»Wir haben unsere Schwerter, Herr«, wandte Riepischiep ein.
»Ja, Riep, das weiß ich«, sagte Kaspian. »Aber wenn wir die drei Inseln zurückerobern müssen, dann würde ich lieber mit einer etwas größeren Streitkraft wiederkommen.«
Inzwischen hatten sie sich den Fremden genähert. Einer von ihnen – ein kräftiger, schwarzhaariger Kerl – rief ihnen zu: »Seid gegrüßt!«
»Seid ebenfalls gegrüßt«, sagte Kaspian. »Gibt es auf den Einsamen Inseln noch immer einen Gouverneur?«
»Sicherlich«, antwortete der Mann. »Gouverneur Gumpas. Seine Hinlänglichkeit residiert in Enghafen. Aber bleibt ein Weilchen, und trinkt ein Glas mit uns.«
Kaspian dankte ihm, obwohl ihm diese Gesellen nicht sehr gefielen. Sie setzten sich. Aber kaum hatten sie ihren Becher zu den Lippen gehoben, als der schwarzhaarige Mann seinen Begleitern zunickte, und in Sekundenschnelle fanden sich die fünf Gefährten von festen Armen umschlossen. Sie versuchten, sich zur Wehr zu setzen, aber die anderen waren ihnen überlegen, und schon bald waren sie alle entwaffnet und ihre Hände auf dem Rücken gefesselt – nur die Riepischieps nicht, der sich in den Armen seines Überwältigers wand und wütend Bisse austeilte.
»Sei vorsichtig mit dem Biest, Tucks«, sagte der Anführer. »Du darfst es nicht verletzen. Ich würde mich nicht wundern, wenn es von allen den besten Preis erzielte.«
»Feigling! Memme!« quiekte Riepischiep. »Gib mir mein Schwert und laß mich los, wenn du es wagst!«
»Oh!« rief der Sklavenhändler (denn das war sein Gewerbe) und stieß einen Pfiff aus. »Es kann reden! Meine Güte! So etwas! Ich will verdammt sein, wenn ich ihn unter zweihundert Kreszent verkaufe!« Der kalormenische Kreszent, die am häufigsten benutzte Münze in dieser Gegend, ist etwa ein Drittel von einem englischen Pfund wert.
»So, das seid ihr also«, sagte Kaspian. »Entführer und Sklavenhändler. Hoffentlich seid ihr stolz darauf!«
»Werdet bloß nicht frech«, sagte der Sklavenhändler. »Je eher ihr euch fügt, desto besser für alle Beteiligten. Ich mache das nicht zum Spaß. Ich muß meinen Lebensunterhalt verdienen, wie jeder andere auch.«
»Wohin bringt ihr uns?« fragte Lucy, die vor Angst kaum reden konnte.
»Hinüber nach Enghafen«, entgegnete der Sklavenhändler. »Zum Markttag morgen.«
»Gibt es dort einen britischen Konsul?« fragte Eustachius.
»Gibt es dort was?« fragte der Mann.
Aber lange bevor Eustachius mit seiner Erklärung fertig war, sagte der Mann einfach: »Also ich habe genug von diesem Geschwafel. Die Maus ist ja schon schlimm genug, aber der da redet einem ein Loch in den Bauch. Los geht’s, Kameraden!«
Dann wurden die vier menschlichen Gefangenen aneinandergefesselt – nicht grausam, aber doch so, daß es kein Entrinnen gab. Riepischiep wurde getragen. Nachdem man ihm angedroht hatte, man würde ihm den Mund zubinden, hatte er aufgehört zu beißen, aber er hatte noch eine Menge zu sagen. Lucy fragte sich, wie ein Mann es ertragen konnte, sich all die Dinge anzuhören, die die Maus zu dem Sklavenhändler sagte. Aber dieser machte keinerlei Einwände, sondern sagte jedesmal, wenn Riepischiep anhielt, um Atem zu holen: »Mach weiter!« Manchmal fügte er hinzu: »Das ist wie im Theater« oder »So was, man könnte fast meinen, das Vieh wüßte, was es da sagt!« oder »Habt ihr ihm das beigebracht?« Das machte Riepischiep so wütend, daß er an all den Dingen, die er sagen wollte, fast erstickte. So schwieg er schließlich.
Als sie zu der Küste hinunterkamen, von wo man nach Doorn hinübersehen konnte, fanden sie dort ein kleines Dorf vor. Am Strand lag eine Barkasse und etwas weiter draußen ein schmutziges, ungepflegtes Schiff.
»So, meine Kinder«, sagte der Sklavenhändler. »Verhaltet euch ruhig, dann habt ihr nichts zu befürchten. Alle an Bord!«
In diesem Augenblick trat ein edel aussehender, bärtiger Mann aus einem Haus (einem Gasthaus, glaube ich) und sagte: »Wie ich sehe, Pug, hast du mal wieder eine neue Lieferung deiner üblichen Ware.«
Der Sklavenhändler, der offensichtlich Pug hieß, verbeugte sich tief und sagte mit schmeichlerischer Stimme: »Ja, sehr wohl, Eure Lordschaft.«
»Wieviel willst du für diesen Jungen?« fragte der Mann und deutete auf Kaspian.
»Ah«, sagte Pug. »Ich wußte, daß Eure Lordschaft den Besten herauspicken würde. Eure Lordschaft begnügt sich nicht mit zweitklassiger Ware. Auf diesen Jungen hatte ich selbst ein Auge geworfen. Ich habe ihn schon fast liebgewonnen. Ich bin so weichherzig, daß ich diesen Beruf nie hätte ergreifen sollen. Doch einem Kunden wie Eurer Lordschaft ...«
»Sag mir deinen Preis, Aasgeier!« forderte der Lord streng. »Glaubst du, ich will mir dieses Geschwätz über deinen schmutzigen Handel anhören?«
»Dreihundert Kreszent, mein Lord, für Eure Ehrenwerte Lordschaft, aber für jeden anderen ...«
»Ich gebe dir hundertfünfzig.«
»Oh, bitte, bitte!« unterbrach Lucy. »Was immer Ihr tun mögt – Ihr dürft uns nicht trennen! Ihr wißt nicht.« Aber dann hielt sie inne, denn sie sah, daß Kaspian selbst jetzt noch nicht wollte, daß man erfuhr, wer er war.
»Hundertfünfzig also«, sagte der Lord. »Was dich betrifft, mein Mädchen, so tut es mir leid, daß ich euch nicht alle kaufen kann. Nimm dem Jungen die Fesseln ab, Pug. Und behandle die anderen gut, während sie in deinen Händen sind, sonst bekommst du es mit mir zu tun!«
»Also so was!« sagte Pug. »Wer hätte je von einem Herrn meines Berufsstandes gehört, der seine Ware besser behandelt hätte als ich? Nun? Ich behandle sie wie meine eigenen Kinder.«
»Das ist sehr wahrscheinlich«, sagte der andere Mann grimmig.
Jetzt war der schreckliche Moment gekommen. Kaspian wurde losgebunden, und sein neuer Herr sagte: »Hier entlang, mein Junge.« Lucy brach in Tränen aus, und Edmund machte ein steinernes Gesicht. Aber Kaspian schaute über die Schulter zurück und sagte: »Kopf hoch. Ich bin sicher, daß alles gut werden wird. Bis bald!«
»Reg dich nur nicht so auf, Fräuleinchen, und verdirb dir nicht das Gesicht für den Markt morgen«, sagte Pug. »Sei ein braves Mädchen, dann gibt es nichts, worüber du heulen müßtest, verstehst du?«
Dann wurden sie zum Sklavenschiff hinausgerudert und nach unten in einen langen, ziemlich dunklen und nicht allzu sauberen Raum gebracht, wo sie viele andere unglückliche Gefangene vorfanden. Denn Pug war natürlich ein Pirat und war gerade von einer Kreuzfahrt zwischen den Inseln zurückgekommen, wo er eingefangen hatte, was zu kriegen war. Die Kinder trafen jedoch keinen, den sie kannten; die Gefangenen waren hauptsächlich Galmaner und Terebinthianer. Sie saßen im Stroh und überlegten, was wohl mit Kaspian geschehen würde, und sie versuchten, Eustachius zum Schweigen zu bringen, der so redete, als wären alle außer ihm für diese Sache verantwortlich.
Kaspian verbrachte inzwischen eine wesentlich interessantere Zeit. Der Mann, der ihn gekauft hatte, führte ihn einen kleinen Weg zwischen zwei Häusern des Dorfes hinab und zu einer freien Fläche hinter dem Dorf. Dann drehte er sich um und blickte Kaspian an.
»Du brauchst keine Angst vor mir zu haben, Junge«, sagte er. »Ich werde dich gut behandeln. Ich habe dich wegen deines Gesichts gekauft. Du erinnerst mich an jemand.«
»Darf ich fragen an wen?« sagte Kaspian.
»Du erinnerst mich an meinen Herrscher, König Kaspian von Narnia.«
Kaspian entschloß sich, alles auf eine Karte zu setzen.
»Mein Lord«, sagte er. »Ich bin Euer Herrscher. Ich bin Kaspian, König von Narnia.«
»Du nimmst dir sehr viel heraus!« sagte der andere. »Woher soll ich wissen, daß du die Wahrheit sprichst?«
»Zuerst einmal seht Ihr es an meinem Gesicht«, erwiderte Kaspian. »Zweitens werde ich sechsmal raten, wer Ihr seid. Ihr seid einer der sieben Lords von Narnia, die mein Onkel Miraz zur See geschickt hat und auf deren Suche ich bin –Lord Argoz, Lord Bern, Lord Octesian, Lord Restimar, Lord Mavramorn oder ... oder ... den letzten habe ich vergessen. Und schließlich – wenn mir Eure Lordschaft ein Schwert gibt – werde ich in einem sauberen Zweikampf beweisen, daß ich Kaspian, Sohn des Kaspian bin, rechtmäßiger König von Narnia, Herr von Feeneden und Kaiser der Einsamen Inseln.«