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Und noch immer konnte keiner herausfinden, was diese weiße Masse war. Dann wurde das Boot hinuntergelassen und ausgeschickt, um Nachforschungen anzustellen. Diejenigen, die auf der »Morgenröte« geblieben waren, konnten sehen, daß sich das Boot genau in die weiße Masse hineinschob. Sie hörten über das stille Wasser ganz klar die schrillen und überraschten Stimmen der Gruppe im Boot. Dann herrschte Stille, während Rynelf am Bug eine Tiefenlotung vornahm; und als das Boot danach wieder zurückkam, schien eine Menge von der weißen Masse darin zu liegen. Alle versammelten sich an der Reling, um zu hören, was es zu berichten gab.

»Es sind Lilien, Eure Majestät!« rief Rynelf, der im Bug des Bootes stand.

»Was hast du gesagt?« fragte Kaspian.

»Es sind blühende Wasserlilien, Eure Majestät«, sagte Rynelf. »So wie in einem Gartenteich zu Hause.«

»Schaut!« rief Lucy, die im Heck des Bootes saß. Sie hielt ihre nassen Arme hoch, die voll waren mit weißen Blütenblättern und breiten, glatten Blättern.

»Wie tief ist es, Rynelf?« fragte Drinian.

»Das ist das eigenartige daran, Kapitän«, sagte Rynelf. »Es ist immer noch tief. Dreieinhalb Faden.«

»Dann können es keine richtigen Wasserlilien sein – auf jeden Fall nicht das, was wir so nennen«, sagte Eustachius.

Vermutlich stimmte das auch, aber sie sahen ganz ähnlich aus. Und als die »Morgenröte« nach einigen Diskussionen in die Strömung zurückdrehte und begann, nach Osten durch das Lilienmeer oder das Silbermeer zu gleiten (sie versuchten es mit beiden Namen, aber schließlich blieb der Name Silbermeer hängen, und der steht jetzt auf Kaspians Karte), begann der seltsamste Teil ihrer Reise. Schon bald war das offene Meer hinter ihnen nur noch ein schmaler blauer Streifen am westlichen Horizont. Das Weiß mit einem schwachen goldenen Schimmer erstreckte sich nach allen Seiten, und nur hinter dem Schiff, dort, wo es die Wasserlilien auseinandergeschoben hatte, lag ein offener, wie dunkelgrünes Gras schimmernder Weg. Dieses Meer hier sah ganz ähnlich aus wie die Arktis; und wenn ihre Augen nicht inzwischen so stark geworden wären wie die eines Adlers, dann wäre die Sonne auf all dem Weiß unerträglich gewesen – besonders am frühen Morgen, wo die Sonne am größten war. Am Abend hatte das Weiß zur Folge, daß es länger hell blieb. Die Lilien schienen kein Ende zu nehmen. Tag für Tag entströmte diesem endlosen Blumenteppich ein Geruch, den Lucy kaum beschreiben konnte – er war süß, ja, aber keinesfalls betäubend, es war ein frischer, wilder, einsamer Duft, der ins Gehirn einzudringen schien, so daß man meinte, man könne im Laufschritt Berge besteigen oder mit einem Elefanten einen Ringkampf austragen. Lucy und Kaspian sagten zueinander: »Ich habe das Gefühl, ich kann es nicht mehr lange aushalten, aber ich will auch nicht, daß es aufhört.«

Sie loteten oft die Tiefe, aber erst ein paar Tage später begann das Wasser, allmählich immer flacher zu werden. Schließlich kam ein Tag, an dem sie aus der Strömung herausrudern und sich im Schneckentempo vorwärtstasten mußten. Und schon bald war klar, daß sie mit der »Morgenröte« nicht weiter nach Osten segeln konnten. Tatsächlich schafften sie es nur durch sehr geschicktes Manövrieren, nicht auf Grund zu laufen.

»Setzt das Boot aus!« rief Kaspian. »Und ruft die Männer nach hinten! Ich muß mit ihnen reden.«

»Was hat er vor?« flüsterte Eustachius Edmund zu. »Er hat einen eigenartigen Ausdruck in den Augen.«

»Ich vermute, daß wir alle gleich aussehen«, sagte Edmund.

Sie gesellten sich zu Kaspian auf das Achterdeck, und schon bald hatten sich alle Männer am Fuß der Leiter versammelt, um zu hören, was ihr König ihnen zu sagen hatte.

»Freunde«, sagte Kaspian. »Wir haben jetzt die Aufgabe erfüllt, zu der wir aufgebrochen sind. Das Verbleiben der sieben Lords ist aufgeklärt, und da Sir Riepischiep geschworen hat, nicht mehr zurückzukehren, werden Lord Revilian, Lord Argoz und Lord Mavramorn sicher erwacht sein, wenn ihr zum Lande Ramandus zurückkehrt. Ich vertraue Euch, Lord Drinian, dieses Schiff an und bitte Euch, so schnell wie möglich nach Narnia zurückzusegeln – und vor allem nicht an der Todeswasserinsel zu landen. Und bittet meinen Regenten, den Zwerg Trumpkin, all meinen Schiffsgenossen das zu geben, was ich ihnen versprochen habe. Sie haben es redlich verdient. Und wenn ich nicht zurückkehre, so ist es mein Wille, daß Trumpkin, Meister Cornelius, der Dachs Trüffeljäger und Lord Drinian den König von Narnia wählen, mit der Einwilligung ...«

»Aber Herr!« unterbrach Drinian. »Wollt Ihr abdanken?«

»Ich gehe mit Riepischiep, um das Ende der Welt zu sehen«, antwortete Kaspian.

Ein entsetztes Murmeln lief durch die Reihen der Matrosen.

»Wir werden das Boot nehmen«, sagte Kaspian. »Ihr werdet es in diesen ruhigen Meeren nicht brauchen, und auf der Insel Ramandus könnt ihr ein neues bauen. Und jetzt.«

»Kaspian!« unterbrach Edmund plötzlich mit strenger Stimme. »Das kannst du nicht tun!«

»Ganz gewiß kann Seine Majestät das nicht!« bestätigte Riepischiep.

»Nein, auf keinen Fall«, sagte Drinian.

»Ich kann nicht?« fragte Kaspian scharf und sah einen Moment lang seinem Onkel Miraz recht ähnlich.

»Ich bitte Eure Majestät um Verzeihung«, rief Rynelf, der unten an Deck stand, »aber wenn das einer von uns täte, dann würde man es ›desertieren‹ nennen!«

»Du nimmst dir auf Grund deiner langen Dienstzeit zu viel heraus, Rynelf!« sagte Kaspian.

»Nein, Herr! Er hat vollkommen recht!« sagte Drinian.

»Bei der Mähne Aslans«, erwiderte Kaspian. »Ich habe gedacht, ihr alle wärt meine Untertanen und nicht meine Schulmeister.«

»Ich bin nicht dein Untertan«, widersprach Edmund, »und ich sage, daß du das nicht tun kannst!«

»Ich kann nicht?« fragte Kaspian. »Was meinst du damit?«

»Wenn es Eurer Majestät beliebt, so meinen wir, Ihr dürft nicht!« sagte Riepischiep mit einer tiefen Verbeugung. »Ihr seid der König von Narnia, Ihr verscherzt das Vertrauen Eurer Untertanen und vor allem das von Trumpkin, wenn Ihr nicht zurückkehrt. Ihr dürft Euch nicht mit Abenteuern vergnügen, als wäret Ihr nur eine Privatperson. Und wenn Ihr keine Vernunft annehmt, dann verlangt die Treue, daß mir jeder Mann an Bord dabei hilft, Euch zu entwaffnen und zu fesseln, bis Ihr wieder bei Sinnen seid.«

»Ganz richtig«, sagte Edmund. »Wie man es mit Odysseus machte, als er zu den Sirenen wollte.«

Kaspians Hand lag auf dem Griff seines Schwertes, als Lucy sagte: »Und du hast der Tochter Ramandus fest versprochen, zurückzukehren.«

Kaspian schwieg. »Nun ja. Das mag sein«, sagte er schließlich. Er stand einen Moment lang unentschlossen da, dann rief er allen zu: »Nun, wie ihr wollt. Unsere Mission ist beendet. Wir kehren alle zurück. Holt das Boot wieder ein!«

»Herr«, sagte Riepischiep, »wir kehren nicht alle zurück. Ich werde, wie ich zuvor erklärt habe ...«

»Ruhe!« donnerte Kaspian. »Ich habe mich belehren lassen, aber ich lasse mich nicht noch länger plagen! Kann niemand diese Maus zum Schweigen bringen?«

»Eure Majestät hat versprochen«, sagte Riepischiep, »den Sprechenden Tieren von Narnia ein guter Herr zu sein.«

»Für die Sprechenden Tiere trifft das zu«, entgegnete Kaspian. »Aber über Tiere, die nie aufhören zu reden, habe ich nichts gesagt!« Wutentbrannt stürzte er die Treppe hinunter, ging in die Kabine und schlug die Tür zu.