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Die Frau ließ mißmutig den Kopf hängen.

Bruder Eadulf streifte Fidelma mit einem verschmitzten Seitenblick. Er wußte, daß ihr rauher Ton oft vorgetäuscht war. Er nickte kurz und wandte sich dann an die verstörte Hauswirtin.

«Kommt», sagte er streng. «Zeigt mir, was Ihr an Euch genommen habt. Und daß Ihr mir ja ganz genaue Angaben macht!»

Furius Licinius und Fidelma stiegen weiter die Treppe hinauf.

«Diese verdammten Bauerntölpel!» murmelte Licinius. «Sie würden auch noch einen kranken Mann auf seinem Totenbett ausrauben. Ich habe es satt, mich mit ihnen herumzuärgern.»

Fidelma beschloß, nicht darauf einzugehen, und folgte ihm stumm in eine kleine Kammer im ersten Stock. Sie war dunkel und trist und roch nach Küchendünsten und abgestandenem Schweiß.

«Ich frage mich, wieviel sie für dieses Loch verlangt», sagte Licinius, der Fidelma die Tür aufgehalten hatte. «Leider gibt es in dieser Stadt genug Halsabschneider, die ahnungslosen Pilgern zu völlig überhöhten Preisen Zimmer vermieten und sich damit eine goldene Nase verdienen.»

«Ihr sagtet, daß diese Herberge nicht unter Aufsicht der Kirche steht», sagte Fidelma. «Trotzdem muß die Kirche, was die Mieten in der Stadt angeht, doch etwas mitzureden haben?»

Licinius lächelte verkniffen. «Bieda ist ein wohlgenährter Geschäftsmann, der mit einer ganzen Reihe solcher Häuser ein Vermögen macht. Er heuert einfach für jedes seiner Häuser eine quae res domestic dispensat an ...»

«Eine was?»

«Jemanden, der das Haus für ihn führt. So wie die Frau da unten. Wahrscheinlich zieht der gute Bieda die Kosten für das leere Zimmer von ihrem Lohn ab.»

«Natürlich war es falsch von der Frau, die Sachen aus dem Zimmer an sich zu nehmen, aber ich möchte natürlich auch nicht, daß sie leidet, weil ihr Einkommen von der ständigen Vermietung aller Zimmer abhängt.»

Furius Licinius schnaubte verächtlich. «Macht Euch keine Sorgen: Unkraut vergeht nicht! Was wollt Ihr Euch ansehen?»

Fidelma blickte in die düstere Kammer. Obgleich die Läden nicht geschlossen waren, ließ das winzige Fenster nur wenig Licht in den Raum, weil der hohe Aquädukt draußen die Sicht versperrte.

«Als erstes würde ich gern überhaupt irgend etwas sehen», beklagte sie sich. «Gibt es hier keine Kerze?»

Licinius fand einen Kerzenstummel neben dem Bett und zündete ihn an.

Außer einem großem Holzbett mit einer nach Schweiß stinkenden Decke und einem Kissen, einem kleinem Tisch und einem Stuhl gab es in Ronans Kammer keine Möbel. Ein großer sacculus hing an einem in die Wand geschlagenen Haken. Fidelma schüttete den Inhalt aufs Bett: einige alte Kleider und ein Paar Sandalen. Ronans Rasierzeug stand auf dem Tisch.

«Bruder Ronan führte offenbar ein einfaches Leben.» Licinius gönnte sich einen Moment der Schadenfreude angesichts der Enttäuschung in Fidelmas Gesicht.

Wortlos stopfte Fidelma die Kleider wieder in den sacculus und hängte ihn an den Haken. Dann ließ sie ihren prüfenden Blick durchs Zimmer schweifen. Im Grunde deutete nichts daraufhin, daß ein Mensch mehrere Monate lang hier gewohnt hatte. Sie ging zum Bett und unterzog Decken, Matratzen und Gestell einer eingehenden Prüfung. Zehn Minuten später hatte sie noch immer keinen Lohn für ihre Mühe.

Furius Licinius lehnte gegen den Türpfosten und beobachtete sie aufmerksam.

«Ich sagte Euch doch schon, daß man hier nichts gefunden hat», meinte er. Nach der Demütigung in Wighards Schlafgemach war seine Erleichterung unüberhörbar.

«Ich weiß.»

Fidelma bückte sich und begutachtete den Boden. Nichts als Staub. Sie erschrak, als sie ganze Scharen kleiner schwarzer Käfer davonhuschen sah. Was war das für häßliches Getier?

«Scarabaeus», erklärte Furius Licinius. «Kakerlaken. In diesen alten Häusern wimmelt es nur so davon.»

Fidelma wollte sich schon voller Ekel abwenden, als sie unter dem Bett etwas bemerkte. Sie überwand ihre Abscheu, beugte sich vor, um danach zu greifen, und hielt kurz darauf ein kleines Stück Papyrus in der Hand, das mit Fußabdrücken übersät und deshalb vom schmutzigen Boden kaum zu unterscheiden gewesen war.

Fidelma hob den Kerzenstummel und betrachtete es etwas genauer.

Das kaum mehr als ein paar Zoll große Stück war offenbar von einem größeren Papyrus abgerissen worden und mit seltsamen Hieroglyphen bedeckt, wie sie Fidelma noch nie zuvor gesehen hatte. Es waren weder griechische noch lateinische Buchstaben, und sie hatten auch mit der alten Ogham-Schrift ihres Heimatlandes keinerlei Ähnlichkeit.

Lächelnd hielt Fidelma dem beschämten Furius Licinius ihr Fundstück hin.

«Was haltet Ihr von diesen Schriftzeichen? Könnt Ihr sie entziffern?»

Furius Licinius betrachtete den Papyrus und schüttelte den Kopf.

«Nein, solche Schriftzeichen sind mir unbekannt», sagte er und fügte aus Furcht, die custodes könnten von der selbstbewußten Irin noch einmal gedemütigt werden, eilig hinzu: «Meint Ihr, es könnte wichtig sein?»

«Wer weiß?» Fidelma verstaute das Papyrusstück in ihrem marsupium. «Wir werden sehen. Aber Ihr hattet recht, Furius Licinius: In diesem Zimmer gibt es nichts, was uns unmittelbar weiterhelfen könnte.»

Sie hörten Schritte auf der Treppe. Eadulf kam herein, den Arm voller verschiedener Gegenstände.

«Ich fürchte, es hat eine Weile gedauert, bis sie alles zusammengesucht hatte. Zumindest glaube ich, daß das alles ist. Wir kamen gerade noch rechtzeitig, um den Verkauf von Ronans Habseligkeiten zu verhindern.»

Er legte die Gegenstände vorsichtig aufs Bett: einen Rosenkranz; ein nicht sehr aufwendig gearbeitetes, aber sicherlich recht wertvolles Kruzifix aus rotem irischen Gold; einen leeren crumena oder Geldbeutel; mehrere kleine Andenken an römische Heiligtümer; und zwei kleine Bücher, das Lukas- und das Matthäus-Evangelium.

Furius Licinius lachte empört.

«Die Miete eines Monats? Das hätte für drei Monate oder mehr in diesem Loch gereicht. Die aus dem crumena verschwundenen Münzen nicht mitgezählt.»

Fidelma untersuchte sorgsam die beiden griechischen Evangelien und blätterte Seite für Seite um, als erwartete sie, es könnte etwas herausfallen. Seufzend gab sie schließlich ihre Suche auf.

«Ihr habt nichts gefunden?» fragte Eadulf und schaute sich im Zimmer um.

Fidelma, die meinte, er spreche von den Evangelien, schüttelte den Kopf.

«Irgendwelche Geheimverstecke?»

Erst jetzt wurde Fidelma klar, daß er Bruder Ronans Zimmer meinte.

Furius Licinius lächelte nachsichtig. «Diese Möglichkeit hat decurion Marcus Narses schon ausgeschlossen.»

«Trotzdem», erwiderte Eadulf und klopfte mit dem Knöchel Wände und Boden auf mögliche Hohlräume ab.

«Decurion Marcus Narses hatte recht», sagte er zu Licinius. «Es scheint kein Geheimversteck zu geben, in dem Bruder Ronan die gestohlenen Gegenstände aus Wighards Schatztruhe hätte verbergen können.»

Fidelma sammelte Ronan Ragallachs Habseligkeiten zusammen und steckte sie zu den Kleidern in seinem sacculus.

«Wir nehmen Ronans sacculus in Gewahrsam. Furius Licinius, sagt seiner Zimmerwirtin, daß die ausstehende Miete aus dem Erlös von Ronans Eigentum beglichen werden kann, wenn wir unsere Untersuchungen abgeschlossen haben. Allerdings muß Diakon Bieda persönlich kommen, um seine Ansprüche geltend zu machen, und gleichzeitig eine Rechnung für das Zimmer vorlegen.»

Der junge tesserarius nickte lächelnd.

«Es sei, wie Ihr es sagt, Schwester.»