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Miss D'Arcy hatte einmal Flüchtlinge aus London zum Aufenthalt bei sich, und Stella erzählte ihnen eine solche Geschichte, daß sie fortliefen und man sie wieder nach London zurückholen mußte. Miss D'Arcy bezahlte ihre Reisekosten und alles, bestellte sogar den Fürsorger her, um sie zu besuchen und den Versuch zu machen, alles wieder in Ordnung zu bringen. Ich glaube nicht, daß Miss D'Arcy wußte, wer sich an sie herangemacht hatte, aber ich wußte es - Stella erzählte es mir. Sie lachte, immer dasselbe Lachen: >Da hast du deine feine Lady, Stan. Sieh dir jetzt mal ihre Wohltätigkeit an.<

Nach der Sache mit dem Hund gewöhnte sie sich an, so zu tun, als sei ich gewalttätig; sie duckte sich weg, wann immer ich ihr nahe kam, hielt den Arm hoch, als wollte ich sie wieder schlagen. Sie gab sogar vor, daß ich plante, sie zu ermorden: sie ging hin und erzählte das Mr. Cardew. Sie glaubte es selbst nicht; manchmal lachte sie darüber. Sie sagte mir: >Es hat keinen Sinn, mich jetzt zu töten, Stan. Alle werden wissen, wer es getan hat.< Aber zu anderen Zeiten winselte sie, streichelte mich und bat, sie nicht zu töten. >Du wirst mich in den langen Nächten töten!< Sie schrie das heraus - das waren die Worte, an denen sie sich berauschte: >die langen Nächte<; sie liebte ihren Klang in der Art eines Schauspielers, und sie baute eine ganze Geschichte um sie herum. >Oh, Stan<, sagte sie, >beschütze mich in den langen Nächten.< Wissen Sie, wie es ist, wenn man ohnehin nie daran gedacht hat, irgend etwas zu tun, und jemand einen unentwegt bittet, es nicht zu tun? Man denkt, man tut es schließlich vielleicht doch, man beginnt, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen.«

Miss Brimley zog ziemlich scharf den Atem ein. Smiley stand auf und ging zu Rode hinüber.

»Warum gehen wir nicht in mein Haus zurück und essen etwas?« sagte er. »Wir können das in Ruhe miteinander besprechen. Unter Freunden.«

Sie nahmen ein Taxi zur Bywater Street, Rode saß neben Ailsa Brimley, jetzt etwas entspannter, und Smiley, ihm gegenüber auf einem Klappsitz, beobachtete ihn und dachte nach. Und es fiel ihm ein, daß das Wichtigste an Rode die Tatsache war, daß er keine Freunde hatte. Smiley erinnerte sich an Büchners Märchen von dem in einer leeren Welt allein gelassenen Kind, das, weil es niemanden fand, mit dem es sprechen konnte, auf den Mond ging, da dieser es anlächelte; aber der Mond war aus morschem Holz gemacht. Und als Sonne, Mond und Sterne alle zu nichts geworden waren, versuchte es, auf die Erde zurückzugelangen, aber sie war verschwunden.

Vielleicht, weil Smiley müde war, oder vielleicht, weil er ein wenig alt wurde, empfand 6r eine Regung plötzlichen Mitleids für Rode, wie sie Kinder für die Armen und Eltern für ihre Kinder empfinden. Rode hatte sich so sehr bemüht - er hatte Carnes Sprache gebraucht, die richtigen Kleider gekauft und nach bestem Vermögen die richtigen Gedanken gedacht und war doch hoffnungslos abseits, hoffnungslos allein geblieben.

Er zündete das Gasfeuer im Wohnzimmer an, während Ailsa Brimley in den Delikatessenladen in der King's Road ging, um Suppe und Eier zu kaufen. Er schenkte Whisky und Soda ein und gab Rode einen; dieser trank in kurzen Schlucken, ohne zu sprechen.

»Ich mußte es jemandem erzählen«, sagte er schließlich. »Ich dachte, Sie wären der richtige Mann dafür. Ich wollte aber nicht, daß Sie den Artikel veröffentlichen. Zu viele wußten Bescheid, sehen Sie.«

»Wie viele wußten wirklich Bescheid?«

»Nur die, hinter denen sie her war, glaube ich. Ungefähr ein Dutzend Stadtleute, nehme ich an. Und Mr. Cardew natürlich. Sie war schrecklich schlau, wissen Sie. Sie gab Klatsch nicht häufig weiter. Sie wußte aufs Haar genau, wie weit sie gehen konnte. Die Bescheid wußten, das waren die, die sie am Haken hatte. Oh - und D'Arcy, Felix D'Arcy, er wußte es. Sie hatte da etwas Besonderes, etwas, wovon sie mir nie erzählt hat. Es gab Nächte, da legte sie ihren Schal um und schlüpfte hinaus, ganz aufgeregt, als gehe sie zu einer Party. Manchmal ganz spät, elf oder zwölf. Ich fragte sie nie, wohin sie ging, weil es sie nur verstockt machte, aber manchmal sah sie mich ganz schlau an und sagte: >Du weißt es nicht, aber D'Arcy weiß es, und der darf nichts sagen.< Dann lachte sie wieder, versuchte geheimnisvoll auszusehen und ging fort.«

Smiley schwieg lange, beobachtete Rode und dachte nach. Dann fragte er plötzlich: »Was war Stellas Blutgruppe, wissen Sie es?«

»Meine ist B. Das weiß ich. Ich war Blutspender in Branxome. Ihre war anders.«

»Woher wissen Sie das?«

»Sie ließ einen Test machen, bevor wir heirateten. Sie litt unter Blutarmut. Ich erinnere mich nur, daß ihres anders war, das ist alles. Wahrscheinlich A. Ich kann mich nicht genau erinnern. Warum?«

»Wo waren Sie als Blutspender registriert?«

»In der Bluttransfusionszentrale North Poole.«

»Wird man Sie dort noch erkennen? Sind Sie noch registriert?«

»Ich nehme es an.«

Die Klingel an der Haustür ertönte. Es war Ailsa Brimley, die von ihrem Einkauf zurückkam.

Ailsa betätigte sich in der Küche, während Rode und Smiley in der warmen Behaglichkeit des Wohnzimmers saßen.

»Sagen Sie mir noch etwas«, sagte Smiley, »über die Nacht des Mordes. Warum ließen Sie die Aktenmappe zurück? War es Gedankenlosigkeit?«

»Nein, nicht eigentlich. Ich hatte an jenem Abend Kirchendienst, und daher kamen Stella und ich getrennt in Fieldings Haus an. Sie traf vor mir dort ein, und Fielding gab ihr, glaube ich, die Mappe - ganz zu Beginn des Abends, damit es nicht vergessen würde. Er sagte später am Abend etwas darüber. Sie hatte die Mappe neben ihren Mantel in der Halle hingelegt. Es war nur ein kleines Ding, ungefähr fünfundvierzig mal dreißig Zentimeter. Ich hätte schwören können, daß sie es trug, als wir in der Halle standen und uns verabschiedeten, aber ich muß mich wohl geirrt haben. Erst als wir zum Haus kamen, fragte sie mich, was ich damit gemacht hätte.«

»Sie fragte Sie, was Sie damit gemacht hätten?«

»Ja. Dann geriet sie außer sich und sagte, ich erwartete wohl, daß sie an alles dächte. Ich hatte keine besondere Lust zurückzugehen, ich hätte ja auch Fielding anrufen und verabreden können, daß ich sie gleich am nächsten Morgen abholen würde, aber Stella wollte davon nichts wissen. Sie ließ mich hingehen. Ich wollte der Polizei die Geschichte von unserem Streit nicht erzählen, es schien nicht richtig.«

Smiley nickte. »Als Sie zu Fielding zurückkamen, klingelten Sie?«

»Ja. Da ist die Haustür, dann eine innere Glastür, eine Art Windfang. Die Haustür war noch offen, und das Licht in der Halle brannte. Ich klingelte und bekam das Köfferchen von Fielding.«

Sie hatten das Abendessen beendet, als das Telefon läutete.

»Rigby hier, Mr. Smiley. Ich habe die Laboratoriumsergebnisse bekommen. Sie sind ziemlich rätselhaft.«

»Die Prüfungsarbeiten zuerst: Es stimmt nicht überein?«

»Nein, nicht. Unsere Experten sagen, alle Zahlen und alles Geschriebene seien mit demselben Kugelschreiber ausgeführt. Bei den Diagrammen sind sie nicht sicher, aber sie erklären, daß die Beschriftungen aller Diagramme der sonstigen Schrift auf dem Bogen entsprechen.«

»Alles tatsächlich doch von dem Jungen ausgeführt?«

»Ja. Ich habe einige andere Proben seiner Handschrift zum Vergleich beigebracht. Sie entsprechen durchgehend jenen auf der Prüfungsarbeit. Fielding kann daran nicht herumgepfuscht haben.«

»Gut. Und die Kleidung? Auch da nichts drauf?«

»Nur Blutspuren. Keine Abdrücke auf dem Kunststoff.«