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»Ich glaube nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn es um die Versprechen geht, die der Große Rat mir gegeben hat.«

Rione lächelte ihn schief an. »Der Große Rat wird sich ganz exakt an seine Versprechen halten. Mehr als das sollten Sie nicht erwarten.«

»Ja, so was habe ich auch schon von anderer Seite gehört. Aber ich werde eine Weile freinehmen, um einige persönliche Dinge zu regeln.«

»Freinehmen?«, wiederholte sie skeptisch. »Meinen Sie, das wird man Ihnen erlauben?«

»Als Befehlshaber der Flotte werde ich mir das selbst erlauben«, entgegnete er.

»Wie praktisch. Und? Wollen Sie lange freinehmen?«

»Nein. Dreißig Tage.«

Sie machte eine beeindruckte Miene. »Wenn es Ihnen gelingt, sich so lange von der Allianz-Bürokratie fernzuhalten, dann wird das eine beachtliche Leistung sein. Sie müssen während Ihres Kälteschlafs eine stattliche Anzahl an Urlaubstagen angesammelt haben, aber ich nehme an, der Sold für diese hundert Jahre ist für Sie der größere Trost.«

»Urlaubstage? Sold?« Geary schüttelte den Kopf. »Da hat sich gar nichts angesammelt.« Er sah Riones verständnislosen Blick und erklärte: »Irgendwann während der Zeit, als ich im Kälteschlaf lag, wurden die Vorschriften über den Sold und die Urlaubstage ›angepasst‹, nachdem ein paar Leute nach mehreren Jahren aus dem Kälteschlaf geholt worden waren. Die Personalbürokratie legte fest, dass im Kälteschlaf verbrachte Zeit nicht als Pflichtzeit im Dienst angesehen wird und daher auch kein Anspruch auf Sold und bezahlten Urlaub besteht.«

»Verstehe.« Rione reagierte mit einem ungläubigen Kopfschütteln. »Die Bürokratie hat also einen Weg gefunden, wie sie es vermeiden kann, Sold zu zahlen und Dienstzeiten anzuerkennen. Und wie haben sie das argumentiert?«

»Indem sie sagen, dass man sich nicht in einem ›dienstbereiten Status‹ befindet, weil man nicht zum Dienst erscheinen kann, wenn man benötigt wird.« Geary zuckte mit den Schultern. »Zum Glück ist das Thema Dienstalter nie angesprochen worden, deshalb zählen meine Jahre im Kälteschlaf als Dienstjahre. Ansonsten wäre ich vermutlich der jüngste Captain der Flotte gewesen.«

»Ich möchte gar nicht darüber nachdenken, was aus uns geworden wäre, wenn das gezählt hätte«, meinte Rione seufzend. »Sogar ein Skeptiker müsste zugeben, dass einige für die Allianz sehr kritische Dinge in Ihrem Fall genau richtig verlaufen sind, Admiral Geary.«

Er lachte kurz. »Zu schade, dass sich die lebenden Sterne nicht um meine Bankkonten gekümmert haben. Die wurden nämlich aufgelöst, als man mich für tot erklärte, also kann ich mich nicht mal auf Zinsen aus einhundert Jahren freuen. Ich besitze nur, was ich seit meinem Aufwachen verdient habe. Der Sold als Admiral ist ein ganz angenehmer Bonus, aber ich gehe nicht vermögend aus dieser Sache hervor. Allerdings habe ich noch Resturlaub aus meiner Zeit vor dem Kälteschlaf, und den hat man mir nicht streichen können.«

»Na ja, wenigstens wissen Sie so, dass sie es nicht auf Ihr Geld abgesehen hat.«

Geary warf Rione einen verärgerten Blick zu. »Ich habe weder ihr noch sonst jemandem so etwas unterstellt.«

Rione verzog das Gesicht, als hätte er ihr einen Stich versetzt. »Das hat sehr wehgetan.« Geary reagierte nicht auf ihren Humor, woraufhin sie ihn fragend ansah. »Was ist los? Ist jetzt nicht alles bestens? In ein paar Tagen können Sie mit ihr über alles reden. Ob Sie’s mir glauben oder nicht, aber ich weiß, wie schwierig es gewesen sein muss, immer darauf zu achten, dass man nichts sagt oder tut, was einen von beiden in eine missliche Lage gebracht hätte.«

»Danke.« Er wusste, er schaute missmutig drein, während er sich den Nacken rieb. »Es ist nur… ich weiß nicht.«

»Kalte Füße?«, fragte sie leise.

»Nein, nicht von meiner Seite.«

»Oh.«

Er hob den Kopf und stellte fest, dass sie mit nichtssagender Miene in eine Ecke des Raums blickte. »Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, Admiral, dass Sie damit allein klarkommen müssen.«

»Ich wollte nicht…«

»Ich bin nicht diejenige, mit der Sie über Ihre persönlichen Beziehungsprobleme reden werden. Sie ist diejenige, und Sie müssen schon mit ihr reden.«

»Das kann ich nicht. Frühestens in einer Woche, und ich kann nur hoffen, dass ich dann die richtigen Worte finde.«

Wieder schüttelte sie den Kopf. Bevor sie aber das Quartier verließ, sagte sie noch zu ihm: »Verlassen Sie sich auf Ihre Instinkte, Admiral.«

Nachdem sie gegangen war, saß Geary eine Weile da und grübelte über seine Situation nach. Schließlich verließ er ebenfalls sein Quartier und streifte durch die Korridore der Dauntless. Überall wimmelte es zu dieser späten Stunde von Besatzungsmitgliedern, die sich darüber unterhielten, dass der Krieg vorüber war und sie nach Hause zurückkehren würden. Diesmal bedachten sie ihn nicht mit hoffnungsvollen, sondern mit dankbaren Blicken, was Geary leichter ertragen konnte, auch wenn er sich bei jedem von ihnen die Mühe machte zu betonen, dass sie diejenigen waren, die all diese Schlachten gewonnen hatten, die schließlich zum Sieg geführt hatten. Er selbst konnte für sich nur das Glück reklamieren, sie in diesen Schlachten geführt zu haben.

Geary begab sich bis zu den Gebetskammern, wo regelrechtes Gedränge herrschte, da hier diejenigen zusammenkamen, die lieber den höheren Mächten dankten als ihrem Admiral. Nach kurzem Warten fand er einen freien Raum. Dort saß er eine Weile in der Stille und Einsamkeit, ehe er die Kerze entzündete und zu seinem vor langer Zeit gestorbenen Bruder sprach. »Manchmal frage ich mich, ob das alles eigentlich wirklich real ist. Ob ich wirklich vom befehlshabenden Offizier eines einzelnen Schweren Kreuzers zum Befehlshaber über eine Flotte aufgestiegen bin, die größer ist als alles, was die Allianz zu meiner Zeit hätte aufbieten können. Wer hätte gedacht, dass ich versuchen würde, eine Flotte nach Hause zu bringen, die weit hinter den feindlichen Linien in der Falle saß? Und dass man von mir erwarten würde, dass ich die Allianz rette? Ich weiß, deine Enkelin Jane sagt, du hättest ihr immer erzählt, ich sei alles, was die Legenden über mich behaupteten. Aber du und ich, wir wissen es besser. Ich bin nur ich. Ich weiß nicht, wie ich das alles geschafft habe, aber ich weiß, mir wurde sehr viel geholfen.«

Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Richte deinem Enkel Michael von mir aus, dass es mir leidtut. Er war ein guter Offizier, und er war der wahre Held. Wir bringen einen Teil der Repulse-Crew nach Hause. Die Leute wurden noch immer im Heimatsystem der Syndiks festgehalten. Sie können nicht bestätigen, dass Michael tot ist, aber keiner von ihnen hat beobachten können, wie er lebend das Schiff verlassen hat. Ich werde es immer bedauern, dass ich ihn nicht retten konnte.

Deine Enkelin Jane ist eine gute Frau. Ich werde versuchen, auf sie aufzupassen. Aber sie ist eine Geary. Starrköpfig und entschlossen. Ich weiß nicht, ob sie in der Flotte bleiben oder vielleicht doch noch Architektin werden wird. Jetzt kann sie wählen. So wie Michaels Kind. Ich danke den lebenden Sternen dafür, dass ich wenigstens das erreicht habe.«

»Admiral, die letzten Einheiten der Flotte sind in ihren vorgegebenen Orbit im Varandal-Sternensystem eingeschwenkt.«

»Danke.« Das Komm-Feld in seinem Quartier wurde wieder dunkel, und Gearys Blick wanderte zurück zu dem Display, das über seinem Tisch schwebte. Die Dauntless und etliche andere Kriegsschiffe befanden sich seit mehr als einem Tag auf ihren Positionen in der Nähe der Ambaru-Station. Shuttles hatten bereits etliche Dauntless-Besatzungsmitglieder auf die Station gebracht, manche, weil sie offizielle Angelegenheiten zu erledigen hatten, andere, weil sie ihren immer wieder verschobenen Landurlaub nehmen wollten. Andere Kriegsschiffe hatten länger benötigt, um den ihnen zugewiesenen Orbit zu erreichen, einige von ihnen in der Nähe anderer Orbitalstationen. Die Flotte war so groß, dass man nicht bloß ein oder zwei Einrichtungen im System mit den Massen an Personal überfordern wollte, die sich an Bord so vieler Kriegsschiffe befanden.