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»Sollen wir da hineinfahren?« fragte Kaspian schließlich.

»Ich würde abraten«, antwortete Drinian.

»Der Kapitän hat recht«, meinten mehrere Matrosen.

»Ich glaube es fast auch«, stimmte Edmund zu.

Lucy und Eustachius sagten nichts, doch innerlich schienen sie über diese Entwicklung sehr froh zu sein. Aber sofort durchbrach die klare Stimme Riepischieps die Stille.

»Und warum nicht?« fragte er. »Will mir vielleicht jemand erklären, warum nicht?«

Keiner fühlte sich danach, eine Erklärung abzugeben, und so fuhr Riepischiep fort: »Wenn ich Bauern oder Sklaven vor mir hätte«, sagte er, »könnte ich vielleicht annehmen, dieser Vorschlag entspränge der Feigheit. Aber ich hoffe, man wird in Narnia niemals erzählen, daß eine Gruppe edler und königlicher Personen im besten Alter den Schwanz eingezogen hat aus Angst vor der Dunkelheit.«

»Aber welchen Nutzen sollte es wohl bringen, in diese Schwärze hineinzurudern?« fragte Drinian.

»Nutzen?« entgegnete Riepischiep. »Nutzen, Kapitän? Wenn Ihr mit Nutzen meint, unseren Bauch oder unsere Taschen zu füllen, dann gestehe ich, daß es gar keinen Nutzen bringt. Soviel ich weiß, haben wir nicht die Segel gesetzt, um nach nützlichen Dingen zu suchen, sondern um der Ehre und der Abenteuer willen. Und dieses Abenteuer ist großartiger als alle, von denen ich je gehört habe, und wenn wir hier umkehren, dann wird unsere Ehre beträchtlich geschmälert.«

Manche Matrosen murmelten etwas vor sich hin, was wie »zum Teufel mit der Ehre« klang, aber Kaspian sagte: »Du bist unmöglich, Riepischiep. Fast wünschte ich, wir hätten dich zu Hause gelassen. Gut! Wenn du es so ausdrückst, dann müssen wir vermutlich weiter. Außer wenn du, Lucy, es lieber nicht möchtest!«

Lucy wollte tatsächlich überhaupt nicht, aber laut sagte sie: »Ich mache mit.«

»Eure Majestät wird doch wenigstens Lichter anzünden lassen?« fragte Drinian.

»Natürlich«, sagte Kaspian. »Kümmert Euch darum, Kapitän.«

So wurden drei Laternen am Heck, am Bug und an der Mastspitze angezündet, und mittschiffs ließ Drinian zwei Fackeln anbrennen. Im Sonnenschein sahen sie bleich und schwach aus. Mit Ausnahme von ein paar Männern unten an den Rudern, wurden alle Mann bewaffnet an Deck beordert und mit gezogenem Schwert auf Kampfposition befohlen. Lucy und zwei Bogenschützen standen mit angelegten Pfeilen auf der Kampfplattform. Rynelf stand am Bug und hatte seine Leine in Bereitschaft, um die Tiefe zu loten. Riepischiep, Edmund, Eustachius und Drinian standen in ihrer schimmernden Rüstung bei ihm. Drinian übernahm die Ruderpinne.

»Und nun vorwärts – in Aslans Namen!« rief Kaspian. »Mit langsamem, gleichmäßigem Schlag! Und daß jedermann sich still verhält und auf meine Befehle achtet!«

Mit Ächzen und Stöhnen setzte sich die »Morgenröte« in Bewegung, als die Männer zu rudern begannen. Lucy, die auf der Kampfplattform stand, hatte ausgezeichnete Sicht und konnte genau sehen, wie sie in die Dunkelheit eintauchten. Der Bug war schon darin verschwunden, als auf dem Heck noch die Sonne lag. Lucy sah sie alle mitsamt ihrem Schiff verschwinden. Im einen Moment lagen der vergoldete Bug, das blaue Meer und der Himmel noch im hellen Sonnenlicht: im nächsten Moment waren das Meer und der Himmel verschwunden, und nur noch die Hecklaterne, die man zuvor kaum gesehen hatte, zeigte an, wo das Schiff endete. Vor der Laterne sah sie die dunkle Gestalt Drinians, der an der Ruderpinne kauerte. Unten warfen die beiden Fackeln zwei kleine Lichtflecke auf das Deck und brachten Schwerter und Helme zum Funkeln. Auf dem Vorderdeck war eine weitere Lichtinsel. Abgesehen davon schien die von der Laterne an der Mastspitze beleuchtete Kampfplattform eine kleine, helle Welt für sich, die in einer einsamen Dunkelheit schwebte. Und wie immer, wenn man zur falschen Tageszeit Lichter anzündet, sahen diese gespenstisch und unnatürlich aus. Lucy merkte auch, daß ihr sehr kalt war.

Keiner wußte, wie lange diese Reise in die Dunkelheit dauerte. Abgesehen vom Knarren der Riemen und dem Aufklatschen der Ruder gab es keinerlei Anzeichen, daß sie sich überhaupt bewegten. Edmund, der über den Bug lugte, konnte außer dem Widerschein der Laterne im Wasser vor sich nichts sehen. Die Reflexion sah ganz ölig aus, und die Wellen, die von dem sich vorwärts pflügenden Bug ausgingen, schienen bleiern, flach und leblos zu sein. Mit Ausnahme der Männer an den Rudern begannen alle im Laufe der Zeit vor Kälte zu zittern.

Plötzlich klang von irgendwoher – ihr Orientierungssinn war inzwischen ziemlich gestört – ein Schrei. Er kam entweder von einer nichtmenschlichen Stimme, oder es war die Stimme eines Menschen in derartiger Todesangst, daß er seine Menschlichkeit fast verloren hatte.

Kaspian wollte gerade etwas sagen – aber sein Mund war zu trocken –, als ihm die schrille Stimme Riepischieps zuvorkam, die in dieser Stille lauter schallte als gewöhnlich.

»Wer ruft da?« quiekte sie. »Wenn du ein Feind bist, fürchten wir dich nicht, und wenn du ein Freund bist, werden wir deinen Feinden das Fürchten beibringen!«

»Gnade!« rief die Stimme. »Gnade! Selbst wenn du nur ein weiterer Traum bist, hab Gnade! Nimm mich an Bord! Nimm mich mit, selbst wenn du mich totschlägst! Aber im Namen aller Gnade der Welt – verflüchtige dich nicht, und laß mich nicht in diesem schrecklichen Land!«

»Wo bist du?« rief Kaspian. »Komm an Bord, und sei willkommen!«

Ein weiterer Schrei erklang, sei es vor Freude oder vor Angst, und dann merkten sie, daß etwas auf sie zuschwamm.

»Stellt euch bereit, Männer, und zieht ihn herauf!« befahl Kaspian.

»Ay, ay, Majestät«, sagten die Matrosen. Einige drängten sich mit Tauen an Backbord, und einer lehnte sich weit über die Bordwand und hielt die Fackel. Ein wildes, weißes Gesicht erschien in der Schwärze des Wassers, und nach einigem Strampeln und Ziehen hatten ein Dutzend hilfreiche Hände den Fremden an Bord gehievt.

Edmund hatte noch nie einen derart wild aussehenden Mann gesehen. Obwohl er sonst eigentlich nicht sehr alt wirkte, war doch sein zerzaustes Haar schneeweiß, sein Gesicht schmal und eingefallen, und als Kleidung trug er nur ein paar nasse Lumpen am Leib. Aber was am meisten auffiel, waren seine Augen. Sie waren so weit aufgerissen, daß es aussah, als hätte er überhaupt keine Augenlider, und er starrte sie an, als stünde er Todesängste aus. Im selben Augenblick, als er auf Deck stand, rief er: »Fliegt! Fliegt! Wendet euer Schiff und fliegt! Rudert! Rudert um euer Leben, und verlaßt dieses verfluchte Gestade!«

»Beruhigt Euch!« antwortete Riepischiep. »Und sagt uns, welche Gefahr uns hier droht! Wir sind nicht gewohnt, zu fliegen.«

Der Fremde fuhr zusammen, als er die Stimme der Maus hörte, die er bis dahin nicht gesehen hatte.

»Trotzdem müßt ihr von hier wegfliegen!« keuchte er. »Dies ist die Insel, wo die Träume wahr werden.«

»Nach dieser Insel habe ich schon lange gesucht!« sagte einer der Matrosen. »Vielleicht stelle ich fest, daß ich mit Nancy verheiratet bin, wenn wir hier an Land gehen.«

»Und ich stelle fest, daß Tom wieder am Leben ist«, sagte ein anderer.

»Narren!« rief der Mann und stampfte vor Zorn mit dem Fuß auf. »Diese Art Geschwätz hat mich hierhergebracht, und ich wäre besser ertrunken oder nie geboren worden. Hört ihr, was ich sage? Hier werden Träume wahr und erwachen zum Leben – Alpträume, versteht ihr? Nicht Tagträume: Alpträume!«

Etwa eine halbe Minute lang herrschte Schweigen, dann stolperten alle Männer mit klirrender Rüstung und so schnell sie konnten die Hauptluke hinunter, warfen sich an die Ruder und ruderten, wie sie noch nie gerudert hatten. Drinian warf das Steuer herum, und der Bootsmann gab den schnellsten Ruderschlag an, der je auf See gehört worden ist. Denn es hatte genau diese halbe Minute gedauert, bis sich jeder an gewisse Träume erinnerte, die er einmal gehabt hatte – Alpträume, die einem Angst machen, wieder einzuschlafen – und bis jedem klargeworden war, was es bedeutete, ein Land zu betreten, wo Träume wahr werden.