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Das war die Geschichte der Anführerstimme. Allerdings habe ich sie stark gekürzt und all das, was die anderen Stimmen sagten, weggelassen. In Wirklichkeit bekam der Anführer nie mehr als sechs oder sieben Worte heraus, bevor die anderen ihn mit zustimmenden und ermutigenden Worten unterbrachen, was die Narnianen vor Ungeduld fast zur Verzweiflung trieb. Als er geendet hatte, herrschte sehr lange Stille.

»Aber«, sagte Lucy schließlich. »Was hat all das mit uns zu tun? Ich verstehe nicht.«

»Oh, meine Güte, ich habe doch wohl nicht das Wichtigste weggelassen?« sagte die Anführerstimme.

»Doch, das hast du, doch, das hast du!« riefen die anderen Stimmen voller Begeisterung. »Niemand hätte es klarer und deutlicher weglassen können. Weiter so, Boß, weiter so!«

»Nun, ich brauche wohl nicht noch einmal die ganze Geschichte zu erzählen«, begann die Anführerstimme.

»Nein, natürlich nicht«, sagten Kaspian und Edmund.

»Also, um es in drei Worten zu sagen«, fuhr die Stimme fort. »Wir haben schon ewig auf ein nettes kleines Mädchen aus der Fremde gewartet – so wie Ihr, Fräuleinchen –, das hinaufgeht zum Zauberbuch und das den Zauberspruch gegen die Unsichtbarkeit findet und ihn dann sagt. Und wir haben alle geschworen, daß wir die ersten Fremden, die auf der Insel landen (wenn sie ein nettes kleines Mädchen dabeihaben, meine ich, denn wenn nicht, dann wäre es wieder etwas anderes), also daß wir sie nicht mehr lebend weglassen würden, außer sie tun das Notwendige für uns. Und deshalb, meine Herren, wenn euer kleines Mädchen nicht tut, was wir verlangen, dann ist es unsere schmerzliche Pflicht, all eure Kehlen zu durchschneiden. Nur weil die Umstände es erfordern, könnte man sagen, und ich hoffe, daß ihr uns das nicht übelnehmt.«

»Ich sehe eure Waffen nicht«, rief Riepischiep. »Sind sie auch unsichtbar?«

Er hatte die Frage kaum beendet, als sie ein Schwirren hörten, und im nächsten Augenblick steckte ein zitternder Speer hinter ihnen in einem der Bäume.

»Das ist ein Speer ...« erklärte die Anführerstimme.

»Das ist richtig, Boß, das ist richtig«, stimmten die anderen zu. »Du hättest es nicht besser ausdrücken können.«

»Und er kam aus meiner Hand«, fuhr die Anführerstimme fort. »Unsere Waffen werden sichtbar, sobald sie unsere Hand verlassen.«

»Aber warum wollt ihr denn, daß ich es mache?« fragte Lucy. »Warum macht es nicht einer von euch? Gibt es unter euch keine Mädchen?«

»Wir nicht, wir nicht«, erklangen alle Stimmen. »Wir gehen nicht mehr hinauf.«

»Mit anderen Worten«, sagte Kaspian, »verlangt ihr von einer Dame, eine Gefahr auf sich zu nehmen, die ihr euren eigenen Schwestern und Töchtern nicht zumuten wollt?«

»Das stimmt, das stimmt!« sagten alle Stimmen munter. »Du hättest es nicht besser ausdrücken können.«

»Also, das ist doch die Höhe ...« begann Edmund, aber Lucy unterbrach ihn.

»Müßte ich nachts hinaufgehen, oder ginge es auch tagsüber?«

»Oh, tagsüber, tagsüber natürlich«, sagte die Anführerstimme. »Nicht nachts. Das würde keiner von dir verlangen. Im Dunkeln nach oben gehen? Igittigitt!«

»Also gut, ich mache es«, sagte Lucy. »Nein«, fuhr sie, zu den anderen gewandt, fort. »Versucht nicht, mich zurückzuhalten. Seht ihr nicht, daß es keinen Zweck hat? Es sind Dutzende. Wir können nicht gegen sie kämpfen. Und wenn ich es tue, dann haben wir eine Chance.«

»Aber der Zauberer!« wandte Kaspian ein.

»Ich weiß«, sagte Lucy. »Aber vielleicht ist er nicht so schlimm, wie sie sagen. Habt ihr nicht auch das Gefühl, daß diese Leute nicht allzu mutig sind?«

»Auf jeden Fall sind sie nicht allzu klug«, meinte Eustachius.

»Schau mal, Lu«, sagte Edmund. »Wir können es wirklich nicht zulassen, daß du so etwas tust. Frag mal Riep, ich bin sicher, daß er dasselbe sagen wird.«

»Aber ich tue es, um mein Leben und euer Leben zu retten«, sagte Lucy. »Ich will genausowenig wie ihr von unsichtbaren Schwertern durchbohrt werden.«

»Ihre Majestät hat recht«, sagte Riepischiep. »Wenn wir die Gewißheit hätten, daß wir ihr das durch einen Kampf ersparen könnten, dann wäre es ganz klar, was unsere Pflicht ist. Aber mir scheint, daß wir keinerlei Gewißheit haben. Und das, was von Ihrer Majestät verlangt wird, steht nicht im Widerspruch zu ihrer Ehre, sondern ist eine edle und heroische Tat. Wenn die Königin es mit dem Zauberer aufnehmen möchte, dann will ich nicht dagegen sprechen.«

Da alle wußten, daß Riepischiep vor nichts Angst hatte, konnte er dies sagen, ohne sich im geringsten komisch vorzukommen. Die Jungen dagegen, die alle recht oft Angst hatten, wurden rot. Aber da Riepischieps Vorschlag offensichtlich sehr vernünftig war, mußten sie nachgeben. Als sie ihre Entscheidung bekanntgaben, brachen laute Hurrarufe aus, und die Anführerstimme (kräftig unterstützt von allen anderen) lud die Narnianen zum Abendessen und zum Übernachten ein. Eustachius wollte die Einladung nicht annehmen, aber Lucy sagte: »Ich bin sicher, daß sie nicht hinterhältig sind. Ganz gewiß nicht.« Die anderen stimmten zu. Und so gingen sie zurück zum Haus, begleitet von lautem Stampfen, das noch lauter wurde, als sie den gepflasterten und hallenden Hof erreichten.

10. Das Buch des Zauberers

Die unsichtbaren Leute bewirteten ihre Gäste königlich. Es war sehr komisch, mit anzusehen, wie die Teller und die Schüsseln zum Tisch kamen, obwohl man niemanden sah, der sie trug. Es wäre sogar komisch gewesen, wenn die Dinge sich parallel zum Boden bewegt hätten, wie man das von Sachen, die in unsichtbaren Händen getragen wurden, erwartet. Aber das taten sie nicht. Sie bewegten sich hüpfend und springend durch den langen Speisesaal. Am höchsten Punkt der einzelnen Sprünge schwebten die Schüsseln etwa vier Meter über dem Boden; dann kamen sie herunter und hielten ganz plötzlich etwa einen Meter über dem Fußboden an. Wenn die Schüssel so etwas wie Suppe oder Gulasch enthielt, war das Resultat ziemlich entsetzlich.