Riepischiep stellte das linke Bein vor, zog das rechte an, verbeugte sich, küßte Lucys Hand, richtete sich auf, zwirbelte seinen Schnurrbart und sagte mit schriller, piepsender Stimme:
»Meine bescheidenen Dienste stehen Eurer Majestät zur Verfügung. Und auch Euch, König Edmund.« (Hier verneigte er sich noch einmal.) »Nichts als die Anwesenheit Eurer Majestäten hat bei diesem herrlichen Abenteuer noch gefehlt.«
»Igitt, nehmt es weg!« heulte Eustachius. »Ich hasse Mäuse! Und Tiere, die reden und irgendwelche Rollen spielen, konnte ich noch nie ertragen. Sie sind albern und vulgär und – und kitschig.«
»Soll ich daraus schließen«, sagte Riepischiep zu Lucy, nachdem er Eustachius lange angestarrt hatte, »daß diese außergewöhnlich unhöfliche Person unter dem Schutz Eurer Majestät steht? Denn, falls nicht...«
In diesem Augenblick mußten Lucy und Edmund niesen.
»Wie dumm von mir, euch in euren nassen Sachen hier stehen zu lassen«, sagte Kaspian. »Kommt mit nach unten und zieht euch um. Ich überlasse dir natürlich meine Kajüte, Lucy, aber leider haben wir keine Frauenkleidung an Bord. Du wirst dich mit meinen Sachen begnügen müssen. Sei so gut, Riepischiep, und geh voraus!«
»Die Annehmlichkeiten einer Dame haben selbst gegenüber einer Ehrensache Vorrang – zumindest für den Augenblick ...« Und hier warf er Eustachius einen scharfen Blick zu. Aber Kaspian drängte sie weiter, und schon nach ein paar Minuten trat Lucy durch die Tür der Kajüte im Heck. Sie verliebte sich sofort – in die drei viereckigen Fenster, die auf das blaue, wirbelnde Wasser hinter dem Schiff hinausschauten, in die niedrigen gepolsterten Bänke, die an drei Seiten um den Tisch herumführten, in die schwankende silberne Lampe über ihrem Kopf (die, das erkannte sie sofort an der erlesenen Feinheit, von den Zwergen gemacht sein mußte) und in das goldene Abbild von Aslan dem Löwen an der vorderen Wand über der Tür. All das nahm sie mit einem Blick wahr, denn Kaspian öffnete sofort eine Tür an der Steuerbordseite und sagte: »Das ist dein Zimmer, Lucy. Ich suche dir nur ein paar trockene Sachen heraus« – während er redete, wühlte er in einer der Truhen –, »und dann lasse ich dich allein, damit du dich umziehen kannst. Wenn du deine nassen Sachen vor die Tür legst, lasse ich sie zum Trocknen in die Kombüse bringen.«
Lucy fühlte sich in Kaspians Kajüte so zu Hause, als wäre sie schon seit Wochen hier. Die Bewegung des Schiffes beunruhigte sie nicht, denn in den alten Tagen, als sie Königin von Narnia gewesen war, hatte sie viele Reisen unternommen. Die Kajüte war winzig, aber sie war hell; da waren Paneelen, die mit Vögeln und anderen Tieren, tiefroten Drachen und mit Ranken bemalt waren, und alles war blitzsauber. Kaspians Kleider waren ihr zu groß, aber das war kein Problem. Seine Schuhe, seine Sandalen und seine Stiefel waren allerdings so groß, daß es hoffnungslos war, aber auf einem Schiff machte es ihr nichts aus, barfuß zu gehen. Als sie fertig angezogen war, schaute sie aus dem Fenster auf das vorbeiströmende Wasser und atmete tief ein. Sie war sicher, daß sie eine herrliche Zeit vor sich hatten.
2. An Bord der »Morgenröte«
»Ah, da bist du ja«, sagte Kaspian. »Wir haben auf dich gewartet. Dies ist mein Kapitän – Lord Drinian.«
Ein dunkelhaariger Mann ließ sich auf ein Knie nieder und küßte ihre Hand. Die einzigen anderen Anwesenden waren Riepischiep und Edmund.
»Wo ist Eustachius?« fragte Lucy.
»Im Bett«, sagte Edmund. »Und ich glaube nicht, daß wir etwas für ihn tun können. Es geht ihm nur noch schlechter, wenn man versucht, nett zu ihm zu sein.«
»In der Zwischenzeit«, sagte Kaspian, »sollten wir uns unterhalten.«
»Meine Güte, ja«, entgegnete Edmund. »Zuerst einmal interessiert mich die Zeit. In unserer Zeitrechnung ist ein Jahr vergangen, seit wir dich kurz vor deiner Krönung verlassen haben. Und wie lange liegt das nach eurer Zeitrechnung zurück?«
»Genau drei Jahre«, sagte Kaspian.
»Ist in Narnia alles in Ordnung?« fragte Edmund.
»Du glaubst doch wohl nicht, ich würde mein Königreich verlassen und mich auf eine Seereise begeben, wenn nicht alles in Ordnung wäre?« antwortete der König. »Es könnte nicht besser sein. Es gibt keinerlei Schwierigkeiten mehr zwischen den Telmarern, den Zwergen, den Sprechenden Tieren, den Faunen und den anderen. Und den lästigen Riesen an der Grenze haben wir letzten Sommer so eingeheizt, daß sie uns jetzt Tribut zahlen. Außerdem habe ich einen ausgezeichneten Mann als Regenten eingesetzt, solange ich weg bin – Trumpkin, den Zwerg. Erinnert ihr euch an ihn?«
»Der liebe alte Trumpkin«, sagte Lucy. »Natürlich erinnere ich mich. Du hättest keine bessere Wahl treffen können.«
»So treu wie ein Dachs, meine Liebe, und tollkühn wie ein – wie eine Maus«, sagte Drinian. Er wollte eigentlich sagen »... wie ein Löwe«, aber er hatte gesehen, daß Riepischieps Augen auf ihn gerichtet waren.
»Und wohin geht unsere Reise?« fragte Edmund.
»Tja«, sagte Kaspian. »Das ist eine ziemlich lange Geschichte. Vielleicht erinnerst du dich daran: Als ich noch ein Kind war, entledigte sich mein Onkel Miraz, der Usurpator, sieben getreuer Freunde meines Vaters (die meinen Platz hätten einnehmen können), indem er sie aussandte, um die unbekannten östlichen Meere hinter den Einsamen Inseln zu erforschen.«
»Ja«, sagte Lucy. »Und keiner von ihnen kam jemals zurück.«
»Richtig. Am Tag meiner Krönung habe ich mit Aslans Zustimmung einen Eid abgelegt, daß ich – sobald ich für Frieden in Narnia gesorgt hätte – selbst für ein Jahr und einen Tag nach Osten segeln würde, um meines Vaters Freunde zu finden oder ihren Tod zu erforschen und sie, sofern möglich, zu rächen. Ihre Namen waren Lord Revilian, Lord Bern, Lord Argoz, Lord Mavramorn, Lord Octesian, Lord Restimar und – oh, das ist der, den ich mir so schlecht merken kann.«
»Lord Rhoop, Herr«, sagte Drinian.
»Rhoop, Rhoop, natürlich«, sagte Kaspian. »Das ist mein wichtigstes Vorhaben. Aber Riepischiep hat noch eine beflügeltere Hoffnung.« Alle Augen wandten sich der Maus zu.
»So beflügelt wie meine Stimmung«, sagte sie. »Aber vielleicht auch so klein wie meine Gestalt. Warum sollten wir nicht das östliche Ende der Welt erreichen? Und was fände man da wohl? Ich erwarte, dort das Land Aslans zu finden! Der große Löwe kommt immer von Osten her zu uns, übers Meer.«
»Das ist tatsächlich ein großartiger Gedanke«, sagte Edmund mit ehrfürchtiger Stimme.
»Aber glaubst du«, sagte Lucy, »daß Aslans Land eine Art Land ist – ich meine so ein Land, zu dem man segeln kann?«
»Ich weiß nicht, Herrin«, sagte Riepischiep. »Aber es ist so: Als ich noch in der Wiege lag, sagte mir eine Waldfrau, eine Dryade, diesen Vers vor:
Wo Himmel und Erde sich treffen, wo die Wellen sich zur Süße wenden, zweifle nicht, Riepischiep, dort wird deine Suche enden, dort ist der äußerste Osten.
Ich weiß nicht, was er bedeutet. Aber der Zauber dieses Verses hat mich mein ganzes Leben lang begleitet.«
Nach einer kurzen Pause fragte Lucy: »Und wo sind wir jetzt, Kaspian?«
»Das kann dir der Kapitän besser erklären als ich«, sagte Kaspian. Drinian holte seine Karte hervor und breitete sie auf dem Tisch aus.
»Das ist unsere Position«, sagte er und deutete mit dem Finger auf die Karte. »Oder zumindest war sie es heute mittag. Von Feeneden aus hatten wir guten Wind und wandten uns ein wenig nördlich auf Galma zu, das wir am nächsten Tag erreichten. Wir lagen eine Woche im Hafen, denn der Herzog von Galma veranstaltete ein großes Turnier für den König, der dort viele Ritter vom Pferd warf.«