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Sie sahen ihn beide an, Ailsa in Schrecken, Fielding regungslos, passiv.

»Wenn man das bedenkt«, fragte Fielding endlich, »wieso nimmt man dann an, daß ich wußte, Rode werde wegen der Mappe in derselben Nacht noch zurückkommen?«

»Oh, man wußte, daß sie erwartete, Sie in jener Nacht nach dem Dinner in Ihrem Haus zu treffen.« Smiley warf dies hin, als sei es eine langweilige Einzelheit. »Es gehörte zu dem Spiel, das sie zu spielen liebte.«

»Woher weiß man das?«

»Nach Rodes Aussage«, fuhr Smiley fort, »trug Stella die Mappe in die Halle, hatte sie tatsächlich in der Hand. Als sie in North Fields ankamen, hatte sie sie nicht; sie geriet in Wut und bezichtigte ihn, sie vergessen zu haben. Sie veranlaßte ihn, deswegen zurückzugehen. Sie sehen die Folgerung?«

»Oh, klar«, sagte Fielding, und Smiley hörte Ailsa Brimley voll Schreck seinen Namen flüstern.

»Mit anderen Worten: Als Stella diesen Trick ausheckte, um ihren verschrobenen Willen zu befriedigen, sahen Sie es als eine Gelegenheit, sie zu töten, indem Sie die Schuld einem nicht existierenden Landstreicher zuschoben oder, wenn das fehlschlug, als zweiter Verteidigungslinie Rode. Angenommen, Sie hätten vorgehabt, sie zu töten. Sie hätten vorgehabt, nehme ich an, eines Nachts dort hinauszufahren, wenn Rode Abendunterricht hatte. Sie hatten Ihre Stiefel und Ihr Cape, selbst das aus Rodes Zimmer entwendete Kabel, und Sie hatten vor, eine falsche Fährte zu legen. Aber was für eine blendende Gelegenheit, als Perkins mit der Aktenmappe erschien! Stella wollte ihr Zusammentreffen - es war verabredet, daß die vergessene Mappe als Mittel dienen sollte, es herbeizuführen. In dieser Richtung, fürchte ich, werden sich vielleicht die Überlegungen bewegen. Und sehen Sie, man weiß, daß es Rode nicht war.«

»Wieso weiß man es? Wie kann man es wissen? Rode hat kein Alibi.«

Smiley schien nicht zu hören. Er sah zum Fenster und den sich unruhig bewegenden schweren Samtvorhängen.

»Was ist? Wohin sehen Sie?« fragte Fielding plötzlich drängend, aber Smiley antwortete nicht.

»Sehen Sie, Fielding«, sagte er endlich, »wir wissen einfach nicht, wie die Menschen sind, wir können es niemals erklären; es gibt keine Wahrheit über menschliche Wesen, keine Formel, die jedem von uns entspricht. Und es gibt einige unter uns - nicht wahr? -, die nichts sind, die so labil sind, daß wir uns selbst verblüffen; wir sind Chamäleons. Ich las einmal eine Geschichte von einem Dichter, der in kalten Quellen badete, so daß er in dem Gegensatz seine eigene Existenz erkennen konnte. Er mußte sich selbst bestätigen, sehen Sie, wie ein Kind, das gegen seine Eltern widerwärtig ist. Sie könnten vielleicht sagen, er habe die Sonne auf sich scheinen lassen, so daß er seinen Schatten sehen und sich lebendig fühlen konnte.«

Fielding machte eine ungeduldige Handbewegung. »Wieso wissen Sie, daß es nicht Rode war?«

»Die Leute, die so sind - es gibt wirklich einige, Fielding-, kennen Sie ihr Geheimnis? Sie können in ihrem Innern nichts empfinden, weder Freude noch Leid, weder Liebe noch Haß; sie schämen sich und sind erschrocken, daß sie nichts fühlen können. Und ihre Scham, diese Scham, Fielding, drängt sie zu Übertreibungen und Prunk; sie müssen das kalte Wasser spüren; ohne das sind sie nichts. Die Welt sieht sie als Showmen, Phantasten, Lügner, vielleicht als Sensualisten, aber nicht als das, was sie sind: lebende Leichname.«

»Woher wissen Sie es? Woher wissen Sie, daß es nicht Rode war?« rief Fielding mit Zorn in der Stimme, und Smiley antwortete: »Ich werde es Ihnen sagen.«

»Wenn Rode seine Frau ermordete, so hatte er das lange vorher geplant. Das Kunststoffcape, die Stiefel, die Waffe, die knifflige Zeiteinteilung, Perkins' Verwendung, um die Mappe zu Ihrem Haus zu tragen - dies sind Beweise langer Vorausplanung. Natürlich könnte man fragen: Wenn das so ist, warum gab er sich überhaupt mit Perkins ab - warum behielt er die Mappe nicht die ganze Zeit bei sich? Aber lassen wir das auf sich beruhen. Betrachten wir, wie er es macht. Er geht mit seiner Frau nach dem Dinner nach Hause, nachdem er absichtlich die Mappe vergessen hat. Nachdem er Stella zu Haus gelassen hat, kehrt er zu Ihrem Haus zurück, um sie abzuholen. Es war übrigens eine riskante Sache, die Mappe zurückzulassen. Ganz abgesehen von der Tatsache, daß man von ihm erwartet hätte, er habe sie abgeschlossen, hätte vielleicht seine Frau bemerken können, daß er sie nicht bei sich hatte, als sie fortgingen - oder Sie hätten es bemerken können, oder Miss Truebody -, aber glücklicherweise bemerkte es niemand. Er holt also die Mappe, eilt zurück, tötet seine Frau, fabriziert die Hinweise, die die Polizei irreführen. Er wirft Cape, Stiefel und Handschuhe in das Flüchtlingspaket, verschnürt es und trifft Vorbereitungen, sein Entkommen zu sichern. Er wird vielleicht von der verrückten Janie erschreckt, erreicht aber die Gasse und betritt von neuem das Haus als Stanley Rode. Fünf Minuten später ist er bei den D'Arcys. Von da an ist er für die nächsten achtundvierzig Stunden unter ständiger Überwachung. Vielleicht wußten Sie das nicht, Fielding, aber die Polizei fand die Mordwaffe sechs Kilometer straßenabwärts in einem Graben. Sie fand sie zehn Stunden nach der Entdeckung des Mordes, lange bevor Rode eine Chance hatte, sie dorthin zu werfen.

Darauf aber kommt es an, Fielding. Darüber kann die Polizei nicht hinwegkommen. Ich nehme an, es wäre möglich, eine fingierte Mordwaffe herzustellen. Rode hätte Haare von Stellas Kamm nehmen, sie mit Menschenblut auf ein Stück Koaxialkabel kleben und das Ding in einen Graben legen können, bevor er den Mord beging. Aber das einzige Blut, das er benutzen konnte, war sein eigenes - das zu einer anderen Blutgruppe gehört. Das Blut an der Waffe, die die Polizei fand, gehörte zu Stellas Blutgruppe. Er hat es also nicht getan. Es gibt einen noch konkreteren Beweis, der mit dem Paket zu tun hat. Rigby sprach gestern mit Miss Truebody. Es scheint, daß sie mit Stella Rode telefoniert hat, am Morgen des Tages, an dem sie ermordet wurde. In Ihrem Auftrag telefoniert hat, Fielding, um zu bestellen, daß ein Junge am Donnerstagvormittag einige alte Kleider nach North Fields bringen würde - würde sie wohl bis dahin das Paket bestimmt offenlassen... Was drohte Stella an, Fielding? Einen anonymen Brief an Ihre nächste Schule zu schreiben?«

Dann legte Smiley seine Hand auf Fieldings Arm und sagte: »Gehen Sie jetzt in Gottes Namen, gehen Sie jetzt. Es ist sehr wenig Zeit, um Adrians willen, gehen Sie jetzt«, und Ailsa Brimley flüsterte etwas, was er nicht verstehen konnte.

Fielding schien nicht zu hören. Er hatte den großen Kopf zurückgeworfen, die Augen halb geschlossen, hielt sein Weinglas noch immer zwischen den dicken Fingern. Und die Türglocke erklang wie der Schrei einer Frau in einem leeren Haus.

Smiley erfuhr nie, was das Geräusch verursachte, ob es Fieldings Hände auf dem Tisch waren, als er aufstand, oder sein Stuhl, der hintenüberfiel. Vielleicht war es gar kein Geräusch, sondern einfach der Schock heftiger Bewegung, wenn man sie am wenigsten erwartet; der Anblick Fieldings, der noch einen Augenblick zuvor lethargisch in seinem Stuhl gesessen hatte und nun vorwärts durchs Zimmer sprang. Dann hielt Rigby ihn, hatte Fieldings rechten Arm ergriffen und tat etwas mit ihm, daß Fielding vor Schmerz und Angst aufschrie, sich unter dem Zwang von Rigbys Griff herumdrehte, um ihnen ins Auge zu sehen. Dann sprach Rigby die Verhaftung aus, und Fieldings entsetzter Blick fiel auf Smiley.