Geary fühlte sich einmal mehr rastlos und unternahm einen seiner typischen Spaziergänge durch die Dauntless, auf denen er in den Gängen des Schiffs unterwegs war und die Offiziere und Matrosen grüßte, denen er dabei begegnete. Mit dem einen oder anderen wechselte er ein paar Worte, aber nur einer, ein Chief Petty Officer, stellte die Frage, die allen in der Flotte durch den Kopf gehen musste. »Wer sind die, Admiral? Diese Aliens, meine ich.«
»Das wissen wir nicht«, antwortete Geary. »Das ist einer der Gründe, weshalb wir hier sind, Chief. Wir wollen herausfinden, wer sie sind und was sie vorhaben.«
»Die Leute erzählen sich, dass die sich ein paar Sternensysteme der Syndiks einverleiben wollen, Admiral.«
»Danach sieht es aus, Chief. Aber wir wissen nicht, wann sie zufrieden sind oder ob sie nicht auf einmal bei uns zu Hause vor der Tür stehen und Allianz-Systeme übernehmen wollen. Sollten sie tatsächlich feindselig sein, dann wollen wir uns ihnen hier in den Weg stellen, bevor sie bei uns auftauchen.«
Der Chief und die Matrosen, die mit ihm in einer Gruppe standen, nickten zustimmend. Das war die Art von Logik, die einen Sinn für sie ergab. »Hatten sie was mit Kalixa zu schaffen?«
»Wir glauben ja.«
Alle verzogen sie angewidert den Mund. »Hässliche Sache«, meinte der Chief. »Wir wollen nicht, dass sie so was in einem Allianz-System versuchen.«
»Ganz bestimmt nicht«, pflichtete Geary ihm bei. »Wir wollen nicht mal, dass sie auch nur glauben, sie könnten mit so was ungeschoren davonkommen.«
»Ist ja fast wie Grendel, nicht wahr?«, merkte der Chief an. »Nur dass es diesmal nicht die Syndiks sind, die einen Überraschungsangriff auf uns planen. Wir danken den lebenden Sternen, dass Sie hier bei uns sind, Sir. So wie Sie damals auch dort waren.« Wieder folgte zustimmendes Nicken.
»Danke, und ich danke den lebenden Sternen, dass Sie heute alle bei mir sind.« Er wusste nie so recht, wie er mit Bemerkungen umgehen sollte, wie sie der Chief gemacht hatte, aber eine schlichte, ehrliche Antwort erschien ihm immer noch die beste Antwort. Die Matrosen schienen sich darüber zu freuen.
Als er weiterging, musste er wieder an das denken, was der Chief gesagt hatte. In gewisser Weise erinnerte das hier tatsächlich an Grendel. Die Syndik-Flotte entsprach in ihrer Größe in etwa der, der sich Geary bei Grendel gegenübergesehen hatte. Doch während es damals nur ihn und die Crew seines Schweren Kreuzers Merlon gegeben hatte, wurde er nun von einer eigenen Flotte begleitet. Und diesmal waren es die Kriegsschiffe der Allianz-Flotte gewesen, die ohne Vorwarnung in einem Syndik-Sternensystem aufgetaucht waren und ihre friedlichen Absichten bekundet hatten, und das war das genaue Gegenteil der Ereignisse bei Grendel. Genau genommen war die Allianz-Flotte sogar darum gebeten worden herzukommen. Und sie hegte keine feindseligen Absichten gegen die Bevölkerung dieses Systems. Manches war wie bei Grendel, aber vieles war auch völlig anders.
Die Leute aus dieser Zeit glaubten unbeirrbar daran, dass er bei Grendel gesiegt hatte, obwohl die Merlon zerstört worden war. Unwillkürlich fragte er sich, wie man wohl in hundert Jahren die jetzt anstehende Konfrontation in Erinnerung haben würde – und wie hoch der Preis war, den sie kosten würde.
Schließlich kehrte Geary auf die Brücke zurück, wo er auf sein Display starrte, auf dem sich keine bedeutenden Veränderungen abgespielt hatten, obwohl das Ultimatum der Aliens vor Stunden abgelaufen war. Desjani saß immer noch in ihrem Sessel und schien sich in der ganzen Zeit nicht gerührt zu haben. Sie wirkte wie eine große Raubkatze, die geduldig darauf wartete, dass ihre Beute auftauchte und sie sich auf sie stürzen konnte. Auch die Wachhabenden schienen auf eine ganz ähnliche Weise angespannt zu sein, da sich unter ihre Zuversicht in ihre Vorgesetzten und ihr eigenes Können die Sorge vor dem Unbekannten mischte, das auf sie alle wartete. Hinter Geary gab Senatorin Costa nur unwillig ihren Platz an Rione ab, die sich wortlos hinsetzte und nach außen hin völlig unbesorgt erschien.
Eine weitere Stunde verstrich, und Gearys Gedanken kreisten um die Schlachten, in denen er das Kommando gehabt hatte, und um die Männer, Frauen und Schiffe, die diese Schlachten nicht überlebt hatten. Seine Entscheidungen, seine Verantwortung. Ihm kamen Carabalis Worte in den Sinn: Ich bin es leid, entscheiden zu müssen, wer überlebt und wer stirbt.
Dann auf einmal waren sie da und rissen Geary aus seinen Überlegungen. Das All, das eben noch leer gewesen war, hatte sich schlagartig mit Schiffen gefüllt.
Mit einer großen Menge an Schiffen.
Geary spürte, wie die Anspannung auf der Brücke abrupt in die Höhe ging, und er bemühte sich, nach außen hin Ruhe zu bewahren. »Sieht aus, als wären sie uns zahlenmäßig überlegen.«
»Ungefähr im Verhältnis zwei zu eins«, bestätigte Desjani genauso gefasst wie er. Er fragte sich, ob sie ihre Gelassenheit auch nur so vortäuschte wie er. Bei Desjani hatte er schon immer das Gefühl gehabt, dass sie umso ruhiger wurde, je näher ein Gefecht rückte. »Sie sind ungefähr zweieinhalb Lichtstunden von uns entfernt und gleichzeitig ungewöhnlich weit weg vom Sprungpunkt. Lieutenant Commander Kosti, was erzählen die Schiffssysteme?«
Kosti, der offensichtlich froh war, sich auf etwas anderes konzentrieren zu dürfen als auf die Anzahl an Alien-Schiffen, betrachtete aufmerksam seine Displays. »Sie sind tatsächlich deutlich weiter vom Sprungpunkt entfernt, als es unsere Schiffe wären. Die Systeme können aber nicht feststellen, ob die Aliens einen völlig anderen Antrieb verwenden, um das Sprungphänomen zu nutzen, oder ob sie bei der gleichen Antriebsart andere Ergebnisse erzielen.«
Desjani nickte. »Danke. Das heißt, sie könnten auch über größere Sprungreichweiten verfügen.«
»Ja, Captain. Vielleicht sogar deutlich größere, aber dazu lassen sich keine Angaben machen.«
Geary konzentrierte sich wieder auf die Aliens, deren Armada in sechs Unterformationen aufgeteilt war, die alle die Form einer Scheibe aufwiesen. Die Unterformationen waren zu zwei V-förmigen Gruppen angeordnet, in denen eine Formation ein Stück weit vor den beiden anderen positioniert war. Beide V-Gruppen hatte man übereinandergestapelt, wobei die untere ein Stück nach hinten zurückversetzt war. »Ich habe keine Ahnung, wie sie in dieser Formation kämpfen wollen. Ist das eigentlich die beste Auflösung, in der die einzelnen Schiffe dargestellt werden?« Die Sensoren zeigten nur vage Schemen an.
»Ja, Admiral«, bestätigte Lieutenant Commander Kosti. »Das ist alles, was wir sehen. Wir können zwar sagen, dass sich da ein Schiff befindet, aber das ist auch schon alles. Wir wissen nicht mal, wie groß es ist, von irgendwelchen Details ganz zu schweigen. Und ich habe keine Ahnung, wie es den Aliens möglich ist, etwas von den Ausmaßen eines Raumschiffs so gut zu verschleiern.«
»Stellen Sie eine Verbindung zu Boyens her. Er soll die gleichen Bilder zu sehen bekommen wie wir, aber er soll uns nicht hören können, es sei denn, wir sprechen ihn direkt an.«
»Ich sagte Ihnen ja, dass die über unglaubliche Tarnfähigkeiten verfügen«, ließ CEO Boyens verlauten, als seine virtuelle Präsenz auf der Brücke erschien und er die Informationen auf den Displays zu sehen bekam. Er selbst sollte keinen Zugang zur Brücke erhalten, erst recht nicht, wenn mit einem Gefecht zu rechnen war. »Ein besseres Bild als das da haben wir auch nie empfangen können. Manchmal sind sie vollständig unsichtbar, bis sie sich aus irgendeinem Grund entscheiden, sich einem zu zeigen.«