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Aber wenn er über Drachen etwas gewußt hätte, würde ihn das Verhalten dieses Drachen vielleicht ein wenig überrascht haben. Der setzte sich nicht auf, schlug nicht mit den Flügeln und stieß auch keine Flammen durch das Maul aus. Der Rauch aus seinen Nasenlöchern war wie der Rauch eines Feuers, das bald ausgehen wird. Auch schien der Drache Eustachius nicht gesehen zu haben. Er bewegte sich sehr langsam auf den Teich zu – langsam und mit vielen Ruhepausen. Selbst jetzt in seiner Angst spürte Eustachius, daß es eine alte und traurige Kreatur war. Er fragte sich, ob er es wohl wagen sollte, einen Satz zum Berghang hinüber zu machen. Aber vielleicht sah sich das Tier um, wenn er ein Geräusch machte. Und dann erwachte es vielleicht noch einmal zum Leben. Vielleicht verstellte es sich auch nur. Außerdem, was nützte es, vor einem Tier davonzuklettern, das fliegen konnte?

Der Drache hatte den Teich erreicht und ließ seinen schrecklichen schuppigen Leib über den Kies gleiten, um zu trinken. Aber bevor er trinken konnte, stieß er ein lautes Ächzen aus, und nach ein paar krampfartigen Zuckungen fiel er auf die Seite und blieb, mit einer Klaue in der Luft, regungslos liegen. Etwas dunkles Blut lief aus seinem weitgeöffneten Maul. Der Rauch aus seinen Nasenlöchern wurde einen Augenblick lang schwarz und verflüchtigte sich. Kein weiterer Rauch kam hervor.

Lange Zeit wagte es Eustachius nicht, sich zu bewegen. Vielleicht war das der Trick dieses Untiers, und vielleicht lockte es so die Reisenden in ihr Verhängnis. Aber er konnte nicht ewig warten. Er ging einen Schritt näher, dann zwei Schritte, und dann blieb er wieder stehen. Der Drache rührte sich nicht. Eustachius sah, daß das rote Feuer aus seinen Augen verschwunden war. Schließlich ging er noch näher. Er war inzwischen ziemlich sicher, daß das Tier tot war. Mit Schaudern berührte er es. Nichts geschah.

Eustachius war so erleichtert, daß er beinahe laut auflachte. Er fühlte sich so, als hätte er mit dem Drachen gekämpft und ihn getötet, anstatt ihm nur beim Sterben zuzusehen. Er machte einen Schritt über den Drachen hinweg und ging zum Teich, um zu trinken, denn es wurde unerträglich heiß. Er war nicht überrascht, als er Donnerrollen hörte. Fast unmittelbar danach verschwand die Sonne, und bevor er fertig war mit dem Trinken, fielen schon große Regentropfen.

Das Klima auf dieser Insel war sehr unangenehm. Innerhalb kürzester Zeit war Eustachius von einem Regen, wie es ihn in Europa niemals gibt, bis auf die Haut durchnäßt und fast blind. Solange dieses Wetter anhielt, war jeder Versuch, auf den Berg zurückzuklettern, sinnlos. Er rannte auf den einzigen sichtbaren Unterschlupf – die Höhle des Drachen – zu. Dort legte er sich hin und verschnaufte.

Die meisten von uns wissen, was es in einer Drachenhöhle zu finden gibt, aber wie schon gesagt, hatte Eustachius nur die falschen Bücher gelesen. In jenen stand eine Menge über Export und Import, über Regierungen und Entwässeungsanlagen, aber in bezug auf Drachen gaben sie keinerlei Auskünfte. Der Boden, auf dem er lag, verwirrte ihn deshalb sehr. Da gab es Sachen, die zu stachelig waren für Steine und zu hart für Dornen. Und dann gab es unzählige runde und flache Dinger, und alles klirrte, wenn er sich bewegte. An der Höhlenöffnung war es hell genug, um die Sachen zu untersuchen. Und natürlich stellte Eustachius das fest, was ihm jeder von uns schon vorher hätte sagen können – es waren Schätze. Kronen (das waren die stacheligen Dinger), Münzen, Ringe, Armbänder, Goldbarren, Becher, Teller und Juwelen.

Im Unterschied zu anderen Jungen hatte Eustachius noch nie viel von Schatzsuche gehalten, aber er sah sofort, wie nützlich ihm dieser Schatz in dieser neuen Welt sein konnte, in die er durch das Bild in Lucys Zimmer so törichterweise hineingestolpert war. Hier gibt es keine Steuern, sagte er sich. Und man muß den Schatz nicht bei der Regierung abliefern. Mit einem Teil von dem Zeug könnte ich mir hier eine recht schöne Zeit machen – vielleicht in Kalormen. Das scheint das vernünftigste Land hier zu sein. Wieviel ich wohl tragen kann? Diesen Armreif – die Dinger da drin sind vermutlich Diamanten – lege ich mir gleich ums Handgelenk. Zu groß, aber es geht, wenn ich ihn bis über den Ellbogen hochschiebe. Dann fülle ich mir die Taschen mit Diamanten – die sind leichter als Gold. Wann dieser Sturzregen wohl aufhört? – Er gelangte zu einem weniger bequemen Teil des angehäuften Schatzes, wo hauptsächlich Münzen lagen, und so legte er sich hin, um zu warten. Aber nach einem derartigen Schrecken und vor allem nach einem so anstrengenden Auf- und Abstieg ist man sehr müde. Eustachius schlief ein.

Zu dem Zeitpunkt, wo er fest eingeschlafen war und schnarchte, waren die anderen mit dem Essen fertig und machten sich ernsthaft Sorgen um ihn. Sie schrien: »Eustachius! Eustachius! Hallo!«, bis sie heiser waren, und Kaspian blies sein Horn.

»Er kann nicht in der Nähe sein, sonst hätte er das gehört«, sagte Lucy, die ganz blaß war.

»Verdammt!« rief Edmund. »Warum in aller Welt mußte er sich nur wegschleichen?«

»Wir müssen etwas unternehmen«, sagte Lucy. »Vieleicht hat er sich verirrt oder ist in ein Loch gefallen oder von Wilden gefangen worden!«

»Oder ein wildes Tier hat ihn getötet«, sagte Drinian.

»Also ich würde sagen, um den wäre es nicht schade«, brummte Rhince.

»Meister Rhince«, sagte Riepischiep. »Ihr habt nie ein Wort gesprochen, das Euch schlechter angestanden hätte. Dieser Kerl ist kein guter Freund von mir, aber er ist vom Blut der Königin, und solange er zu unserer Gruppe gehört, verlangt es unsere Ehre, ihn zu finden und ihn zu rächen, falls er tot ist.«

»Natürlich müssen wir ihn finden, wenn es möglich ist!« sagte Drinian müde. »Das ist es ja gerade. Das bedeutet, daß wir einen Suchtrupp bilden müssen und daß uns endlose Schwierigkeiten bevorstehen. Zum Teufel mit diesem Eustachius!«

Inzwischen schlief Eustachius – und schlief und schlief. Schließlich wachte er von Schmerzen in seinem Arm auf. Der Mond schien zum Höhleneingang herein, und seine Liegestatt auf dem Schatz schien viel bequemer geworden zu sein – tatsächlich spürte er fast nichts mehr. Der Schmerz in seinem Arm beunruhigte ihn zuerst, aber schließlich fiel ihm auf, daß der Armreif, den er bis über den Ellbogen hochgeschoben hatte, komischerweise sehr eng geworden war. Sein Arm mußte im Schlaf angeschwollen sein. (Es war sein linker Arm.)

Er bewegte den rechten Arm, um nach seinem linken Arm zu greifen, aber schon nach ein paar Zentimetern hielt er ihn wieder still und biß sich vor Entsetzen auf die Lippen. Denn genau vor ihm, ein wenig zu seiner Rechten, dort, wo das Mondlicht hell auf den Boden der Höhle fiel, sah er, wie sich etwas Entsetzliches bewegte. Er wußte nicht genau, was es war. Nun, es war eine Drachenklaue. Sie hatte sich bewegt, als er seine Hand bewegt hatte, und jetzt, wo er die Hand stillhielt, bewegte sich die Klaue ebenfalls nicht mehr.

Ach, was war ich nur für ein Idiot, dachte Eustachius. Natürlich, diese Kreatur hatte einen Gefährten, und der liegt jetzt neben mir. Einige Minuten lang wagte er es nicht, auch nur den kleinsten Muskel zu bewegen. Er sah, daß vor seinen Augen zwei dünne Rauchsäulen aufstiegen, die sich im Mondlicht schwarz abhoben; genauso wie der Rauch, der aus der Nase des Drachen gekommen war, kurz bevor er gestorben war. Das jagte Eustachius einen derartigen Schrecken ein, daß er die Luft anhielt. Die beiden Rauchsäulen verschwanden. Als er die Luft nicht mehr anhalten konnte, atmete er verstohlen aus – und sofort tauchten die beiden Rauchfäden wieder auf. Aber selbst jetzt begriff er die Wahrheit noch nicht.