»Sanlänglichkeit – snich – zprech –«, murmelte er (das war seine Art zu sagen: »Seine Hinlänglichkeit ist nicht zu sprechen«). »Keine Audienz ohne Voranmeldung, außer zwischen neun und zehn jeden zweiten Samstag des Monats.«
»Zieh den Hut vor dem König von Narnia, du Hund!« donnerte Lord Bern und versetzte ihm einen Schlag mit seiner behandschuhten Hand, der den Hut des Mannes zu Boden beförderte.
»Eh? Was’n los?« begann der Torwächter, aber niemand schenkte ihm Beachtung. Zwei von Kaspians Männern traten durch die Seitentür und rissen nach einem kurzen Kampf mit Schlössern und Riegeln (denn alles war rostig) das Tor weit auf. Dann marschierte der König mit seinem Gefolge auf den Schloßhof. Dort standen einige Wachposten des Gouverneurs herum, und ein paar weitere (die sich gerade den Mund abwischten) kamen aus verschiedenen Türen gestolpert. Obwohl ihre Rüstungen in einem jämmerlichen Zustand waren, so waren doch sie es, die gekämpft hätten, wenn man ihnen das befohlen haben würde oder wenn sie gewußt hätten, was da los war. Deshalb war dies ein gefährlicher Moment.
Kaspian gab ihnen keine Zeit zum Nachdenken. »Wo ist der Hauptmann?« fragte er.
»Das bin mehr oder weniger ich, wenn Ihr wißt, was ich meine«, sagte ein träger und geckenhafter junger Mann ohne Rüstung.
»Wir wünschen«, sagte Kaspian, »daß unser königlicher Besuch im Reich der Einsamen Inseln für die Untertanen des Königs ein Anlaß zur Freude und nicht zur Angst sein soll. Wäre es anders, so hätte ich über den Zustand der Rüstungen und Waffen Eurer Männer einiges zu sagen. Doch so, wie es ist, gewähre ich Euch Vergebung. Gebt Befehl, ein Faß Wein zu öffnen, damit Eure Männer auf unsere Gesundheit trinken können. Aber morgen um Mittag sollen sie sich hier im Schloßhof versammeln, und ich wünsche, daß sie dann wie Soldaten aussehen und nicht wie Vagabunden! Tragt dafür Sorge – oder es wird Euch sehr leid tun!«
Der Hauptmann stand mit offenem Mund da, doch Bern rief sofort: »Drei Hochrufe für den König!«, und die Soldaten, die zumindest das mit dem Faß Wein verstanden hatten, auch wenn sie sonst nichts begriffen, fielen mit ein.
Dann befahl Kaspian der Mehrzahl seiner Männer, im Schloßhof zu bleiben. Er selbst, Bern, Drinian und vier andere betraten das Schloß.
Hinter einem Tisch am anderen Ende des Saals, umgeben von mehreren Sekretären, saß seine Hinlänglichkeit, der Gouverneur der Einsamen Inseln. Gumpas war ein mißlaunig aussehender Mann. Sein Haar war einstens rot gewesen, doch jetzt war es fast vollkommen grau. Er blickte auf, als die Fremden hereinkamen, doch dann senkte er den Blick wieder auf seine Papiere und sagte automatisch: »Keine Audienz ohne Voranmeldung, außer zwischen neun und zehn Uhr jeden zweiten Samstag des Monats.«
Kaspian nickte Bern zu und trat zur Seite. Bern und Drinian machten einen Schritt nach vorn, und jeder ergriff ein Ende des Tisches. Sie hoben ihn hoch und warfen ihn durch die Halle. Er kippte um, und ein wildes Durcheinander von Briefen, Dossiers, Tintenfässern, Federn, Siegelwachs und Dokumenten regnete zu Boden. Dann – nicht grob, aber so fest, als wären ihre Hände stählerne Zangen – hoben sie Gumpas aus seinem Stuhl und stellten ihn einen Meter vor dem Tisch ab. Kaspian setzte sich auf den Stuhl und legte sein blankes Schwert über die Knie.
»Mein Herr«, sagte er und richtete den Blick auf Gumpas. »Ihr habt uns nicht den Empfang bereitet, den wir erwartet hätten. Ich bin der König von Narnia.«
»Davon stand nichts in der Korrespondenz«, sagte der Gouverneur. »Und nichts im Protokoll. Wir wurden über nichts Derartiges informiert. Völlig regelwidrig. Ich werde aber gerne jegliches Gesuch ...«
»Und wir sind gekommen, um uns über die Amtsausübung Eurer Hinlänglichkeit zu informieren«, fuhr Kaspian fort. »Ich verlange vor allem in zwei Punkten eine Erklärung. Als erstes finde ich keinerlei Unterlagen darüber, daß in den letzten hundertfünfzig Jahren der Tribut, welcher der Krone von Narnia von diesen Inseln gebührt, bezahlt worden ist.«
»Das wäre ein Punkt, der nächsten Monat im Rat besprochen werden müßte«, erwiderte Gumpas. »Wenn jemand beantragt, daß eine Untersuchungskommission gebildet wird, die bei der ersten Sitzung nächstes Jahr einen Bericht über die finanzielle Geschichte der Inseln abgibt, dann ...«
»Es steht auch ganz eindeutig in unseren Gesetzen«, fuhr Kaspian fort, »daß die volle Schuld vom Gouverneur der Einsamen Inseln aus eigener Tasche beglichen werden muß, wenn dieser Tribut nicht bezahlt wird.«
Jetzt wurde Gumpas aufmerksam. »Oh, das ist völlig ausgeschlossen!« sagte er. »Das ist eine finanzielle Unmöglichkeit – eh –, Eure Majestät muß scherzen!«
Im geheimen fragte er sich, ob es wohl eine Möglichkeit gab, diese unliebsamen Gäste loszuwerden. Hätte er gewußt, daß Kaspian nur über ein Schiff und eine Schiffsmannschaft verfügte, so hätte er ihn jetzt mit süßen Worten besänftigt, in der Hoffnung, seine Gäste während der Nacht überwältigen und töten lassen zu können. Aber er hatte tags zuvor ein Kriegsschiff durch die Meerenge segeln sehen, das Signale ausgesandt hatte, die, wie er vermutete, an dessen Geleitschiffe gerichtet waren. Zu diesem Zeitpunkt hatte er nicht gewußt, daß es das Schiff des Königs war, denn der Wind war zu schwach gewesen, um die Flagge aufzublähen und den goldenen Löwen sichtbar werden zu lassen, und deshalb hatte er die weitere Entwicklung abgewartet. Jetzt war er der Meinung, Kaspian müsse eine ganze Flotte bei Bernhof liegen haben. Gumpas wäre nie der Gedanke gekommen, daß jemand Enghafen betreten könne, um die Insel mit weniger als fünfzig Mann einzunehmen. Auf jeden Fall war es ganz und gar nicht das, was er selbst in einem solchen Fall getan hätte.
»Zweitens«, sagte Kaspian, »möchte ich wissen, warum Ihr diesen abscheulichen und widernatürlichen Sklavenhandel hier habt entstehen lassen, der im Widerspruch zu den alten Gebräuchen und Gepflogenheiten unserer Herrschaftsgebiete steht!«
»Notwendig, unvermeidlich«, sagte seine Hinlänglichkeit. »Ein wesentlicher Bestandteil der wirtschaftlichen Entwicklung unserer Inseln – das versichere ich Euch. Unser gegenwärtiger finanzieller Aufschwung hängt davon ab.«
»Wofür braucht Ihr Sklaven?«
»Für den Export, Eure Majestät. Wir verkaufen sie hauptsächlich nach Kalormen; und wir haben auch andere Märkte. Wir sind ein bedeutendes Handelszentrum.«
»In anderen Worten«, sagte Kaspian, »Ihr braucht sie also nicht. Sagt mir, welchem Zweck sie dienen, außer um die Taschen von Leuten wie Pug zu füllen?«
»Das jugendliche Alter Eurer Majestät«, sagte Gumpas mit einem Lächeln, das väterlich sein sollte, »macht es Euch fast unmöglich, die damit verbundenen wirtschaftlichen Probleme zu begreifen. Ich habe Statistiken, ich habe Schaubilder, ich habe ...«
»So jugendlich mein Alter auch sein mag«, sagte Kaspian, »so glaube ich doch, daß ich den Sklavenhandel genausogut begreife, wie Eure Hinlänglichkeit dies tut. Und ich kann nichts davon sehen, daß er den Inseln Fleisch oder Brot oder Bier oder Wein oder Holz oder Kohl oder Bücher oder Musikinstrumente oder Pferde oder Waffen oder sonst irgend etwas Nützliches bringt. Aber wie dem auch sei – er muß aufhören!«
»Ich kann für derartige Maßnahmen keine Verantwortung übernehmen«, sagte Gumpas.
»Gut«, antwortete Kaspian. »Wir entledigen Euch hiermit Eures Amtes. Lord Bern, kommt hierher.« Und bevor Gumpas richtig begriffen hatte, was da geschah, kniete Bern am Boden und legte einen Eid ab, die Einsamen Inseln unter Einhaltung der alten Gebräuche, Rechte, Gepflogenheiten und Gesetze Narnias zu regieren. Und Kaspian sagte: »Ich glaube, von Gouverneuren haben wir genug«, und er machte Bern zum Herzog der Einsamen Inseln.