Er hatte Rione nicht auf die Brücke kommen hören und bemerkte ihre Anwesenheit erst, als sie zu reden begann: »CEO Shalin räumt die Konkurrenz aus dem Weg. Er geht davon aus, die Macht an sich reißen zu können, weil er über die letzte nennenswerte Syndik-Streitmacht verfügt. Ich hatte mich schon gewundert, wann er endlich erkennt, welche Gelegenheit sich ihm hier bietet. Jetzt hat er es ja wohl getan.«
»Dann wird er auch versuchen, den neuen Exekutivrat zu eliminieren.«
»Wenn er an uns vorbeikommt, dann ja.«
»Das wird er aber nicht. Warum befolgen die anderen seinen Befehl, auf Rettungskapseln zu schießen, die Syndiks an Bord haben?«
Desjani lachte finster auf. »Einige von ihnen machen das nicht. Sehen Sie sich seine Formation an.«
Die Kastenformation, die wegen des abrupten Bremsmanövers schon ein wenig aus den Fugen geraten war, begann sich in die Länge zu ziehen, da einzelne Kriegsschiffe ihren Platz verließen. Geary wünschte, seine Flotte wäre näher am Geschehen und hätte nicht noch einige Stunden Flug vor sich. »Wir könnten sie erledigen, solange dieses Chaos in ihren Reihen herrscht.«
»Die müssen sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen wollen«, gab Desjani zu bedenken. »Wie viele Seiten stehen ihnen im Moment eigentlich zur Verfügung? Drei?«
»Zwei«, antwortete Rione. »Nachdem Shalin zweifellos alle Mitglieder des alten Exekutivrats getötet hat, existiert diese Seite nicht länger. Jetzt haben die anderen nur noch die Wahl zwischen ihm und dem neuen Exekutivrat.«
»Wenn ich nahe genug herankomme«, brummte Geary, »werde ich alles unternehmen, dass für die Syndiks nur noch eine Seite zur Wahl steht.«
»Und ich werde mich wieder den Verhandlungen widmen. Ich muss herausfinden, wie sich die Ermordung des alten Exekutivrats auf die Einstellung des Nachfolgers ausgewirkt hat.«
Während Rione die Brücke verließ, öffnete sich neben Geary ein Fenster, das Lieutenant Iger zeigte, der ihn erfreut ansah. »Admiral, wir haben es.«
»Was haben Sie?«
»Das Flaggschiff der Flotte, Sir. Normalerweise ist es nicht möglich, das Flaggschiff zu identifizieren, weil es im lokalen Netzverkehr versteckt wird, aber jetzt gehen die Mitteilungen in alle Richtungen, da es eine Art internen Disput gibt, und dabei konnten wir das Flaggschiff ausfindig machen. Es ist dieser Schlachtkreuzer, Sir.« Eines der Schiffe auf Gearys Display leuchtete im gleichen Moment etwas heller als der Rest.
»Hervorragend.« Geary merkte, wie er den Mund zu einem wölfischen Grinsen verzog. »Sorgen wir dafür, dass wir es im Auge behalten.« Abermals überprüfte er die Entfernungen und Zeiten. Während des Kampfs zwischen der Syndik-Flotte und dem Schlachtschiff war der Abstand der Allianz-Flotte zum Ort des Geschehens weiter zusammengeschmolzen. Die überlebenden Syndik-Schiffe folgten nach wie vor dem Vektor, auf dem sie sich befunden hatten, bevor Verwirrung darüber entstanden war, wessen Befehle sie ausführen sollten. Die Zeit bis zum Zusammentreffen belief sich jetzt nur noch auf knapp über vier Stunden.
Duellos war deutlich näher, aber seine Eingreiftruppe jagte unverändert den Syndiks hinterher, die mit etwas mehr als 0,1 Licht durchs All rasten. Fast eine Stunde würde es noch dauern, bis Duellos in einer Position war, um erneut das Feuer auf die Flotte zu eröffnen.
Aber sollte er dann überhaupt so vorgehen? Geary widmete sich wieder dem Durcheinander, das in der Syndik-Formation weiter um sich griff. Selbst wenn jegliche Ordnung aufgegeben werden sollte, würde Duellos die Formation nicht aufbrechen können. Ganz im Gegenteil…!
»Captain Duellos, hier spricht Admiral Geary. Verringern Sie Ihre Geschwindigkeit, damit Sie nicht so schnell zur Syndik-Flotte aufschließen. Die Syndiks streiten gerade darüber, wem sie sich anschließen sollen. Wenn Sie nun ein paar Treffer landen, könnte es sein, dass sie ihre Diskussion einstellen und sich geschlossen gegen den gemeinsamen Feind wenden. Ich möchte, dass Sie Ihre Geschwindigkeit so anpassen, dass Sie in dem Moment von der einen Seite angreifen können, in dem wir von der anderen Seite die Flotte erreichen. Ich betone ausdrücklich: Dieser Befehl bedeutet kein mangelndes Vertrauen in Sie oder in Ihre Schiffe. Beobachten Sie die Syndik-Flotte genau, und wenn Sie glauben, dass sich eine entscheidende Gelegenheit ergibt, dann haben Sie meine Erlaubnis, auch nach eigenem Ermessen in Aktion zu treffen, bevor der Rest der Flotte in Feuerreichweite ist. Geary Ende.«
Aktuelle Daten von Duellos’ Schiffen gingen ein, die alle nur leichtere Schäden erlitten hatten. Die Agile übermittelte dagegen einen viel umfangreicheren Schadensbericht. Geary musste sich einen Fluch verkneifen, als er die Angaben las, dann rief er die Tanuki. »Captain Smyth, machen Sie bitte eines Ihrer Hilfsschiffe bereit, um es zur Agile zu schicken, sobald wir die Bedrohung durch die Syndik-Flotte abgestellt haben. Die Agile muss so bald wie möglich wieder einsatzbereit sein.«
Sekunden später ging Smyths Antwort ein. »Ich verstehe, dass Sie die Agile retten wollen. Ich werde die Witch schicken, Sir, aber ich muss Ihnen schon jetzt sagen, dass mir nicht gefällt, welche Daten die Agile mir über ihre strukturellen Schäden sendet. Das könnte mehr sein, als wir zu leisten imstande sind.«
»Verstanden.« Geary starrte finster auf sein Display. »Die Leute, die ein so lachhaftes Design für ein Kriegsschiff absegnen, sollten mit dem Ding persönlich in die Schlacht ziehen.«
Desjani verzog den Mund. »Die Agile wurde wegen des Handelns eines Flottenoffiziers so zusammengeschossen.«
»Wir wissen noch nicht, warum die Adroit den Kurs geändert hat.«
»Empfangen wir keine aktuellen Statusmeldungen von der Adroit?«
»Doch.«
»Weisen diese Meldungen auf irgendwelche Probleme mit den Steuersystemen hin?«, hakte sie nach.
»Nein. Die Kursänderung erfolgte aufgrund eines Befehls, der an den Steuerkontrollen eingegeben wurde. Ich weiß bloß nicht, aus welchem Grund dieser Befehl erteilt wurde.«
»Ist das wichtig?« Sie hielt kurz inne. »Ich habe über Beowulf gelesen, auch über Kattnigs übriges Verhalten in der jüngsten Zeit. Ich habe mich gefragt, warum ein Offizier, der auf so schlimme und blutige Schlachten zurückblicken kann, sich aufführt wie ein frischgebackener Ensign, der große Reden schwingt, insgeheim aber völlig verunsichert ist, weil er nicht weiß, wie er sich in einem echten Gefecht verhalten wird.«
»Ich weiß, es klingt nicht nach dem gleichen Offizier.«
»Vielleicht ist er der ja nicht mehr«, redete Desjani ganz leise weiter. »Vielleicht hat er zu viel Blutvergießen gesehen und zu viele Schiffe verloren. Vielleicht war Beowulf für ihn eine brutale Schlacht zu viel, und er hat es einfach nicht mehr ausgehalten. So etwas kommt vor.«
Geary sah sie erstaunt an. »Ich dachte, bei der medizinischen Untersuchung fällt so was auf.«
»Nicht immer. Das ist so wie bei einer Verhörzelle, die einem nur das sagt, was jemand für wahr hält. Wenn jemand sich selbst davon überzeugt hat, dass es ihm gut geht, dann wird das auch so angezeigt.« Sie schüttelte leicht den Kopf. »Womöglich wusste Kattnig es gar nicht richtig, sondern er hat nur vermutet, dass er die Nerven verloren hat. Aber durch sein Handeln haben wir mindestens ein Schiff verloren, vielleicht sogar zwei.«
»Wir haben noch immer nicht…« Er unterbrach sich und schaute weg.
»Captain Duellos hat das vorübergehende taktische Kommando über die Adroit, aber er besitzt nicht die Autorität, um Kattnig das Kommando zu entziehen und ihn in Schutzhaft zu nehmen. Sie schon. Sie müssen das jetzt machen.«
Geary drehte sich abrupt zu ihr um und musterte sie wütend. »Es dauert über eine Stunde, bis der Befehl ihn erreicht. Warum sind Sie so darauf versessen, Kattnig schlechtzureden? Er hat eine tadellose Personalakte, und der Ärztestab hat ihn für gesund erklärt.«