»Er hatte eine tadellose Personalakte. Wenn er zu weit getrieben worden ist, dann lag es in seiner Verantwortung, diese Tatsache zu erkennen, bevor sie Menschenleben kosten konnte.«
»Wenn ihm jetzt das Kommando entzogen wird, dann wird das für die meisten so aussehen, als hätte ich ihn zum Feigling gestempelt. Warum wollen Sie so vorschnell urteilen und einen Mann zerstören, der der Allianz so viel gegeben hat?« Sein Ton wurde mit jedem Wort hitziger.
Desjanis Augen flammten auf, dann beugte sie sich vor bis in seine virtuelle Privatsphäre, um ihm zuzuzischen: »Er hat sich bereits selbst zerstört, Admiral Geary. Sie wissen, wie diese Flotte ist und wie wir denken. Können Sie etwas so Simples immer noch nicht verstehen? Kattnig hat sich öffentlich entehrt, indem er dem Gefecht ausgewichen ist. Offiziere und Matrosen sind seinetwegen umgekommen. Aber er ist kein großmäuliger Dummkopf wie Numos. Kattnig weiß, was er getan hat, und er weiß auch, wie jeder von ihm denkt und welches Schicksal ihn erwartet. Was wird ein ehrbarer Mann tun, der sich mit einem solchen Schicksal konfrontiert sieht? Ein Mann, der bereits über seine Grenzen getrieben wurde?«
Dann begriff er, was sie meinte. »Ihm muss das Kommando entzogen und er muss verhaftet werden, damit er vor sich selbst geschützt wird.«
»Ja, Admiral Geary. Und Sie täten gut daran, mir nie wieder zu unterstellen, ich könnte es auf die Vernichtung eines guten Offiziers abgesehen haben!« Dann wich sie zurück und lehnte sich in ihrem Sessel nach hinten, während sie wutentbrannt auf ihr Display schaute.
Er versuchte, ruhiger zu werden, dann rief er die Adroit. »Captain Kattnig wird mit sofortiger Wirkung das Kommando entzogen, er ist in Schutzhaft zu nehmen. Der XO der Adroit übernimmt vorläufig das Kommando.« Nachdem er die Verbindung beendet hatte, sagte er zähneknirschend: »Es tut mir leid, Captain Desjani. Ich hätte das nicht sagen sollen. Es war unprofessionell von mir, Ihnen so etwas zu unterstellen, insbesondere mit Blick darauf, wie gut ich Sie kenne.«
Desjani nickte, schaute aber weiter stur geradeaus.
»Eines Tages werde ich es schon noch schaffen, dass ich Ihnen beim ersten Mal richtig zuhöre, wenn Sie mir etwas Wichtiges zu sagen haben.«
Ihr Gesicht nahm einen etwas sanfteren Ausdruck an. »Das glaube ich erst, wenn ich es sehe.«
»Glauben Sie, der Befehl wird die Adroit noch rechtzeitig erreichen?«
»Nein. Aber ich hoffe, ich irre mich.«
»Ich glaube nicht, dass Sie sich irren.« Eine Weile saßen sie schweigend da und sahen mit an, wie die verschiedenen Formationen auf den Displays langsam zusammenrückten.
Mit einer kombinierten Geschwindigkeit von fast 0,25 Licht näherten sie sich der Syndik-Flotte und der Eingreiftruppe. Als Folge davon dauerte es nur eineinhalb Stunden, bis sie sahen, wie Duellos auf Gearys Befehl hin seine Schiffe leicht abbremsen ließ. Während die Eingreiftruppe auf den neuen Vektor einschwenkte, nickte Desjani zufrieden. »Wenn sich nichts verändert, wird die Eingreiftruppe die Syndik-Flotte fast zur gleichen Zeit erreichen.«
Die Syndik-Formation war nicht weiter zerfallen, aber sie hatte sich auch nicht wieder zusammengeschlossen. Die Schiffe folgten weiter einem Kurs, der sie zur Primärwelt führte. Zuvor sollte es aber noch ein Zusammentreffen mit der Allianz-Flotte geben. »Was hat er vor?«, wunderte sich Desjani. »Will er an uns so vorbeirasen wie an Duellos’ Schiffen und den Planeten erreichen, um den neuen Exekutivrat ebenfalls zu ermorden?«
»So leicht wird der Exekutivrat nicht zu finden sein, immerhin hat er einen ganzen Planeten zur Verfügung, um irgendwo unterzutauchen.« Geary stützte das Kinn auf eine Hand auf und dachte nach. »Rione sprach davon, dass CEO Shalin mich persönlich tot und geschlagen sehen will.«
»Diese Vermutung ist nicht gerade eine überwältigende Leistung«, meinte Desjani daraufhin.
Er beschloss, auf ihre Erwiderung nicht einzugehen. »Was ich damit sagen wilclass="underline" Er könnte einen Plan schmieden, wie er mich schlagen kann.«
Desjani überlegte kurz, dann sagte sie: »Das ist möglich. Als er das letzte Mal dieser Flotte unter Ihrem Kommando gegenüberstand, da verloren wir… einen Schlachtkreuzer.«
»Es war die Repulse«, stellte er mit fester Stimme klar.
»Ja, Sir. Aber Shalin könnte denken, dass das sehr wohl ein Sieg über uns war. Wir haben bei dem Hinterhalt schwere Verluste erlitten und mussten nach Corvus entkommen, um uns neu zu formieren. Seitdem hat er nicht wieder gegen Sie gekämpft. Er könnte also durchaus der der Meinung sein, dass er der bessere Befehlshaber ist.« Sie nickte wieder, mehr zu sich selbst als in seine Richtung. »Erst die Allianz-Flotte besiegen, dann den neuen Exekutivrat eliminieren, und dann könnte er die Führung der Syndikatwelten für sich reklamieren. Das ist zwar verrückt, aber er könnte es für machbar halten. Das würde erklären, warum er uns nicht wieder ausweicht, während die Flotte immer noch darüber diskutiert, wem sie folgen soll. Er will uns aus dem Weg räumen.«
Das passte sehr gut. Geary erinnerte sich an Captain Falcos Worte, wie der Kampfgeist mühelos eine zahlenmäßige Unterlegenheit wettmachen kann. Zudem war Falco nicht der Einzige in der Allianz-Flotte, der so dachte. Die Syndiks hatten bei vorangegangenen Schlachten mit der Flotte demonstriert, dass sie die gleiche Einstellung vertraten. »Vielleicht hat er sogar keine andere Wahl mehr. Er muss vorpreschen, denn wenn er eine Pause macht, wenn er zögert oder wenn er einen Rückzug befiehlt, wird er nicht länger in der Lage sein, die Flotte zusammenzuhalten.«
Desjani Lachen hatte etwas Boshaftes an sich. »Und wenn er nur einfach nicht schnell genug rennt, werden die Wölfe, die er jetzt noch anführt, über ihn herfallen und ihn zerfleischen.«
»Also ist er verzweifelt, aber auch gerissen genug, um immer noch am Leben zu sein.« Im Geiste begann er, sich auszumalen, was Shalin tun könnte und wie er darauf reagieren müsste. Seine Überlegungen wurden nach kurzer Zeit jedoch unterbrochen, da eine Mitteilung von der Adroit einging.
Er erkannte die Frau, die ihn auf der Brücke der Adroit sitzend anschaute. Sie war Kattnigs XO, seine Stellvertreterin auf dem Schlachtkreuzer. Als Geary bei Varandal durch die Adroit geführt worden war, hatte sie einen ruhigen und kompetenten Eindruck auf ihn gemacht. Jetzt sah sie mit ernster Miene drein, so als müsse sie um Beherrschung ringen. »Hier ist Commander Yavina Lakova, vorübergehende Befehlshaberin der Adroit. Ich muss zu meinem Bedauern mitteilen, dass… Captain Kattnig tot ist. Er war im Besitz einer den Vorschriften entsprechenden Handfeuerwaffe. Aus ihr hat sich ein… ein Schuss gelöst. Die erste Einschätzung der Situation ergibt, dass er in seinem Quartier die Waffe überprüft hat, und dabei hat sich… versehentlich ein Schuss gelöst. Der Tod ist vermutlich sofort eingetreten. Das ereignete sich eine halbe Stunde vor Eintreffen Ihres Befehls betreffend Captain Kattnig, daher war ich nicht mehr in der Lage, diesen Befehl auszuführen. Abgesehen davon ist die Adroit kampfbereit. Ich werde das Kommando führen, bis Sie etwas anderes entscheiden. Lakova Ende.«
Der Bildschirm erlosch, Geary kniff die Augen zu und atmete tief durch. »Sie hatten recht«, sagte er zu Desjani.
»Verdammt, verdammt, verdammt. Und so etwas nach diesem ehrenvollen Dienst…«
»Der Befehl, ihm das Kommando zu entziehen, traf zu spät ein. Heißt das, dass er offiziell nie in Kraft getreten ist?«
»Könnte sein.«
»Es liegt in meiner Verantwortung, die Diensttauglichkeit der mir unterstellten Offiziere zu beurteilen. Ich habe versagt.«