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«Und wie lange standet Ihr in Wighards Diensten?»

«Zwanzig Jahre lang. Ich wurde sein Diener, als er zum Sekretär Bischof Ithamars von Rochester berufen wurde.»

«Ithamar war der erste Einheimische, der fünfzig Jahre, nachdem Augustin das Christentum nach Kent brachte, zum Bischof ernannt wurde», warf Eadulf erklärend ein.

Bruder Ine nickte zustimmend. «Im gleichen Jahr wurde Wighards Familie bei einem Überfall der Pikten auf die Küste Kents niedergemetzelt. Als einfacher Geistlicher war Wighard verheiratet gewesen und hatte mehrere Kinder gehabt. Nach der Ermordung seiner Frau und seiner Nachkommen widmete sich Wighard mit ganzer Kraft der Kirche. Zehn Jahre lang diente er Ithamar. Als Honorius starb und Deusdedit erster sächsischer Erzbischof von Canterbury wurde, ernannte er Wighard zu seinem Sekretär, und wir zogen von Rochester nach Canterbury.»

«Ihr habt Wighard also wirklich über einen langen Zeitraum gekannt ...»

Bruder Ine nickte.

«. und müßtet wissen, ob er irgendwelche Feinde hatte.»

Ine warf Eadulf einen unsicheren Blick zu und schlug die Augen nieder. Anscheinend fiel es ihm schwer, die richtigen Worte zu finden.

«Wighard trat offen für die römische Vorherrschaft in Britannien ein und machte sich dadurch Feinde .»

Als er verstummte, lächelte Fidelma matt. «Ihr meint, bei den Anhängern Columbans, zu denen auch ich gehöre?»

Bruder Ine zuckte verlegen die Achseln.

«Und was ist mit weiteren Feindschaften?» hakte Fidelma nach.

Der Mönch sah sie mit ernsten Augen an. «Keine, die einen Mord rechtfertigen würden.»

«Dann laßt uns jetzt auf die Mordnacht zu sprechen kommen, Bruder Ine», fuhr Fidelma unbeirrt fort. «Als Wighards Diener oblag es Euch sicherlich, ihm bei der Vorbereitung auf die Nachtruhe zu helfen?»

«Ja.»

«Was an jenem Abend aber nicht der Fall war?»

Bruder Ine runzelte die Stirn. Kurz huschte Mißtrauen über sein Gesicht.

«Woher ...?» begann er.

Mit einer ungeduldigen Handbewegung unterbrach ihn Fidelma. «Sein Bett war nicht gemacht, die Überdecke nicht zurückgeschlagen. Eine ganz einfache Schlußfolgerung also. Sagt mir doch bitte, wann Ihr Wighard das letzte Mal lebend gesehen habt.»

Bruder Ine lehnte sich seufzend zurück, als müsse er seine Gedanken ordnen.

«Zwei Stunden vor dem Mitternachtsangelus bin ich zu ihm gegangen.»

«Und wo befindet sich Eure eigene Kammer?» fragte Fidelma.

«Neben der von Bruder Eadulf, schräg gegenüber von Wighards Gemächern.»

Damit bestätigte er nur, was Eadulf ihr bereits erzählt hatte, aber Fidelma hielt es stets für besser, sich nicht aufs Hörensagen zu verlassen.

«Ihr brauchtet also bloß den Korridor zu überqueren, um zu Wighard zu kommen?»

«Genau.»

«Und wie ging es weiter?» Fidelma lehnte sich zurück und betrachtete den sächsischen Mönch aufmerksam.

Bruder Ine zögerte.

«Ich begab mich zu Wighard, wie ich es um diese Stunde immer tat. Ihr sagtet ja schon, daß es zu meinen Pflichten gehörte, ihm das Bett aufzudek-ken und alles für die Nachtruhe bereitzustellen.»

«Zwei Stunden vor dem Mitternachtsangelus? Ist das nicht ein wenig früh, um zu Bett zu gehen? Hat sich Wighard immer so zeitig zurückgezogen?»

«Er vertrug das Klima nicht, daher stand er am liebsten vor Sonnenaufgang auf und erledigte noch vor dem Frühstück einen Großteil seiner Arbeit. Jedenfalls hat er es seit unserer Ankunft in Rom so gehalten, ist stets früh zu Bett gegangen und früh wieder aufgestanden.»

Fidelma sah zu Eadulf, der Ines Worte durch ein Nicken bestätigte.

«Ihr seid also hinübergegangen, um ihm das Bett aufzudecken?» fragte Fidelma weiter.

«Ja, aber der zukünftige Erzbischof schien ...», Bruder Ine zögerte und wog seine Worte sorgfältig ab, «... beschäftigt. Er sagte mir, er würde meine Dienste an diesem Abend nicht mehr benötigen.»

«Hat er Euch dafür eine Erklärung gegeben?»

«Er sagte nur, da . » Ine zögerte wieder und blinzelte heftig, als habe er Schwierigkeiten, sich zu erinnern. «Er sagte, er habe zu tun, müsse noch jemanden empfangen und würde sein Bett später selbst richten.»

Fidelma blickte fragend auf. «Er wollte noch jemanden empfangen? Fandet Ihr das nicht merkwürdig, wo er doch sonst, wie Ihr sagtet, stets sehr früh zu Bett ging?»

«Nein. Ich vermutete, daß er für die bevorstehende Audienz bei Seiner Heiligkeit noch etwas mit seinem Sekretär, Bruder Eadulf, zu besprechen hatte. Wighard war im Grunde genommen ein einfacher Mensch, es machte ihm nichts aus, niedere Arbeiten gelegentlich auch einmal selbst zu erledigen.»

«Also hat Wighard trotz der vorgerückten Stunde und seiner sonstigen Angewohnheit, früh zu Bett zu gehen, noch einen Besucher erwartet?»

Bruder Ine wandte sich zu Eadulf um.

«Hat er Euch nicht ebenfalls davon erzählt, Bruder?»

Eadulf schüttelte den Kopf.

«Davon weiß ich nichts. Und mit Sicherheit war damit auch nicht ich gemeint. Als ich spät in der Nacht in den Palast zurückkehrte, war Wighard schon nicht mehr am Leben.»

«Und nachdem Wighard Euch fortgeschickt hatte, seid Ihr in Eure Kammer gegangen?» fragte Fidelma weiter.

«Ja. Ich wurde erst nach Mitternacht von lauten Geräuschen geweckt. Als ich hinaus auf den Flur sah, wimmelt es dort nur so von custodes, die mir mitteilten, Wighard sei ermordet worden.»

«Nachdem Ihr Wighard verlassen habt, seid Ihr sofort eingeschlafen?» fragte Eadulf.

«Ja. Und es muß ein ziemlich tiefer Schlaf gewesen sein.»

«Scheint ganz so, als wärt Ihr der letzte gewesen, der Wighard noch lebend gesehen hat», sagte Eadulf nachdenklich.

Bruder Ine reckte trotzig das Kinn. «Außer seinem Mörder», sagte er nachdrücklich.

Fidelma lächelte besänftigend. «Natürlich. Außer seinem Mörder. Und Ihr habt wirklich keine Ahnung, wer dieser nächtliche Besucher war?»

Bruder Ine zuckte die Achseln. «Das habe ich doch schon gesagt», brummte er. Dann schien ihm etwas einzufallen. «Ich dachte, die custodes hätten einen Iren aus Wighards Gemächern fliehen sehen und verhaftet? Spricht das nicht dafür, daß er der Besucher war?»

«Bruder Ine», fuhr Fidelma fort, ohne darauf einzugehen, «gehörte es, da Ihr Wighards persönlicher Diener wart, auch zu Euren Aufgaben, die wertvollen Geschenke aus den sächsischen Königreichen zu hüten, die er Seiner Heiligkeit mitgebracht hatte?»

Wieder huschte Mißtrauen über das Gesicht des Mönchs. «Ja. Warum fragt Ihr danach?»

«Wann habt Ihr diese Geschenke das letzte Mal gesehen?»

Ine dachte nach. «Gestern. Wighard bat mich, dafür zu sorgen, daß alles auf Hochglanz poliert und für die heutige Übergabe an den Heiligen Vater vorbereitet ist.»

«Ah!» Fidelmas Atem ging rascher. «Wighards Audienz bei Seiner Heiligkeit sollte also der Übergabe der mitgebrachten Geschenke dienen?»

«Und der Segnung der Kelche aus den fünf Königreichen», ergänzte Eadulf. «Das war allgemein bekannt.»

Fidelma wandte sich an Eadulf. «Wenn Habgier also in diesem Mordfall tatsächlich eine Rolle spielt, bleibt festzuhalten, daß die wertvollen Geschenke heute der strengen Obhut des Schatzmeisters Seiner Heiligkeit übergeben werden sollten und viele von dieser Tatsache wußten?»

«Aber sie wußten auch», warf Eadulf ein, «daß Wighard die Kelche nach der Segnung zurückerhalten würde, um sie nach Canterbury mitzunehmen.»

«Der größte Teil des Schatzes sollte jedoch hinter den gutbewachten Türen der päpstlichen Schatzkammer verschwinden?»

«So ist es», räumte Eadulf ein.

Bruder Ine sah sie bestürzt an. «Wollt Ihr damit sagen, daß die Geschenke nicht mehr da sind?» fragte er.