»Vielleicht sollten wir es anders formulieren.« Geary wandte sich an CEO Boyens. »Die Syndiks sagen doch immer, dass dies hier ihr Sternensystem ist. Scheint die Enigma-Rasse das Konzept zu verstehen, dass jemand sein eigenes Territorium verteidigt?«
Boyens lachte humorlos auf. »Das kann man wohl so sagen. Sehen Sie sich doch nur an, was sie gerade machen. Die sagen nicht: ›Gebt uns dieses Sternensystem, weil wir es haben wollen.‹ Stattdessen heißt es: ›Das ist unser Sternensystem, ihr müsst verschwinden.‹ Sie rechtfertigen ihr Verhalten, indem sie sagen, dass es ihr Sternensystem ist und wir kein Recht haben, uns auf ihrem Grund und Boden aufzuhalten.«
»Passt das zu früheren Verhaltensweisen und Formulierungen?«, wollte Rione wissen.
Der CEO überlegte einen Moment lang. »Soweit ich mich erinnern kann, ja. Das gehört uns, ihr müsst gehen. Das gehört uns, haltet euch fern. So in dieser Art.«
»Sie sind besitzergreifend.«
»Extrem sogar. Wir, also die Syndikatwelten, haben ihr Verhalten meistens so gedeutet, dass sie auf Sicherheit bedacht sind, dass wir über sie nichts herausfinden sollen. Aber man kann es auch so auslegen, dass sie alles und jeden von sich fern halten wollen.«
»Danke.« Rione wandte sich wieder an Geary, wobei sie ungewohnt offen eine unzufriedene Miene erkennen ließ. »Das passt alles zusammen, auch wenn mir das Gegenteil lieber wäre. Die Aliens, die diese Armada anführen, scheinen nicht begreifen zu können, wieso wir hier sind, in einem Sternensystem der Syndiks, und wieso wir uns nicht zurückziehen, wenn wir dazu aufgefordert werden. Die Aliens verstehen unsere Motivation nicht, weil das hier nicht unser Sternensystem ist. Ihrer Meinung nach gibt es für uns keinen Grund, etwas zu verteidigen, was uns nicht gehört. Andererseits glauben sie, sie könnten einfach das Eigentum an einem System an sich reißen und die Menschen vertreiben, die dort seit langer Zeit leben. In Anbetracht Ihrer Einschätzung, Admiral, und der von CEO Boyens scheint es die beste Lösung zu sein, dieses System mit Nachdruck zu verteidigen, um in den Köpfen der Aliens die Erkenntnis zu verankern, dass wir von Menschen bewohnte Sternensysteme als unser eigenes Territorium ansehen.«
Desjani warf Rione einen erstaunten Blick zu, riss sich aber schnell wieder zusammen und tat so, als sei sie ganz auf ihr Display konzentriert.
Die beiden anderen Senatoren kamen nach vorn und begannen erneut zu diskutieren, doch Rione führte sie rasch ans hintere Ende der Brücke.
»Also gut«, sagte Geary zu Desjani. »Dann werden wir diesen Enigmas mal die Nase blutig schlagen, damit sie begreifen, dass wir genauso besitzergreifend sein können wie sie.«
»Beanspruchen wir auch dieses Sternensystem für uns?«
»Nicht in dieser Wortwahl, tut mir leid.«
»Wir könnten es gut gebrauchen«, betonte sie. »Ein schönes System mit einem praktischen Zugang zur Grenze mit den Aliens. Ich meine, die Syndiks sind uns schließlich was schuldig, wenn wir ihnen den Gefallen tun, die Aliens zurück in Richtung Pele zu jagen.«
»Ist das Ihr Ernst, oder berauscht Sie die Aussicht, dass wir gegen die Aliens ins Gefecht ziehen?«
Sie schien einen Augenblick lang über seine Frage nachzudenken. »Teils, teils. Ich meine, aus militärischer Sicht ist das wirklich ein schönes System, Admiral. Ein sehr schönes.«
»Vielleicht können wir uns ja mit den Syndiks hier einigen, vorausgesetzt, sie sind überhaupt noch Syndiks, wenn die Syndikatwelten erst mal auseinandergebrochen sind.« Während er sein Display betrachtete, dachte er über etwas nach. »Wir müssen behutsam vorgehen und so tun, als würden die Würmer uns immer noch täuschen, um erst im letzten Moment ein paar der tatsächlich vorhandenen Schiffe zu treffen.«
Desjani nickte. »Lieutenant Yuon, können Sie das Bild der Flottensensoren über das Bild der Sensoranalyse der Dauntless legen?«
»Sie meinen, beide Bilder gleichzeitig zeigen?«
»Ja, aber so, dass sie nach wie vor voneinander getrennt sind.«
»Das Netz ist dafür nicht eingerichtet, sondern für das genaue Gegenteil, nämlich die Daten aus allen Quellen zusammenzuführen. Aber das lässt sich ändern, Ma’am. Das dauert allerdings ein bisschen.«
»Wie lange?«
»Fünf Minuten, Captain.«
»Erledigen Sie’s.« Sie warf Geary ein Lächeln zu. »Die übrigen Schiffe der Flotte sehen die Bilder, die die Würmer erzeugen. Die können wir benutzen, damit wir wissen, was die Aliens glauben, was wir sehen.«
»Gut«, stimmte Geary ihr zu. »Aber wir können nicht den größten Teil unserer Schiffe unter dem Einfluss der Würmer lassen. Immerhin stören die auch die Zielerfassungssysteme. Wir müssen die meisten Schiffe dazu veranlassen, ihre Systeme zu säubern. Nur ein paar können weiterhin das manipulierte Bild sehen.«
»Wie wäre es mit den Hilfsschiffen? Die verfügen ohnehin nur über wenige Waffen.«
»Das klingt nach einem gehässigen Streich, den Sie den Ingenieuren spielen wollen, aber es ist eine gute Idee. Keines der Alien-Schiffe hält eine Position nahe der Hilfsschiffe, also sind die trotz der Würmer in Sicherheit. Machen wir es so.«
Das taktische Problem hatte sich damit verändert. Anstatt die Masse der Alien-Schiffe zu meiden, musste er es darauf anlegen, sie gleich beim ersten Vorbeiflug so massiv wie möglich zu treffen, bevor die Aliens begriffen, dass ihre Würmer nicht länger die Systeme der Allianz-Schiffe störten.
»Wir haben endlich ein paar Informationen von den Syndiks erhalten«, ließ Desjani ihn wissen. »Viel ist es nicht.«
Er sah sich die Daten an und musste feststellen, dass Boyens’ Bezeichnung »bruchstückhaft« für den Zustand der überlebenden Aufzeichnungen von den zerstörten Syndik-Schiffen ziemlich optimistisch war. Die Aliens hatten sich offenbar große Mühe gegeben, die Schiffe zu Schrottklumpen zusammenzuschießen. Dennoch warf Geary einen Blick auf das, was vorhanden war. »Tanya, während ich den Gefechtsplan ausarbeite, möchte ich, dass Sie das hier selbst analysieren und dann mit den Leuten von den Gefechtssystemen darüber reden. Mein Eindruck von diesen Aufzeichnungen ist der, dass die Waffen der Aliens unseren nicht in dem gleichen Maß überlegen sind, wie es bei ihren Antriebseinheiten der Fall zu sein scheint. Ich würde gern wissen, ob Sie das auch so sehen.«
»Bin schon dabei, Admiral.«
Er konzentrierte sich wieder ganz auf seinen Plan und unterbrach nur eben lange genug, um Desjani erklären zu lassen, dass jeder, mit dem sie gesprochen hatte, ihre Meinung zu den Waffen der Aliens teilte. »Vielleicht eine größere Reichweite, vielleicht mehr Energie, aber vielleicht auch nicht. Im Wesentlichen Partikelstrahlen, Laser und kinetische Projektile.«
So fremd sie ihrer Denkweise und Gestalt nach auch sein mochten, waren diese Aliens doch an die gleichen Grundregeln gebunden, nach denen das Universum funktionierte. Gewisse Waffen kamen zwangsläufig zur Entwicklung und Anwendung, wenn ein bestimmtes technologisches Niveau erreicht wurde. Vielleicht verfügten die Aliens auch über Nullfeld-Waffen, aber das war eher unwahrscheinlich, da sie sie ansonsten wohl eingesetzt hätten, um die außer Gefecht gesetzten Syndik-Schiffe restlos zu vernichten.
Als er endlich fertig war, lehnte sich Geary nach hinten und atmete mit einem lauten Seufzer aus. »Wie weit sind sie noch entfernt?«
»Siebzehn Lichtminuten«, antwortete Desjani.
»Nur noch?«
»Bei fünfzehn Lichtminuten hätte ich Sie unterbrochen, um Sie auf die Zeit hinzuweisen.«