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»Es tut uns außerordentlich leid«, sagte der Obereinbeiner, »daß du uns nicht so sehen kannst, wie wir ausgesehen haben, bevor wir häßlich gemacht wurden. Du würdest nicht glauben, wie wir damals ausgesehen haben, ganz bestimmt nicht, denn es läßt sich nicht leugnen, daß wir jetzt furchtbar häßlich sind.«

»Ja, das sind wir, Boß, das sind wir!« fielen die anderen mit ein und hüpften auf und ab wie Spielzeugballons. »Du sagst es, du sagst es!«

»Aber das finde ich überhaupt nicht!« rief Lucy laut, damit alle sie hören konnten. »Ich finde, ihr seht sehr hübsch aus.«

»Hört, hört!« sagten die Einbeiner. »Das stimmt, Fräuleinchen. Wir sehen sehr hübsch aus. Ein hübscheres Völkchen gibt es nicht.« Das sagten sie ohne jegliche Überraschung, und es schien ihnen nicht aufzufallen, daß sie vorher genau das Gegenteil behauptet hatten.

Doch bevor sie an diesem Abend zu Bett gingen, geschah noch etwas. Und danach waren die Einbeiner mit ihrem einen Bein noch zufriedener. Kaspian und die anderen gingen so schnell wie möglich zum Strand hinunter, um Rhince und den anderen an Bord, die inzwischen sehr in Sorge waren, Bescheid zu sagen. Und natürlich gingen die Einbeiner mit. Sie hüpften auf und ab wie Fußbälle und stimmten sich gegenseitig lautstark zu, bis Eustachius sagte: »Ich wollte, der Zauberer würde sie statt unsichtbar unhörbar machen.«

Als sie bei der Bucht ankamen, hatte Riepischiep eine ausgezeichnete Idee. Er ließ sein kleines Weidenboot zu Wasser und paddelte herum, bis die Einbeiner aufmerksam wurden. Dann stellte er sich in seinem Boot auf und sagte: »Ehrenwerte und kluge Einbeiner! Ihr braucht keine Boote! Jeder von euch hat einen Fuß, den er statt dessen benutzen kann. Ihr müßt so leichtfüßig wie möglich auf dem Wasser hüpfen, dann werdet ihr sehen, was geschieht.«

Der Obereinbeiner zögerte und warnte die anderen, daß das Wasser sehr naß sei. Aber einer oder zwei der jüngeren versuchte es sofort, und dann folgten ein paar weitere ihrem Beispiel, und schließlich beteiligten sich alle. Es klappte ausgezeichnet. Der riesige Fuß der Einbeiner diente als natürliches Floß oder Boot, und nachdem Riepischiep ihnen beigebracht hatte, wie man ein einfaches Paddel schnitzt, paddelten sie alle in der Bucht und um die »Morgenröte« herum und sahen aus wie eine Flotte kleiner Kanus, in deren Heck dicke Zwerge standen. Sie paddelten um die Wette, vom Schiff wurden Weinflaschen als Preise für sie herabgelassen, und die Matrosen lehnten sich über die Reling und lachten, bis ihnen alles weh tat.

Auch über ihren neuen Namen »Einbeiner« waren die Tölpel sehr glücklich. Sie fanden ihn phantastisch – nur sagten sie ihn immer falsch. »Das sind wir!« riefen sie. »Eimerbeine, Beinheimer, Heimerbeiner. Genau dieser Name lag uns selbst schon auf der Zunge.« Aber schon bald brachten sie ihn mit ihrem alten Namen – Tölpel – durcheinander, und schließlich nannten sie sich Tölpelbeiner. Und so werden sie vermutlich für alle Zeiten genannt.

Am Abend speisten alle Narnianen oben beim Zauberer. Lucy fiel auf, wie anders das obere Stockwerk plötzlich aussah, jetzt, wo sie keine Angst mehr hatte. Die geheimnisvollen Zeichen an den Türen waren noch immer geheimnisvoll, aber jetzt schienen sie eine freundliche und heitere Bedeutung zu haben, und selbst der bärtige Spiegel sah jetzt eher lustig als furchterregend aus. Beim Abendessen bekam jeder durch Zauberei das zu essen und zu trinken, was er am liebsten mochte. Und nach dem Essen veranstaltete der Zauberer eine sehr praktische und schöne Zauberei. Er legte zwei leere Bogen Pergament auf den Tisch und bat Drinian, ihm einen genauen Bericht ihrer Reise zu geben; und während Drinian sprach, erschien all das, was er beschrieb, in feinen und klaren Linien auf dem Pergament, bis die Blätter schließlich zu phantastischen Karten geworden waren. Sie zeigten die östlichen Meere mit Galma, Terebinthia, den Sieben Inseln, den Einsamen Inseln, der Dracheninsel, der Verbrannten Insel, der Todeswasserinsel und dem Land der Tölpel, und alles hatte genau die richtige Größe und war an der richtigen Stelle eingezeichnet. Dies waren die allerersten Karten von diesen Meeren, und sie waren besser als all die Karten, die inzwischen ohne Zauberei gemacht wurden. Denn die Städte und die Berge auf diesen Karten sahen zwar so aus wie auf einer normalen Karte, aber nachdem der Zauberer seinen Gästen ein Vergrößerungsglas geliehen hatte, sahen sie, daß es perfekte kleine Abbilder der Wirklichkeit waren; so konnte man zum Beispiel das Schloß und den Sklavenmarkt und die Straßen von Enghafen erkennen, und alles war ganz klar und doch weit weg, so, wie die Dinge durch das falsche Ende eines Teleskops aussehen. Der einzige Nachteil war, daß die Küsten der meisten Inseln unvollständig waren, denn die Karte zeigte nur das, was Drinian mit eigenen Augen gesehen hatte. Als die beiden Karten fertig waren, behielt der Zauberer eine für sich und gab die andere Kaspian. Diese Karte hängt noch immer in seinem Instrumentenzimmer in Feeneden. Aber von Meeren oder Ländern weiter im Osten konnte ihnen der Zauberer nichts sagen. Er sagte ihnen jedoch, daß vor sieben Jahren ein narnianisches Schiff in seinen Gewässern angelegt habe und daß sich die Lords Revilian, Argoz, Mavramorn und Rhoop an Bord befunden hätten. Daraus schlossen sie, daß der goldene Mann, den sie im Todeswasser gesehen hatten, Lord Restimar gewesen sein mußte.

Am nächsten Tag reparierte der Zauberer durch Zauberei das von der Seeschlange beschädigte Heck der »Morgenröte« und belud das Schiff mit praktischen Geschenken. Sie verabschiedeten sich sehr freundschaftlich, und als die »Morgenröte« zwei Stunden nach Mittag ablegte, paddelten alle Tölpelbeiner bis zur Mündung der Bucht mit und jubelten, bis sie außer Hörweite waren.

12. Die dunkle Insel

Nach diesem Abenteuer segelten sie zwölf Tage lang vor einem sanften Wind nach Süden und ein wenig nach Osten. Der Himmel war meistens klar und die Luft warm, und sie sahen weder Vogel noch Fisch. Nur einmal sahen sie Wale, die weit vor Steuerbord Wasserfontänen ausstießen. Lucy und Riepischiep spielten oft Schach. Dann, am dreizehnten Tag, sichtete Edmund von der Kampfplattform aus etwas, was wie ein großer dunkler Berg aussah, der sich vorne, in Richtung Backbord, aus dem Meer erhob.

Sie änderten den Kurs und hielten darauf zu, meist rudernd, denn der Wind gestattete es nicht, nach Norden zu segeln. Als der Abend anbrach, waren sie noch immer weit entfernt, und so ruderten sie die ganze Nacht hindurch. Das Wetter am nächsten Morgen war gut, aber kein Windhauch war zu spüren. Die dunkle Masse lag vor ihnen, viel näher und größer, doch sehr verschwommen, so daß manche meinten, es wäre noch immer sehr weit, und andere der Ansicht waren, man würde in einen Nebel hineinfahren.

Etwa um neun Uhr an diesem Morgen war die Erscheinung plötzlich so nah, daß sie sehen konnten, daß es überhaupt kein Land war und auch kein normaler Nebel. Es war eine Dunkelheit. Es ist sehr schwer zu beschreiben, aber es war so ähnlich, wie wenn man in einen Eisenbahntunnel hineinschaut – einen Tunnel, der so lang ist oder so gebogen, daß man das Licht am anderen Ende nicht sehen kann. Und ihr wißt ja, wie das aussieht. Ein paar Meter weit kann man die Gleise und die Schwellen und die Schottersteine ganz klar sehen; dann kommt eine Stelle, wo sie im Halbdunkel liegen, und dann, ganz plötzlich, aber natürlich ohne eine klare Trennungslinie, verschwinden sie völlig in einer weichen, undurchdringlichen Dunkelheit. Und genauso war es hier. Ein paar Meter weit konnten sie vor dem Bug das Wogen des klaren, grünblauen Wassers sehen. Davor war das Wasser fahl und grau, so wie spät am Abend. Aber noch weiter vorne herrschte vollkommene Dunkelheit, so, als wären sie am Rand einer mondlosen und sternlosen Nacht angekommen.

Kaspian rief dem Bootsmann zu, er solle das Schiff anhalten, und alle außer den Männern an den Rudern rannten nach vorn und blickten über den Bug. Aber es gab nichts zu sehen. Hinter ihnen war das Meer und die Sonne, und vor ihnen war die Dunkelheit.