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»Aber wie kommt es, daß diese Speisen nicht verderben?« fragte der praktische Eustachius.

»Sie werden jeden Tag aufgegessen und wieder erneuert«, erklärte das Mädchen. »Ihr werdet es noch sehen.«

»Und was machen wir mit den Schläfern?« fragte Kaspian. »In der Welt, aus der meine Freunde kommen« (er nickte in die Richtung von Eustachius, Edmund und Lucy), »gibt es ein Märchen von einem Prinzen oder einem König, der zu einem Schloß kommt, wo alle in einen Zauberschlaf versunken sind. In dieser Geschichte konnte der Prinz den Zauber brechen, indem er die Prinzessin küßte.«

»Hier ist es anders«, sagte das Mädchen. »Hier kann er die Prinzessin erst küssen, wenn der Zauber gebrochen ist.«

»Dann zeigt mir im Namen Aslans, wie ich mich sofort an diese Aufgabe machen kann«, bat Kaspian.

»Mein Vater wird es Euch zeigen«, sagte das Mädchen.

»Euer Vater?« fragten alle. »Wer ist er? Und wo ist er?«

»Schaut!« sagte das Mädchen, wandte sich um und deutete auf die Tür im Hügel. Jetzt konnten sie diese Tür besser sehen, denn während sie sich unterhalten hatten, waren die Sterne immer schwächer geworden, und im Grau des östlichen Himmels erschienen große, weiße Lichtflecke.

14. Der Anfang vom Ende der Welt

Langsam öffnete sich die Tür, und heraus kam eine Gestalt, genauso groß und aufrecht wie die des Mädchens, nur war sie nicht so schlank. Sie trug kein Licht, sondern schien selbst Licht auszustrahlen. Als die Gestalt näher kam, sah Lucy, daß es ein alter Mann war. Sein silberner Bart reichte bis auf seine bloßen Füße, sein silbernes Haar fiel bis auf seine Fersen, und sein Gewand schien aus der Wolle silberner Schafe gewebt zu sein. Er sah so mild und so ernst aus, daß sich die Reisenden wieder erhoben und still stehen blieben.

Der alte Mann kam heran, ohne an die Reisenden das Wort zu richten. Er blieb auf der anderen Seite des Tisches gegenüber seiner Tochter stehen. Dann hoben beide die Arme und wandten sich nach Osten. In dieser Haltung begannen sie zu singen. Ich wollte, ich könnte das Lied aufschreiben, aber keiner der Anwesenden konnte sich später daran erinnern. Lucy sagte hinterher, es sei hoch, fast schrill, aber wunderschön gewesen. »Eine Art kaltes Lied, ein Lied für den frühen Morgen.« Und während sie sangen, verschwanden die grauen Wolken am östlichen Himmel, und die weißen Flecke wurden größer und größer, bis alles weiß war und das Meer wie Silber zu leuchten begann. Und viel später (aber die beiden sangen die ganze Zeit über) färbte sich der Osten rot, und schließlich tauchte die Sonne aus dem Meer auf, und ihre langen, flachen Strahlen fielen über den Tisch auf das Gold, das Silber und auf das Steinmesser.

Ein- oder zweimal hatten sich die Narnianen schon gefragt, ob die aufgehende Sonne hier nicht größer war als zu Hause. Jetzt waren sie sicher. Es gab keinen Zweifel. Und die Helligkeit ihrer Strahlen auf dem Tau und auf dem Tisch war weit stärker als jede morgendliche Helligkeit, die sie je gesehen hatten. Es war so, wie Edmund später sagte: »Obwohl auf dieser Reise viele Dinge geschahen, die sich viel aufregender anhören, so war dies doch der aufregendste Augenblick.« Denn jetzt wußten sie, daß sie wirklich den Anfang vom Ende der Welt erreicht hatten.

Dann schien mitten aus der Sonne etwas auf sie zuzufliegen – aber natürlich konnte man nicht direkt in diese Richtung schauen, um sich zu vergewissern. Doch plötzlich war die Luft voller Stimmen – Stimmen, die das gleiche Lied anstimmten, welches das Mädchen und ihr Vater sangen, nur in viel wilderen Tönen und in einer Sprache, die keiner verstand. Und schon bald danach konnte man die Besitzer dieser Stimmen sehen. Es waren große weiße Vögel, und sie kamen zu Hunderten und zu Tausenden. Sie ließen sich überall nieder: auf dem Gras, den Steinplatten, dem Tisch, auf den Schultern, den Händen und den Köpfen, bis es aussah, als wäre alles von weißem Schnee bedeckt. Alle Konturen verschwammen und wurden sanfter. Lucy, die zwischen den Flügeln der auf ihr sitzenden Vögel hinauslugte, sah, wie ein Vogel zu dem alten Mann hinflog. Er hatte etwas im Schnabel, was wie eine kleine Frucht aussah, oder vielleicht war es auch ein kleines Stück glühender Kohle, denn es leuchtete so hell, daß man nicht hinschauen konnte. Und der Vogel legte es in den Mund des alten Mannes.

Dann hörten die Vögel auf zu singen und machten sich auf dem Tisch zu schaffen. Als sie wieder aufflogen, war alles Eßbare und Trinkbare vom Tisch verschwunden. Die Vögel, die sich zu Hunderten und Tausenden von ihrem Mahl erhoben, trugen alles weg, was man nicht essen oder trinken konnte, so wie Knochen, Krusten und Schalen. Sie flogen wieder zurück zur aufgehenden Sonne. Aber jetzt, wo sie nicht mehr sangen, schien ihr Flügelschlag die ganze Luft zum Erzittern zu bringen. Der Tisch war völlig leergepickt, und die drei Lords aus Narnia schliefen noch immer fest.

Jetzt wandte sich der alte Mann endlich zu den Reisenden und hieß sie willkommen.

»Herr«, sagte Kaspian. »Bitte sagt uns, wie wir den Zauber brechen können, der auf diesen drei narnianischen Lords liegt!«

»Das will ich dir gerne sagen, mein Sohn«, sagte der alte Mann. »Um diesen Zauber zu brechen, müßt ihr zum Ende der Welt segeln, oder wenigstens so nahe heran wie möglich, und ehe ihr zurückkehrt, müßt ihr mindestens ein Mitglied eurer Gruppe zurücklassen.«

»Und was passiert mit diesem Zurückgelassenen?« fragte Riepischiep.

»Er muß zum äußersten Osten weiterziehen und wird nie mehr in diese Welt zurückkehren.«

»Das wünsche ich mir aus ganzem Herzen«, sagte Riepischiep.

»Sind wir schon in der Nähe vom Ende der Welt, Herr?« fragte Kaspian. »Kennt Ihr die Meere und die Länder, die noch östlicher liegen?«

»Ich habe sie vor langer Zeit gesehen«, sagte der alte Mann. »Von hoch oben. Die Dinge, die ein Seefahrer wissen muß, kann ich euch nicht sagen.«

»Meint Ihr damit, daß Ihr in der Luft geflogen seid?« stieß Eustachius hervor.

»Ich bin weit über der Luft geflogen«, entgegnete der alte Mann. »Ich bin Ramandu. Aber ich sehe, daß ihr euch Blicke zuwerft und diesen Namen nicht kennt. Das ist nicht verwunderlich, denn die Tage, wo ich ein Stern war, waren schon längst vergangen, bevor einer von euch das Licht dieser Welt erblickt hat, und alle Sternbilder haben sich inzwischen geändert.«

»Meine Güte«, murmelte Edmund vor sich hin. »Er ist ein Stern im Ruhestand.«

»Seid Ihr jetzt kein Stern mehr?« fragte Lucy.

»Ich bin ein Stern, der sich ausruht, meine Tochter«, antwortete Ramandu. »Als ich das letzte Mal, unvorstellbar alt und gebrechlich, aufstieg, wurde ich zu dieser Insel getragen. Jetzt bin ich nicht mehr so alt wie damals. Jeden Morgen bringt mir ein Vogel aus den Tälern der Sonne eine Feuerbeere, und jede Feuerbeere nimmt ein wenig von meinem Alter weg. Und wenn ich endlich so jung bin wie ein Kind, das gestern geboren wurde, dann werde ich wieder aufsteigen (denn wir sind hier am östlichen Rand der Welt), und dann werde ich den großen Tanz von neuem beginnen.«

»In unserer Welt«, sagte Eustachius, »ist ein Stern ein riesiger Ball aus Materie oder brennendem Gas.«

»Selbst in eurer Welt, mein Sohn, ist das nicht das, was ein Stern ist, sondern das, woraus er besteht. Und ihr habt in dieser Welt schon einmal einen Stern getroffen: denn ich glaube, ihr seid bei Koriakin gewesen.«

»Ist er auch ein Stern im Ruhestand?« fragte Lucy.

»Nun, nicht ganz«, sagte Ramandu. »Er wurde nicht nur zu seiner Erholung beauftragt, die Tölpel zu regieren. Man könnte sagen, daß es eine Bestrafung war. Wenn alles gutgegangen wäre, dann hätte er noch Jahrtausende am südlichen Winterhimmel scheinen können.«

»Was hat er getan?« fragte Kaspian.

»Mein Sohn«, sagte Ramandu. »Du, als Sohn Adams, hast kein Recht, zu erfahren, welche Fehler ein Stern begehen kann. Aber kommt, wir verschwenden mit dieser Rederei unsere Zeit. Seid ihr entschlossen? Wollt ihr nach Osten segeln, einen aus eurer Gruppe für immer dort zurücklassen und dann wiederkehren, um den Zauber zu brechen? Oder wollt ihr nach Westen segeln?«