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Eadulf lächelte stolz. «Als scriba des Erzbischofs war ich selbstverständlich eingeweiht. Alle sächsischen Königreiche hatten Wighard Geschenke für den Heiligen Vater mitgegeben. Mit diesen Geschenken wollten sie ihre Bereitschaft bekunden, sich der Entscheidung von Witebia zu unterwerfen, die Vorherrschaft Roms anzuerkennen und Can-terbury als wichtigsten Bischofssitz Britanniens zu achten. Unter den Geschenken befand sich ein kostbarer Wandteppich, gewebt von den Hofdamen der frommen Seaxburgh, der Gemahlin Eor-cenbreths von Kent und Stifterin eines großen Klosters auf der Isle of Sheppey.»

«Ein Wandteppich also. Und was noch?»

«Oswiu von Northumbrien hat ein Buch geschickt, das Lukasevangelium, koloriert von den Mönchen von Lindisfarne. Eadulf von Ostanglien steuerte eine juwelenbesetzte Schatulle und Wolfhere von Mercia eine in Gold und Silber gearbeitete Glocke bei, während Cenewealh von Westsachsen zwei Silberkelche mitgab, die seine Goldschmiede eigens zu diesem Anlaß angefertigt hatten. Und dann war da natürlich noch das Geschenk aus Canterbury selbst.»

«Nämlich?»

«Die Sandalen und der Bischofsstab von Augustin, Canterburys erstem Bischof.»

«Verstehe. Und all diese Gegenstände waren in dieser Truhe untergebracht?»

«Genau. Außerdem noch fünf Gold- und Silberkelche, die von Seiner Heiligkeit gesegnet und anschließend an die Kathedralen der fünf sächsischen Königreiche gesandt werden sollten, und ein Sack voller geweihter Gold- und Silbermünzen für verschiedene Opfergaben. Und all diese Wertgegenstände sind spurlos verschwunden.»

«Einen solchen Schatz fortzuschaffen», meinte Fidelma nachdenklich, «ist gar nicht so einfach.»

«Es war in der Tat ein äußerst wertvoller Schatz», nickte Eadulf.

«Wir müssen also zwei Motive für den Mord an Wighard ins Auge fassen», stellte Fidelma fest. «Das erste Motiv, das Bischof Gelasius nach der Festnahme Bruder Ronans für sehr wahrscheinlich hält, ist die Rache an Canterbury durch einen unzufriedenen Anhänger der Kirche Columbans, der den Ausgang der Synode von Witebia nicht verwinden konnte. Das zweite Motiv ist Habgier. In dem Fall wäre Wighard das Opfer eines Raubmordes geworden.»

«Die beiden Motive müssen einander aber nicht ausschließen», gab Eadulf zu bedenken. «Augustins Reliquien sind nicht mit Gold aufzuwiegen. Mit dem Raub der Reliquien hätte ein unzufriedener Anhänger der keltischen Kirche Canterbury einen doppelten Schlag versetzt!»

«Ein ausgezeichneter Einfall, Eadulf. Die Reliquien sind nur für denjenigen wertvoll, der weiß, was sie den gläubigen Gefolgsleuten Canterburys bedeuten.»

In diesem Augenblick war ein verhaltenes Klopfen an der Tür zu hören. Kurz darauf trat Furius Licinius ins Zimmer. Ein gutaussehender, mittelgroßer Mann mit breiten, kräftigen Schultern, einem ausdrucksvollen Gesicht und dunklem, welligem Haar folgte ihm. Wie Fidelma sogleich bemerkte, wirkte sein Äußeres sehr gepflegt, und seine Hände und seine Fingernägel waren auffallend sauber. In Fidelmas irischer Heimat galten saubere Fingernägel als Zeichen für Rang und Schönheit.

«Decurion Marcus Narses, Schwester», stellte Licinius seinen Kameraden vor.

«Ihr wißt über unsere Befugnisse und Absichten Bescheid?» fragte Fidelma.

Der custos nickte.

«Wie wir hörten, habt Ihr Wighards Leichnam entdeckt und wenig später Bruder Ronan festgenommen.»

«So ist es, Schwester», bestätigte der decurion.

«Dann erzählt uns doch einmal mit eigenen Worten, wie es dazu gekommen ist.»

Marcus Narses sah von einem zum anderen, hielt kurz inne, um seine Gedanken zu ordnen, und richtete dann seinen Blick wieder auf Schwester Fidelma.

«Es war letzte Nacht. Ich war zum Nachtdienst eingeteilt und sollte in der ersten Morgenstunde abgelöst werden. Der Auftrag meiner decuria ...»

«Einer zehnköpfigen Truppe der custodes, Schwester», warf Licinius eifrig ein. «Alle custodes der Lateranwache sind in solche Einheiten unterteilt.»

«Danke», sagte Fidelma, die dies längst gewußt hatte, höflich. «Fahrt bitte fort, Marcus Narses.»

«Meine decuria hatte den Auftrag, das domus hospitale mit den fremden Würdenträgern und persönlichen Gästen Seiner Heiligkeit zu bewachen.»

«Ich hatte in der Nacht davor den gleichen Wachdienst», unterbrach Licinius aufs neue. «Der superista war um das Wohlergehen des sächsischen Erzbischofs und seines Gefolges äußerst besorgt.»

«Tatsächlich?» Fidelma sah den jungen Mann nachdenklich an, dann wandte sie sich wieder dem ungeduldigen decurion zu: «Sprecht weiter, Marcus Narses.»

«Es war eine ziemlich langweilige Wache. Nichts Besonderes geschah. Dann hörte ich die Glocke der Basilika zum Angelus läuten. Ich ging über den Innenhof . », er deutete auf das hohe Fenster, «. den Ihr dort unten seht, als ich plötzlich ein Geräusch aus diesem Gebäude hörte.»

«Was für ein Geräusch war das?»

«Ich weiß nicht», antwortete der decurion zögernd. «Es hörte sich an wie ein Stück Metall, das auf eine harte Oberfläche fällt. Ich hätte nicht einmal sagen können, aus welcher Richtung es kam.»

«Und was geschah dann?»

«Ich wußte, daß der zukünftige Erzbischof von Canterbury im Gästehaus untergebracht war, also trat ich ein und stieg die Treppe hinauf. Ich wollte nachsehen, ob alles seine Ordnung hatte.»

Der junge custos schluckte. «Ich war gerade im dritten Stock angekommen, als ich eine Gestalt im geistlichen Gewand entdeckte, die von mir fort auf die Treppe am anderen Ende des Flurs zulief. Es führen nämlich zwei Treppen hier hinauf, die eine von dem Innenhof dort draußen und die andere von einem kleineren Innenhof, der hinter dem Gebäude liegt.»

«Und war der Korridor dunkel oder erleuchtet?» fragte Eadulf.

«Es waren drei brennende Fackeln an der Wand befestigt. Ich ...» Marcus Narses hielt lächelnd inne. «Ah, ich verstehe, worauf Ihr hinauswollt, Bruder. Ja, der Korridor war so hell erleuchtet, daß ich Bruder Ronan Ragallach zweifelsfrei erkennen konnte.»

Fidelma zog erstaunt die Augenbrauen hoch.

«Erkennen konntet?» wiederholte sie. «Hattet Ihr Bruder Ronan Ragallach denn schon einmal gesehen?»

Der custos errötete. «Nein. Damit wollte ich sagen, daß der Mann, den ich durch den Korridor fliehen sah, der gleiche war, den ich später festnahm. Seinen Namen erfuhr ich erst später.»

Licinius nickte traurig. «Es war der gleiche Mann, der sich nachts zuvor als Bruder Eien-Dina ausgegeben hatte .»

Er sah, wie Fidelma ihre schlanke Hand hob, und verstummte.

«Im Augenblick hören wir die Aussage von Marcus Narses», ermahnte Fidelma ihn sanft. «Fahrt fort, decurion. Hat dieser Bruder Ronan Ragallach Euch bei der Festnahme seinen richtigen Namen genannt?»

«Anfangs nicht», antwortete der custos. «Er hat es ebenfalls mit <Bruder Ayn-Dina> versucht. Doch einer meiner Männer hat in ihm einen scriptor aus dem munera peregrinitatis erkannt ...»

«Dem Amt für fremdländische Angelegenheiten», warf Furius Licinius erklärend ein.

«Der Soldat erinnerte sich sogar an seinen Namen: Ronan Ragallach. Erst daraufhin hat der Mann sich zur Wahrheit bekannt.»

«Wir haben etwas übersprungen», sagte Fidelma. «Kehren wir wieder zu dem Augenblick zurück, als Ihr den Mann, von dem Ihr später erfuhrt, daß er Bruder Ronan heißt, zum ersten Mal gesehen habt. Ihr sagt, Ihr hättet ihn am anderen Ende des Korridors gesehen? Ist das richtig?»

Der decurion nickte zustimmend.

«Und habt Ihr den Bruder aufgefordert stehenzubleiben?» fragte Eadulf. «Hattet Ihr den Eindruck, daß er sich verdächtig verhielt?»