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«Nun ja», erwiderte Eadulf, «außer Wulfrun und Eafa wäre da noch Bruder Ine zu nennen. Als persönlicher Diener ging er Wighard in allen praktischen Dingen des Lebens zur Hand. Dabei trägt er ständig eine Trauermiene, und es ist schwer, an ihn heranzukommen. Außerdem ist ihm noch Abt Puttoc von der Abtei Stanggrund nach Rom gefolgt.»

«Ah», warf Fidelma ein, «der gutaussehende Mann mit dem grausamen Zug um den Mund?»

Eadulf schnaubte vor Empörung. «Gutaussehend? Das kann wohl nur eine Frau behaupten. Er ist sehr von sich eingenommen, und es geht das Gerücht, daß er auch ebenso ehrgeizig sei. Er ist der persönliche Gesandte König Oswius von Northum-brien. Man sagte mir, er sei ein enger Freund Wil-frids von Ripon.»

«Verstehe. Weilt er als Vertreter Oswius in Rom?»

«Ja. Oswiu gilt in Rom inzwischen als Hochkönig aller sächsischen Königreiche.»

Wilfrid von Ripon war, wie Fidelma aus ihrer Zeit in Witebia wußte, der Hauptfeind der irischen Missionare in Northumbrien und bei der Synode als einer der wichtigsten Fürsprecher Roms aufgetreten.

«Dann ist da noch Bruder Eanred, Puttocs Diener. Er ist ein ruhiger, schlichter Mann. Es heißt, Puttoc habe ihn als Sklave gekauft und ihm den Lehren des Glaubens entsprechend die Freiheit geschenkt.»

Fidelma wußte, daß in den sächsischen Königreichen die Sklaverei noch längst nicht überwunden war. Tiefe Abscheu erfüllte sie bei dem Gedanken. «Puttoc hat Eanred von der weltlichen Sklaverei befreit, damit er ihm in seiner Abtei als Sklave dienen kann?»

Wieder scharrte Eadulf mit den Füßen, beschloß aber, nicht weiter darauf einzugehen.

«Und zu guter Letzt ist da noch Bruder Sebbi», fuhr er statt dessen fort. «Er kommt ebenfalls aus der Abtei Stanggrund und ist als Berater von Abt Puttoc hier.»

«Erzählt mir von ihm», sagte Fidelma.

«Ich habe in meiner Zeit in Rom nicht viel über ihn in Erfahrung bringen können», erwiderte Ea-dulf. «Ich glaube, er besitzt einen scharfen Verstand, aber auch einen ebenso stark ausgeprägten Ehrgeiz.»

«Schon wieder Ehrgeiz ...», murmelte Fidelma nachdenklich. «Und alle Gefolgsleute Wighards waren wie er im domus hospitale untergebracht?»

«Ja. Meine Kammer lag der seinen sogar am nächsten, nämlich auf dem gleichen Flur gegenüber.»

«Und wer wohnte neben Wighard? Sein Diener Ine?»

«Nein. Die anderen Räume auf der Seite des Flurs stehen alle leer. Ich glaube, sie werden als Lager genutzt.»

«Wo war Ine dann?»

«In der Kammer gleich neben meiner, also schräg gegenüber von Wighard. Neben ihm waren Bruder Sebbi, dann Abt Puttoc und ganz an hinteren Ende des Flurs Bruder Eanred untergebracht.»

«Gut. Und wo hatten Äbtissin Wulfrun und Schwester Eafa ihre Unterkünfte?»

«Im Stockwerk darunter. Im zweiten Stock des domus hospitale.»

«Hm», sagte Fidelma. «Euer Zimmer lag dem Wighards also tatsächlich am nächsten?»

Eadulf lächelte spöttisch. «Ein Glück, daß ich ein hieb- und stichfestes Alibi habe und mit Euch in der Basilika der Heiligen Maria war.»

«Was ich jederzeit bezeugen kann», ergänzte Fidelma in gespieltem Ernst. Eadulf musterte sie mit einem fragenden Seitenblick, aber Fidelma verzog keine Miene. Nur in ihren Augen blitzte es schelmisch.

«Also gut.» Fidelma streckte sich. «Am besten gehen wir zurück zum Lateranpalast und beginnen damit, Eure Glaubensbrüder aus Kent zu befragen. Vielleicht ist es den custodes in der Zwischenzeit ja gelungen, Bruder Ronan einzufangen.» Sie schauderte. «Ich habe gar nicht bemerkt, wie kalt es hier unten ist.»

Eadulf drehte sich nach der Kerze um und stöhnte erschrocken auf.

«Wir sollten uns sputen, Schwester. Ich hatte keine Ahnung, daß die Kerze schon so weit heruntergebrannt ist.»

Erst jetzt sah auch Fidelma, daß das Wachs der Kerze fast völlig aufgezehrt war und die kümmerlichen Reste des Dochts bedenklich flackerten.

Eadulf nahm ihre Hand und zog sie hinter sich her durch den gewundenen Gang mit seinen zahlreichen Abzweigungen. Dann erlosch mit einem leisen Zischen ihre Kerze. Um sie herum herrschte schlagartig Dunkelheit.

«Laßt auf keinen Fall meine Hand los», mahnte Eadulf mit rauher Stimme.

«Keine Sorge», versicherte ihm Fidelma mit aller Zuversicht, die sie in dieser Lage aufbringen konnte. «Wißt Ihr, wie wir zum Ausgang kommen?»

«Geradeaus ... glaube ich.»

«Dann laßt uns vorsichtig weitergehen.»

Nicht ein Fünkchen Licht drang in den von Menschenhand gemachten Tunnel, in dem sie sich langsam vorantasteten.

«Wie konnte ich nur so dumm sein», ärgerte sich Eadulf. «Ich hätte besser auf die Kerze achtgeben sollen.»

«Selbstvorwürfe helfen uns jetzt auch nicht weiter», sagte Fidelma. «Laßt uns ...»

Sie blieb plötzlich stehen und strich mit der freien Hand über die Wand.

«Was ist, Fidelma?»

«Der Gang gabelt sich. Links oder rechts ... welchen Weg müssen wir nehmen? Könnt Ihr Euch noch erinnern?»

Eadulf schloß die Augen. Seine Gedanken rasten, während er versuchte, eine Entscheidung zu treffen. Er fühlte sich völlig hilflos, und als ihm klar wurde, daß er nicht die geringste Ahnung hatte, welche Richtung sie einschlagen mußten, ergriff ihn heftige Angst. Schweiß trat ihm auf die Stirn.

Fidelma drückte seine Hand. «Seht doch!» flüsterte sie. «Dort links. Ich glaube, da ist ein Licht ...»

Angestrengt starrte Eadulf in die Dunkelheit, konnte aber nichts erkennen.

«Ich bin mir ganz sicher, daß dort ein Licht war», hörte er Fidelmas gedämpfte Stimme. «Wenn auch nur für einen kurzen Augenblick .»

Eadulf wollte sich schon enttäuscht abwenden, als er selbst ein kurz aufflackerndes Licht erspähte. War es Wirklichkeit oder nur ein Trugbild seiner Augen, die ihm vorgaukelten, was er zu sehen wünschte? Sehnsüchtig starrte er in die Dunkelheit. Nein, sie hatte recht! Dort war eindeutig ein Flakkern zu erkennen. Eadulf stieß einen lauten Seufzer der Erleichterung aus.

«Ja, da ist Licht. Ihr habt recht! Kommt schnell!» Eilig zog er sie in der linken Abgabelung des Ganges hinter sich her und rief, so laut er konnte: «Hallo! Hallo!»

Zuerst herrschte nichts als Stille, dann erklang wie ein Echo eine barsche Stimme in der Ferne.

«Heia!»

Das Licht wurde deutlicher, und nach einer Weile sahen sie einen alten Mann mit einer Laterne auf sie zukommen.

Einige Schritte vor ihnen blieb er stehen.

«Heia vero!» Mit strenger Miene sah er von einem zum anderen.

Atemlos standen sie vor ihm. Sie fühlten sich wie Kinder, die von einem gütigen Elternteil bei einem albernen Streich erwischt worden waren. Eine Weile rangen sie nur erleichtert nach Luft, denn das rasche Laufen durch den unterirdischen Gang hatte ihnen den Atem zum Sprechen genommen. Kopfschüttelnd betrachtete sie der alte Mann und meinte ernst: «Der Junge sagte, Ihr wärt schon ziemlich lange hier unten und hättet nur eine Kerze mitgenommen. Es war dumm von Euch, so herumzutrödeln.»

«Wir haben nicht bemerkt, wie schnell die Zeit verstrich», keuchte Eadulf, sobald er seine Stimme wiedergefunden hatte.

«Es sind schon genug Menschen durch eigenen Leichtsinn hier unten gestorben», grummelte der Alte. «Fühlt Ihr Euch stark genug, mir jetzt zu folgen? Dann werde ich Euch zurück zum Eingang bringen.»

Fidelma und Eadulf nickten verlegen. Der Alte ging mit erhobener Laterne voran und sagte über die Schulter gewandt:

«In den Katakomben haben schon viele ihr Leben gelassen. Tragische Todesfälle im Reich der Toten!» Er lachte rauh. «Das ist schon komisch, nicht wahr? Die Leute ziehen los, um sich die Gebeine der Heiligen und Märtyrer anzusehen, verirren sich und kommen selbst ums Leben. Andere werden wie Ihr von der Dunkelheit überrascht und finden deshalb nicht mehr zurück, es sei denn, sie haben Glück, wahres Glück! Wißt Ihr, wie weit die römischen Katakomben sich erstrecken würden, wenn man sie zu einem langen Tunnel vereinigte? Man hat ausgerechnet, daß ein solcher Tunnel fast sechshundert Meilen lang wäre. Sechshundert Meilen unter der Erde! Einige, die in den Katakomben verschwunden sind, blieben für immer verschollen. Vielleicht irren ihre Seelen noch immer hier unten umher, im Reich der Toten ...»