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»Armer Rhoop«, sagte Lucy. »Ich bin froh. Er muß schreckliche Zeiten hinter sich haben!«

»Wir wollen nicht daran denken«, sagte Eustachius.

In der Zwischenzeit hatte Kaspians Rede, vielleicht unterstützt von einer Zauberkraft der Insel, genau den gewünschten Erfolg. Noch bevor die halbe Stunde zur Hälfte um war, versuchten schon einige der Männer sich mit Drinian und mit Rhince »anzubiedern« (so wurde das zumindest in meiner Schule genannt), um gut abzuschneiden. Und schon bald waren nur noch drei übrig, die nicht mitwollten, und diese drei versuchten verzweifelt, andere zu überreden, mit ihnen dazubleiben. Und kurz darauf war nur noch einer übrig. Und schließlich bekam er Angst, ganz allein zurückgelassen zu werden, und änderte seine Meinung.

Als die halbe Stunde verstrichen war, kamen sie alle zu Aslans Tisch zurück und stellten sich an einem Ende auf, während Drinian und Rhince sich zu Kaspian setzten und ihren Bericht abgaben. Kaspian nahm alle Männer an mit Ausnahme des einen, der sich erst im letzten Augenblick entschlossen hatte. Sein Name war Pittenkrem, und er blieb auf der Insel des Sterns, während die anderen das Ende der Welt suchten, und er wünschte sich später sehr, er wäre mit ihnen gefahren. Und als die anderen zurückkehrten, war er so durcheinander, daß er auf der Heimreise bei den Einsamen Inseln desertierte und von da an in Kalormen lebte, wo er herrliche Geschichten über seine Abenteuer am Ende der Welt erzählte, bis er sie schließlich selbst glaubte.

In dieser Nacht aßen und tranken sie gemeinsam an dem riesigen Tisch zwischen den Säulen, wo sich das Festmahl auf geheimnisvolle Art und Weise erneuert hatte. Und am nächsten Morgen, nachdem die großen Vögel gekommen und wieder weggeflogen waren, wurde auf der ›Morgenröte‹ das Segel gesetzt.

»Meine Dame«, sagte Kaspian. »Ich hoffe, Euch wiederzusehen, wenn ich den Zauber gebrochen habe.« Und Ramandus Tochter blickte ihn an und lächelte.

15. Die Wunder des letzten Meeres

Schon bald nachdem sie das Land Ramandus verlassen hatten, stieg in ihnen das Gefühl auf, sie wären schon über das Ende der Welt hinausgesegelt. Alles war anders. Erstens merkten sie, daß sie weniger Schlaf brauchten. Sie hatten kein Bedürfnis, sich schlafen zu legen, und keine Lust, viel zu essen. Nicht einmal reden wollten sie, und wenn, dann nur mit leiser Stimme. Das mit dem Licht war auch so eine Sache. Es gab zuviel davon. Wenn die Sonne am Morgen heraufkam, war sie zweimal, wenn nicht dreimal so groß wie normal. Und jeden Morgen flogen die riesigen weißen Vögel über sie hinweg (was Lucy ganz eigenartig berührte). Sie sangen ihr Lied mit menschlichen Stimmen und in einer Sprache, die keiner kannte, und verschwanden schließlich nach achtern auf dem Weg zu ihrem Frühstück an Aslans Tisch. Ein wenig später kamen sie zurückgeflogen und verschwanden im Osten.

Wie herrlich klar das Wasser ist! dachte Lucy, als sie sich am frühen Nachmittag des zweiten Tages über die Reling beugte.

Und dann bemerkte sie ein kleines schwarzes Ding, etwa so groß wie ein Schuh, das sich genauso schnell fortbewegte wie das Schiff. Einen Augenblick lang dachte sie, es wäre etwas, was an der Oberfläche dahintrieb. Aber da kam ein Stückchen altes Brot angeschwommen, das der Koch aus der Kombüse geworfen hatte. Und es sah so aus, als würde das Stückchen Brot mit dem schwarzen Ding zusammenstoßen, aber dann tat es das doch nicht. Es bewegte sich darüber hinweg, und jetzt sah Lucy, daß sich das schwarze Ding nicht an der Oberfläche befinden konnte. Dann wurde es plötzlich sehr viel größer, doch schon eine Sekunde später nahm es seine ursprüngliche Gestalt wieder an.

Lucy wußte, daß sie so etwas schon einmal gesehen hatte – wenn sie sich nur erinnern könnte, wo das gewesen war! Schließlich fiel es ihr ein. Natürlich! Es war so, wie wenn man an einem hellen Sommertag aus dem Zug schaute. Dann konnte man den Schatten des Eisenbahnwagens, in dem man saß, mit der gleichen Geschwindigkeit neben dem Zug auf den Feldern dahingleiten sehen. Und wenn man an einer Böschung vorbeifuhr, kam der Schatten schlagartig näher auf einen zugeschossen, wurde größer und glitt auf dem Gras der Böschung entlang.

Es ist unser Schatten! Der Schatten der »Morgenröte«! dachte Lucy. Unser Schatten, der am Meeresgrund dahingleitet. Als er vorher größer geworden ist, da glitt er gerade über eine Erhebung. Aber in diesem Fall muß das Wasser noch klarer sein, als ich dachte. Meine Güte, es muß der Meeresgrund sein, den ich da weit, weit unter mir sehe!

Im selben Moment wurde ihr klar, daß die große silbrige Fläche, die sie einige Zeit lang gesehen hatte (ohne sie wirklich wahrzunehmen), der sandige Meeresboden gewesen sein mußte und daß die dunkleren und die helleren Flecken keine Schatten waren, sondern wirkliche Gegenstände auf dem Grund. Im Moment segelten sie über eine weiche, purpurn gefleckte grüne Masse mit einem breiten, sich dahinschlängelnden Streifen von fahlem Grau in der Mitte. Aber jetzt, wo sie wußte, daß es auf dem Grund war, sah sie es viel besser. Sie konnte erkennen, daß gewisse Teile der dunklen Masse viel höher lagen als der Rest und daß sie sanft wogten. Genau wie Bäume im Wind, dachte Lucy. Und ich glaube, das ist es auch. Es ist ein Unterwasserwald!

Sie segelten darüber hinweg, und plötzlich lief ein weiterer grauer Streifen auf den ersten grauen Streifen zu. Wenn ich da unten wäre, dachte Lucy, dann wäre dieser Streifen wie eine Straße, die durch den Wald führt. Und dort, wo der andere Streifen auftrifft, da ist eine Kreuzung. Ach, wenn es nur so wäre! Oh! Der Wald hört auf! Und ich glaube, der Streifen war wirklich eine Straße! Jetzt auf dem offenen Sand sehe ich ihn noch immer. Aber jetzt hat er eine andere Farbe. Und an den Seitenrändern ist er markiert – mit einer unterbrochenen Linie. Vielleicht sind das Steine. Und jetzt wird er breiter!

Aber in Wirklichkeit wurde er nicht breiter, sondern er kam näher. Sie merkte das daran, daß der Schatten des Schiffes plötzlich wieder auf sie zukam. Und die Straße – sie war jetzt sicher, daß es eine Straße war – begann in Zickzacklinien zu verlaufen. Offensichtlich kletterte sie einen steilen Berg empor. Und wenn Lucy den Kopf zur Seite wandte und zurückschaute, dann sah sie genau das, was man sieht, wenn man von einer Bergspitze auf eine sich nach oben windende Straße hinunterschaut. Sie sah sogar die Sonnenstrahlen, die durch das tiefe Wasser auf das bewaldete Tal fielen. Ganz in der Ferne verschwamm alles zu einem dämmrigen Grau. Aber manche Stellen – vermutlich die Stellen, die von der Sonne beschienen wurden – waren tiefblau. Sie konnte jedoch nicht viel Zeit darauf verwenden, zurückzuschauen, denn das, was jetzt vorne in Sicht kam, war viel zu aufregend. Die Straße war inzwischen offensichtlich auf der Spitze des Berges angelangt und führte nun geradeaus. Kleine Flecken bewegten sich darauf hin und her. Und jetzt – glücklicherweise im klaren Sonnenlicht oder zumindest so klar, wie Sonnenlicht eben ist, wenn es durch tiefes Wasser fällt –, jetzt tauchte etwas ganz Phantastisches auf. Es war höckerig und zerklüftet und hatte die Farbe von Perlen oder vielleicht von Elfenbein. Lucy befand sich fast genau darüber, und so konnte sie zuerst kaum erkennen, was es war. Aber alles wurde ihr klar, als sie den dazugehörigen Schatten sah. Die Sonnenstrahlen fielen über Lucys Schultern, und so lag der Schatten dessen, was es auch immer sein mochte, auf dem Sand ausgebreitet dahinter. Und an der Form des Schattens sah sie, daß er von Türmen und Zinnen, Minaretts und Domen herstammte.