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Dann wurden sie nach oben zur Kampfplattform geführt. Zuerst war es sehr beängstigend, dort hin und her zu schwanken und auf das weit darunterliegende und sehr kleine Deck hinunterzuschauen. Allen war klar, daß man im Fall eines Sturzes nicht unbedingt auf das Deck, sondern viel eher ins Wasser fallen würde. Anschließend wurden sie zum Achterdeck geleitet, wo Rhince mit einem anderen Mann zusammen an der großen Ruderpinne seinen Dienst versah. Dahinter erhob sich der vergoldete Schwanz des Drachens, in dem eine kleine Bank entlangführte. Das Schiff hieß »Morgenröte«. Es war winzig, verglichen mit einem von unseren Schiffen oder den Koggen, den Schnellseglern, den Handelsschiffen und den Galeonen, die Narnia besessen hatte, als Lucy und Edmund dort unter König Peter dem Prächtigen geherrscht hatten. Denn unter der Herrschaft von Kaspians Vorfahren war die Schiffahrt fast vollkommen erlahmt. Als sein Onkel, Miraz der Usurpator, die sieben Lords zur See geschickt hatte, mußten sie ein galmanisches Schiff kaufen und es mit bezahlten galmanischen Matrosen bemannen. Aber inzwischen hatte Kaspian begonnen, die Narnianen wieder mit der Seefahrt vertraut zu machen, und die »Morgenröte« war das schönste Schiff, das er bis jetzt hatte bauen lassen. Es war so klein, daß vor dem Mast zwischen der mittleren Luke und dem Boot auf der einen Seite und dem Hühnerstall auf der anderen (Lucy fütterte die Hühner) kaum Platz war. Aber die »Morgenröte« war unter ihresgleichen eine Schönheit, eine »richtige Dame«, wie die Matrosen sagten. Ihre Linien waren vollkommen, ihre Farben rein, und jeder Sparren, jedes Tau und jeder Bolzen war liebevoll angefertigt worden.

Eustachius war natürlich mit nichts zufrieden und gab dauernd mit Passagierdampfern, Motorbooten, Flugzeugen und Unterseebooten an (»Als ob er etwas davon verstünde«, brummte Edmund), aber die anderen beiden waren von der »Morgenröte« begeistert. Und als sie dann nach hinten zum Essen gingen und sahen, daß im Westen der Himmel von einem tiefroten Sonnenuntergang erleuchtet wurde, und als sie das Beben des Schiffes spürten und das Salz auf den Lippen fühlten und an die unbekannten Länder am östlichen Rand der Welt dachten, da hatte Lucy das Gefühl, sie sei zu glücklich, um etwas zu sagen.

Was Eustachius dachte, soll am besten in seinen eigenen Worten erzählt werden, denn als sie alle am nächsten Morgen ihre Kleider getrocknet zurückbekamen, holte er ein kleines schwarzes Notizbuch hervor und begann, Tagebuch zu führen. Dieses Notizbuch hatte er immer bei sich und schrieb sich seine Zensuren auf, denn obwohl ihn keines der Schulfächer von der Sache her interessierte, so interessierte er sich doch sehr für seine Zensuren. Er pflegte sogar zu den anderen Kindern hinzugehen und zu sagen: »Ich habe diese oder jene Zensur bekommen. Und was hast du?« Aber da es nicht so aussah, als würde er auf der »Morgenröte« viele Zensuren erhalten, fing er jetzt an, Tagebuch zu führen. Dies war die erste Eintragung:

7. August. Wenn ich nicht träume, dann bin ich jetzt seit 24 Stunden auf diesem entsetzlichen Boot. Ununterbrochen wütet ein schrecklicher Sturm (glücklicherweise bin ich nicht seekrank). Riesige Wellen schlagen von vorne über das Schiff, und ich habe gesehen, daß es unzählige Male fast untergegangen wäre. Alle anderen tun so, als merkten sie nichts. Entweder wollen sie angeben, oder vielleicht ist es so, wie Harold sagt, daß nämlich die größte Feigheit der normalen Leute darin besteht, daß sie die Augen vor den Tatsachen verschließen. Es ist Wahnsinn, in so einem miesen kleinen Ding wie dem hier aufs Meer hinauszufahren. Es ist kaum größer als ein Rettungsboot. Und natürlich ist es von der Ausstattung her äußerst primitiv. Es gibt keinen ordentlichen Salon, kein Radio, kein Bad, und an Deck sind keine Liegestühle. Gestern abend wurde ich durch das ganze Schiff geschleppt, und davon, wie Kaspian mit seinem komischen kleinen Spielzeugboot angibt, als wäre es die »Queen Mary«, könnte es einem geradezu schlecht werden. Ich versuchte, ihm zu erklären, wie ein richtiges Schiff aussieht, aber er ist zu beschränkt. E. und L. haben mich natürlich nicht unterstützt. Ich nehme an, ein Kind wie L. ist sich der Gefahr nicht bewußt, und E. will diesem K. schöntun, wie alle anderen hier. Sie nennen ihn König. Ich habe ihm gesagt, ich sei Republikaner, aber er hat natürlich gefragt, was das sei. Er scheint überhaupt nichts zu wissen. Selbstverständlich hat man mich in die schlimmste Kajüte auf dem ganzen Schiff gesteckt. Es ist ein richtiger Kerker, und Lucy hat allein ein ganzes Zimmer im Oberdeck erhalten – recht hübsch, verglichen mit dem Rest hier. K. sagt, das sei deshalb, weil sie ein Mädchen ist. Ich habe versucht, ihm zu erklären, was Alberta sagt, daß nämlich all diese Sachen die Mädchen nur herabsetzen. Aber er ist zu beschränkt. Immerhin konnte er begreifen, daß ich krank werde, wenn ich noch länger in diesem Loch bleiben muß. E. sagt, wir dürften uns nicht beklagen, weil K. selbst auch hier wohnt, um Platz zu machen für L. Als ob es dadurch nicht noch enger und noch schlimmer würde! Habe fast vergessen, daß es hier noch so eine Art Mäuseding gibt, das zu allen schrecklich frech ist. Die anderen können sich das ja gefallen lassen, wenn sie Lust haben, aber ich werde es demnächst am Schwanz ziehen, wenn es das mit mir versucht. Das Essen ist auch miserabel.

Die Probleme zwischen Eustachius und Riepischiep tauchten schneller als erwartet auf. Vor dem Essen am nächsten Tag, als die anderen um den Tisch herumsaßen und warteten (auf See hat man einen phantastischen Appetit), kam Eustachius händeringend hereingestürzt und rief: »Dieses kleine Ungeheuer hat mich fast umgebracht! Ich bestehe darauf, daß es im Zaum gehalten wird! Ich könnte euch verklagen! Ich könnte euch befehlen, es beseitigen zu lassen!«

Im gleichen Augenblick erschien Riepischiep. Er hatte das Schwert gezogen, und sein Schnurrbart sah sehr wild aus, aber er war so höflich wie immer.

»Ich bitte alle Anwesenden um Verzeihung«, sagte er. »Und besonders Eure Majestäten. Wenn ich gewußt hätte, daß er sich hierher flüchten würde, hätte ich einen besseren Zeitpunkt für seine Bestrafung abgewartet.«

»Was in aller Welt ist denn los?« fragte Edmund.

Was war geschehen? Riepischiep, dem das Schiff nie schnell genug vorwärts kam, liebte es, ganz vorne am Bug neben dem Kopf des Drachens zu sitzen, den Horizont im Osten zu betrachten und mit seiner kleinen piepsenden Stimme das Lied zu singen, das die Dryade für ihn gemacht hatte. Er hielt sich nie irgendwo fest, sosehr das Schiff auch schwanken mochte, und er hielt ohne jegliche Anstrengung das Gleichgewicht. Vielleicht half ihm sein langer Schwanz dabei, der innen an der Bordwand entlang auf das Deck herunterhing. Jeder an Bord kannte diese Gewohnheit Riepischieps, und die Matrosen waren froh darüber, weil sie dadurch jemand hatten, mit dem sie reden konnten, wenn sie Wache hielten. Den genauen Grund dafür, warum Eustachius die ganze Strecke bis nach vorne zum Vorderdeck schlitterte, taumelte und stolperte (er hatte noch keine Seemannsbeine), habe ich nie erfahren. Vielleicht hoffte er, Land zu sehen, oder vielleicht wollte er sich in der Kombüse herumdrücken und etwas stibitzen.

Auf jeden Fall, als er den langen Schwanz herunterhängen sah – und vielleicht war dies ja auch sehr verlockend –, dachte er, es wäre gar keine schlechte Idee, den Schwanz zu packen, Riepischiep ein- oder zweimal mit dem Kopf nach unten im Kreis herumzuschleudern und dann wegzulaufen und zu lachen.

Zuerst schien der Plan phantastisch zu funktionieren. Riepischiep war nicht viel schwerer als eine sehr große Katze. Schon Sekunden später flog er durch die Luft, und er sah sehr komisch aus (zumindest war Eustachius dieser Ansicht). Er streckte alle viere von sich, und sein Mund stand offen. Aber unglücklicherweise verlor Riepischiep, der schon oft um sein Leben gekämpft hatte, keine Sekunde lang den Kopf. Und auch nicht seine Geschicklichkeit. Es ist nicht einfach, das Schwert zu ziehen, wenn man am Schwanz durch die Luft gewirbelt wird, aber er tat es. Gleich darauf spürte Eustachius zwei schmerzhafte Stiche in der Hand und ließ den Schwanz los. Und dann sprang die Maus auf die Beine wie ein vom Deck abgeprallter Ball, stand ihm gegenüber, und ein schrecklich langes, funkelndes scharfes Ding, das aussah wie ein Fleischspieß, wurde zwei Zentimeter vor seinem Bauch hin und her geschwenkt. (Für die Mäuse in Narnia zählt das nicht als »unter der Gürtellinie«, denn man kann kaum von ihnen erwarten, höher zu reichen.)