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Puttoc starrte sie an. Nur seinem feindseligen Blick war zu entnehmen, was wirklich in ihm vorging.

«Was wollt Ihr damit andeuten, Schwester?» zischte er.

Fidelma reckte das Kinn. «Andeuten? Das war eine einfache Frage. Und die Vertreter des Heiligen Vaters haben mir die Befugnis erteilt, jeden zu verhören, der mit Wighard im gleichen Stockwerk untergebracht war. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?»

Der Abt blinzelte. Offenbar war er überrascht, daß eine junge Irin so kühne Worte an ihn richtete. Doch er ließ sich nicht einschüchtern. «Ich glaube, Ihr vergeßt Eure Stellung, Schwester. Als Mitglied der Gemeinschaft der Heiligen B rigid von Kildare .»

«Ich vergesse meine Stellung nicht, Puttoc. Ich spreche nicht als Mitglied der Gemeinschaft von Kildare zu Euch, sondern als Advokatin der irischen Brehon-Gerichtsbarkeit, die von Bischof Ge-lasius und dem superista des Lateranpalasts ermächtigt wurde, gemeinsam mit Bruder Eadulf den Mord an Wighard aufzuklären. Ich habe Euch eine Frage gestellt und wünsche, daß sie auch beantwortet wird.»

Der Abt öffnete den Mund, brachte aber kein Wort heraus. Schließlich fing er sich wieder. Die kalten Augen blitzten bedrohlich. «Selbst wenn das der Fall ist», begann er in beleidigtem Ton, «habt Ihr keinen Anlaß, Euch derart unverschämt zu gebärden. Ich werde Bischof Gelasius von Eurer Unhöflichkeit berichten.»

Er stand auf und ging zur Tür, doch Fidelma rief ihn zurück: «Ihr habt meine Frage nicht beantwortet, Puttoc von Northumbrien, und Ihr wollt doch sicherlich nicht, daß ich Bischof Gelasius berichten muß, Ihr hättet den von ihm als no-menclator des Lateranpalasts veranlaßten Ermittlungen jede Unterstützung verweigert?»

Der Abt erstarrte. Eine Weile herrschte gespanntes Schweigen. Ohne Zweifel trafen hier zwei willensstarke Menschen aufeinander.

«Ich war in meinem Zimmer und habe fest geschlafen», sagte der Abt schließlich und durchbohrte Fidelma mit einem haßerfüllten Blick seiner eisblauen Augen.

«Um welche Zeit seid Ihr zu Bett gegangen?»

«Früh. Kurz nach dem Abendessen.»

«Das war in der Tat sehr früh. Wieso?»

Wieder trat eine Pause ein, und Fidelma fragte sich, ob Puttoc sich ihr erneut widersetzen würde. Doch nach kurzem Zögern antwortete er. «In dieser Hinsicht geht es mir wie Wighard: Das hiesige Klima sagt mir ebenso wenig zu wie das Essen. Ich habe mich gestern abend nicht wohl gefühlt. Je eher ich wieder nach Northumbrien oder Kent zurücksegeln kann, desto besser.»

«Ihr seid also sofort eingeschlafen? Und wann seid Ihr aufgewacht?»

«Ich hatte eine sehr unruhige Nacht. Einmal glaubte ich, ein seltsames Geräusch zu hören, war aber zu erschöpft, um der Sache nachzugehen. Um zwei Uhr morgens weckte mich dann mein Diener und überbrachte mir die traurige Nachricht von Wighards Tod - möge er in ewigem Frieden ruhen.» In den frommen Worten lag keinerlei Mitgefühl.

Fidelma hatte den Eindruck, daß die Nachricht für Puttoc alles andere als traurig gewesen war. Sein Ehrgeiz war nicht zu übersehen. Die Aussicht, in Wighards Fußstapfen treten zu können, beflügelte ihn.

«Ihr habt also nichts gehört und auch nichts gesehen?»

«Gar nichts», antwortete Puttoc. «Und jetzt muß ich zu Bischof Gelasius. Komm, Eanred.»

Mit wenigen großen Schritten trat er hinaus auf den Flur. «Wartet!»

Verärgert wandte sich der Abt noch einmal um. Ihre ständigen Widerworte reizten ihn bis aufs Blut.

Noch nie war ihm jemand so kühn entgegengetreten, und dann auch noch eine Frau, eine Irin ...! Ihm fehlten die Worte. Eadulf hielt die Hand vor den Mund und tat so, als müsse er sich etwas aus dem Gesicht wischen.

«Ich habe Bruder Eanred noch nicht befragen können», sagte Fidelma gelassen, die empörte Miene des Abts geflissentlich übersehend, und wandte sich an Puttocs Diener.

«Er wird Euch auch nicht mehr sagen können als ich», unterbrach Puttoc Fidelma wütend.

«Dann laßt ihn selbst zu Wort kommen», lautete Fidelmas unnachgiebige Antwort. «Mit Euch bin ich fertig, Puttoc von Northumbrien. Wenn Ihr möchtet, könnt Ihr gehen.»

Puttoc schluckte. Wie ein Mann, der seinem Hund Befehle erteilt, wandte er sich an Eanred.

«Sobald du hier fertig bist, kommst du zu mir in mein Zimmer», blaffte er und stapfte wütend über den Korridor davon.

Die Hände immer noch gefaltet, stand Bruder Eanred ruhig da und blickte Fidelma sanftmütig an. Von dem soeben Vorgefallenen schien er völlig unberührt, als ob er die Spannungen überhaupt nicht bemerkt hätte.

«Nun, Bruder Eanred ...», begann Fidelma.

Der Mönch wartete, ein seltsam geistesabwesendes Lächeln auf den Lippen. Seine Augen waren blaß und ausdruckslos.

«Wo wart Ihr gestern abend? Berichtet uns doch bitte, was Ihr nach dem Abendessen getan habt.»

«Getan habt, Schwester?» Der Mann lächelte unverdrossen weiter. «Ich habe mich schlafen gelegt, Schwester.»

«Gleich nach dem Essen?»

«Nein, Schwester. Zuerst bin ich spazierengegangen.»

Fidelma hob die Augenbrauen. Sie hatte bereits vermutet, daß sich hinter Eanreds Gleichmut ein schlichtes Gemüt verbarg. Eanred war ein williger Diener, der jedoch der ständigen Führung bedurfte.

«Wohin seid Ihr gegangen?»

«Zur großen Arena, Schwester.»

«Ihr meint das Colosseum?» hakte Eadulf nach.

Eanred nickte. «Ja, so wird es, glaube ich, genannt. Der Ort, wo so viele Menschen ihr Leben gelassen haben. Das wollte ich gern mal mit eigenen Augen sehen.» Er lächelte zufrieden. «Gestern abend hat es einen Fackelzug dorthin gegeben.»

Auch Fidelma und Eadulf hatten an der Prozession teilgenommen, ehe sie die Mitternachtsmesse für Aidan von Lindisfarne besucht hatten.

«Und wann seid Ihr zurückgekehrt?»

Eanred runzelte die Stirn, dann erschien das unerschütterliche Lächeln wieder auf seinem Gesicht. «Das weiß ich nicht so genau. Jedenfalls standen viele Leute herum, und die Soldaten liefen aufgeregt hin und her.»

«Soll das heißen, daß Ihr erst zurückgekehrt seid, als Wighard schon nicht mehr am Leben war? Aber das wäre erst nach Mitternacht gewesen. Hat Euch jemand zurückkommen sehen?»

«Die Soldaten natürlich. Ach ja, und Bruder Sebbi. Ich traf ihn im Korridor, und er sagte, ich solle Abt Puttoc wecken und ihm mitteilen, daß Wighard tot sei. Das habe ich dann auch gemacht.»

«Ihr müßt viele Stunden im Colosseum verbracht haben, wenn Ihr erst so spät zurückgekehrt seid», warf Eadulf ein.

«Ich war nicht die ganze Zeit über dort.»

«Sondern?»

«Ich wurde in eine feine Villa, nicht weit von hier, auf ein Glas Wein eingeladen.»

Eadulf und Fidelma wechselten erstaunte Blicke.

«Und wer hat Euch in diese feine Villa eingeladen, Eanred?»

«Der griechische Medikus, den ich hier im Palast schon oft gesehen hatte.»

«Cornelius? Cornelius von Alexandria?»

Eanred lächelte froh und nickte. «Ja, das ist sein Name, Schwester, Cornelius. Er lud mich in seine Villa ein, um mir einige alte Kunstwerke aus seiner wertvollen Sammlung zu zeigen und dazu ein Glas Wein zu trinken. Ich liebe es, ihm zuzuhören, wenn er Geschichten aus fernen Ländern erzählt, auch wenn mein Latein eher dürftig ist. Ich bin kein Gelehrter, müßt Ihr wissen.»

«Ihr habt also den Abend mit Cornelius verbracht, was dieser zweifellos bestätigen wird?»

«Ich war bei ihm», nickte Eanred, der offenbar nicht verstand, was Eadulf damit meinte.

«Verstehe. Und als Ihr zurückkamt, hat Euch Bruder Sebbi über die Geschehnisse aufgeklärt und Euch gebeten, Abt Puttoc zu wecken. Ihr seid also zu ihm gegangen?»

«Ja.»

«Und Abt Puttoc lag in seinem Bett und schlief?»

«Ja, und zwar tief und fest», bestätigte der Mönch.

«Und was geschah dann?»