug ich sie. Nicht heftig, aber doch heftig genug. Ins Gesicht. Ich gab ihr vierundzwanzig Stunden, entweder den Hund töten zu lassen, oder ich würde es der Polizei sagen. Sie kreischte mich an - es sei ihr Hund und sie könne mit ihm tun, was ihr, zum Teufel, gefalle -, aber am nächsten Tag setzte sie ihren kleinen schwarzen Hut auf und brachte den Hund zum Tierarzt. Ich nehme an, sie erzählte ihm irgendeine Geschichte. Sie konnte um alles eine gute Geschichte herumspinnen, das konnte Stella. Sie schlüpfte sozusagen in eine Rolle hinein und spielte sie bis zum Ende durch. Wie die Geschichte, die sie den Ungarn erzählte.