Navarro zog verwundert eine Augenbraue hoch, bedeutete aber dem erstaunten Timbale, dass er bleiben sollte. »Wie Sie wünschen, Captain Geary.«
Admiral Otropa sah ungläubig zwischen Timbale, Geary und Navarro hin und her. »Ich sollte nicht von diesem Treffen ausgeschlossen werden, wenn Offiziere anwesend sein dürfen, deren Dienstzeit kürzer ausfällt als meine.«
Einige Ratsmitglieder begannen leise zu reden, aber Navarro brachte sie mit seinem energischen Tonfall und einem gelangweilten Gesichtsausdruck zum Verstummen. »Selbstverständlich, Admiral. Bleiben Sie. General«, fügte er rasch hinzu, da Firgani im Begriff zu sein schien, ebenfalls Protest einzulegen, »da Ihnen die Sicherheit des Rates so sehr am Herzen liegt, sollten Sie persönlich die Geschehnisse im System überwachen. Vielen Dank.«
»Aber Senator…«, begann Firgani.
»Vielen Dank.«
Firgani errötete ein wenig und verließ den Raum. Timbale ging ein wenig auf Abstand zu Admiral Otropa, dann standen beide Offiziere schweigend da, während Navarro sich wieder Geary zuwandte und ihn mit beherrschter Stimme aufforderte: »Captain, uns allen ist der grob umrissene Bericht bekannt, den Sie vorgelegt haben. Aber uns ist auch klar, dass es noch mehr zu berichten gibt. Wenn ich Sie bitten darf…«
Geary griff nach den Displaykontrollen auf dem Tisch und schloss seine Komm-Einheit an, da er nicht mal hier auf die Sicherheit einer drahtlosen Verbindung vertrauen wollte. Das Sternenfeld wich Bildern, die sich in sein Gedächtnis eingebrannt hatten: eine Sphäre aus beschädigten Allianz-Schiffen hinter einer Wand aus nicht ganz so sehr in Mitleidenschaft gezogenen Schwesterschiffen, die sich mit einer kurvenförmig angeordneten Formation aus Syndik-Kriegsschiffen konfrontiert sahen, die zahlenmäßig hoffnungslos überlegen waren. Es war die Situation im Syndik-Heimatsystem, wie sie sich zu dem Zeitpunkt dargestellt hatte, als er den Befehl über das übernahm, was von der Flotte nach dem ersten Schlag der Syndiks noch übrig war. Gearys Erinnerungen an die Zeit, nachdem man ihn aus dem Kälteschlaf geholt hatte, bis hin zum Augenblick dieser Krise waren durch den posttraumatischen Stress beeinträchtigt, mit dem er zu kämpfen gehabt hatte, da er die Tatsache verarbeiten musste, dass ein Jahrhundert an ihm vorbeigegangen war. Doch von diesem Augenblick an konnte er sich alles glasklar ins Gedächtnis rufen, was von ihm gefordert worden war, nachdem er das Kommando übernommen hatte. Er atmete tief durch, um sich zu entspannen, dann begann er mit seinem Bericht.
An einem Punkt geriet er ins Stocken. »Ich wies die Flotte an, sich zum Sprungpunkt nach Corvus zu begeben. Während dieses Rückzugs opferte sich der Schlachtkreuzer Repulse, um die führenden Syndik-Schiffe daran zu hindern, weitere Kriegsschiffe der Allianz zu beschädigen oder zu zerstören, bevor sie in den Sprungraum entkommen konnten.« Die Repulse war von seinem Großneffen Michael Geary befehligt worden, einem Mann, der älter war als er selbst und der voller Verbitterung ein Leben lang im Schatten des legendären Black Jack Geary gestanden hatte.
»Wissen Sie, ob Commander Michael Geary den Verlust seines Schiffs überlebt hat?«, warf die stämmige Frau ein.
»Nein, Ma’am, darüber ist mir nichts bekannt.«
Sie nickte auf eine übertrieben mitfühlende Weise, während sich ein anderer Senator in forderndem Tonfall zu Wort meldete: »Haben Sie den Syndik-Hypernetschlüssel zurückgebracht, der uns von diesem Syndik-Verräter überlassen worden war?«
»Ja, Sir«, bestätigte Geary und fragte sich, wieso diese Frage so vorwurfsvoll gestellt wurde.
»Warum haben Sie den Schlüssel dann nicht noch einmal benutzt?«, wollte der Senator wissen. »Warum haben Sie die Flotte nicht auf diese Weise viel schneller nach Hause gebracht?«
»Weil es für die Syndiks kein Problem dargestellt hätte, Truppenverstärkung in alle Systeme zu schicken, die auf unserem Weg liegen und über ein Hypernet-Portal verfügen«, erwiderte Geary in einem – wie er hoffte – geduldigen Ton. »Wir wussten, dass wir den Schlüssel ins Allianz-Gebiet zurückbringen sollten, aber das bedeutete für uns, dass wir die Hypernet-Portale der Syndiks meiden mussten. Bei Sancere haben wir einmal den Versuch unternommen, aber die Syndiks eröffneten das Feuer auf ihr eigenes Hypernet-Portal und ließen es zusammenbrechen, bevor wir es erreichen konnten.«
»Dann ist der Schlüssel also nutzlos.« Der Senator sah sich gereizt um, als warte er nur darauf, dass ihm jemand widersprach.
»Nein«, sagte Geary und konnte nur hoffen, dass er entschieden, aber respektvoll klang. »Er ist vielmehr von entscheidender Bedeutung. Der Schlüssel ist analysiert worden, und es werden derzeit Duplikate davon hergestellt, auch wenn das einige Zeit in Anspruch nehmen wird, wie ich gehört habe. Das Original wurde mittlerweile der Dauntless zurückgegeben, wo uns der Schlüssel weiterhin den enormen Vorteil verschafft, das Hypernet des Feindes benutzen zu können. Diesen Vorteil könnten die Syndiks nur ausgleichen, indem sie ihr gesamtes Hypernet kollabieren lassen, was dann aber der Allianz einen umso größeren wirtschaftlichen und militärischen Vorteil verschaffen wird. Es gibt noch andere Dinge, auf die ich in diesem Zusammenhang zu sprechen kommen werde…«
»Ich will aber jetzt wissen, ob…«, begann der Senator.
Navarro ging sofort energisch dazwischen: »Wir werden zunächst Captain Geary gestatten, seinen Bericht vorzutragen. Danach können wir uns immer noch allen Fragen widmen, die sich daraus ergeben.«
»Aber diese Meldungen über kollabierende Hypernet-Portale…«
»…werden zur Sprache kommen, wenn der Captain fertig ist«, beharrte Navarro. Der andere Mann sah sich nach Unterstützung für seine Forderung suchend um, doch die bekam er nicht, woraufhin er gekränkt verstummte.
Geary fuhr fort, das Display veränderte sich, um zunächst das Corvus-System und dann alle anderen Systeme darzustellen, die die Flotte durchquert hatte und in denen es zu Auseinandersetzungen mit den Syndiks gekommen war. Parallel dazu listete Geary den ständig sinkenden Bestand an Brennstoffzellen und an Lebensmittelvorräten auf, außerdem beschrieb er die verzweifelten Gefechte, um die Syndiks daran zu hindern, die Flotte ein weiteres Mal in eine Falle laufen zu lassen.
Admiral Otropa war deutlich anzusehen, dass er es nicht gewöhnt war, stumm dazustehen, während ein anderer Offizier im Rampenlicht stand. Mit wachsender Ungeduld lauschte er Gearys Schilderungen, bis der eine kurze Pause machte, um einmal Luft zu holen. »Angehörige des Großen Rats, ich glaube nicht, dass Captain Geary den Verlauf dieser Gefechte zutreffend darstellt.«
Alle drehten sich zu Otropa um, aber Rione war diejenige, die das Wort ergriff: »Ist das so, Admiral? Wollen Sie behaupten, die Logbücher der Allianz-Kriegsschiffe und die Berichte der befehlshabenden Offiziere sind zu diesem Zwecke gefälscht worden?« Ihr Tonfall hatte nichts Vorwurfsvolles an sich, vielmehr etwas trügerisch Interessiertes.
»Ja!«, erklärte Otropa und nickte nachdrücklich. »Ja, denn unsere Vorfahren kannten das Geheimnis, wie man siegt, nämlich durch einen frontalen Angriff, bei dem jeder Captain mit den anderen wetteifert, um festzustellen, wer von ihnen der Tapferste ist und dem Feind den härtesten Schlag zufügt. Diese Siege, von denen uns erzählt wird, verstoßen gegen all diese Prinzipien. Sie können nicht wahr sein. Nicht, wenn wir unsere Vorfahren ehren!«
Geary starrte Otropa ungläubig an, und nur allmählich wurde ihm bewusst, dass alle anderen ihn ansahen und auf seine Erwiderung auf die Worte des Admirals warteten, der ihn überheblich anlächelte. »Admiral«, begann er ruhig. »Sie zweifeln meine Ehre an, indem Sie Anschuldigungen aussprechen, für die es keine Grundlage gibt. Und Sie zweifeln auch die Ehre jedes Offiziers und jedes Matrosen in der Flotte an. Ich habe mich nie in einer Weise geäußert, die den Schluss zulässt, dass es ihnen an Tapferkeit fehlte oder dass sie jemals darin nachgelassen haben, den Feind auf jede nur denkbare Weise in die Enge zu treiben. Die Schiffe und ihre Besatzungen, die wir auf dem Weg nach Hause verloren haben, belegen deutlicher den Mut unseres Personals, als ich es mit Worten ausdrücken könnte.«