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Fidelma überhörte geflissentlich Gelasius’ spöttischen Tonfall.

«Meine Aufgabe war es, den Vertretern unserer Kirche in allen rechtlichen Fragen beratend zur Seite zu stehen.»

Erstaunt sah der Bischof sie an.

«Ihr habt sie in rechtlichen Fragen beraten?» fragte er verblüfft.

«Ja, denn ich bin nicht nur Geistliche, sondern auch eine dalaigh der irischen Brehon-Gerichts-barkeit, eine Gesetzeskundige oder Advokatin, und sowohl im Senchus Mor, dem Zivilrecht, als auch dem Leabhar Acaill, dem Strafrecht, geschult. Beide zusammen sorgen dafür, daß in unserem Land Frieden und Gerechtigkeit herrschen.»

Gelasius starrte sie ungläubig an. «Ist es bei den Königen von Irland Sitte, Frauen als Gesetzeskundige vor Gericht zuzulassen?»

Fidelma zuckte die Achseln. «In meinem Volk können Frauen jeden Beruf ergreifen, selbst die Königswürde und die Befehlsgewalt im bewaffneten Kampf stehen ihnen offen. Wer hat noch nicht von Macha, unserer größten Kriegerkönigin, gehört? Und doch ist mir zu Ohren gekommen, daß den Frauen in Rom keine vergleichbaren Rechte zugebilligt werden.»

«Ganz bestimmt nicht», versetzte Gelasius.

«Es ist also wahr, daß den römischen Frauen alle gelehrten Berufe versagt sind und sie kein öffentliches Amt bekleiden dürfen?»

«Allerdings.»

«Dann lebt Ihr in einem wahrhaft merkwürdigen Land, das sich selbst der Hälfte der Talente seiner Bevölkerung beraubt.»

«Nicht merkwürdiger, gute Schwester, als ein Land, das den Frauen gleiche Rechte einräumt wie den Männern. In Rom werdet Ihr überall beobachten, daß der Vater oder Ehemann in jeder Hinsicht über die weiblichen Mitglieder seiner Familie bestimmt.»

«Dann ist es wohl ein Wunder, daß ich unbehelligt durch Eure Straßen gehen kann, ohne für meine Anmaßung angepöbelt zu werden.»

«Eure Tracht wird mit der stola matronalis gleichgesetzt, das heißt, Ihr könnt nicht nur öffentliche Kultstätten, sondern auch Theater, Läden und Gerichtshöfe besuchen - Vergünstigungen, die all denen, die kein geistliches Gewand tragen oder noch unverheiratet sind, nicht zustehen. Jungfrauen müssen sich auf jeden Fall im nahen Umkreis ihres Vaterhauses aufhalten. Trotz allem können hochgestellte Frauen in geschäftlichen Dingen durchaus eine recht einflußreiche Rolle spielen - vorausgesetzt, alles wird in den vier Wänden ihres eigenen Palastes abgewickelt und nach außen von ihren Ehemännern oder Vätern vertreten.»

Fidelma schüttelte mißbilligend den Kopf.

«Dann ist Rom für uns Frauen eine sehr traurige Stadt.»

«Es ist die Stadt von Peter und Paul, die das Licht des Glaubens in die Finsternis des Heidentums brachten - und es ist die Stadt, die dazu auserwählt wurde, dieses Licht in die Welt zu tragen.»

Stolz schwang in Gelasius’ Tonfall mit, als er sich zurücklehnte und die junge Irin betrachtete. Er liebte seine Heimat und seine Stadt und war äußerst standesbewußt.

Fidelma schwieg, da sie klug genug war, um es sich nicht mit dem Bischof zu verscherzen. Nach einer Weile fuhr Gelasius fort. «Und Eure Reise verlief ohne Zwischenfälle?»

«Die Überfahrt von Massilia war äußerst ruhig. Nur einmal, als am südlichen Horizont ein fremdes Segel erschien, ließ der Kapitän das Schiff vor lauter Angst fast auf einen Felsen laufen.»

«Es hätte ein Schiff der fanatischen Anhänger Mohammeds aus Arabien sein können, die das gesamte Mittelmeer unsicher machen. Unzählige Male sind unsere Häfen im Süden schon von ihnen geplündert und verwüstet worden. Gott sei Dank ist Euer Schiff von ihnen verschont geblieben.» Einen Augenblick lang hielt Gelasius nachdenklich inne, dann fragte er: «Und habt Ihr eine gute Unterkunft in der Stadt gefunden?»

«O ja. Ich bin in einer kleinen Herberge nicht weit von hier untergekommen, ganz in der Nähe des Oratoriums der Heiligen Prassede in der Via Merulana.»

«Ah, die Herberge, die von Diakonus Arsenius und seiner guten Frau Epiphania geleitet wird?»

«Genau.»

«Gut. Dann weiß ich, wo ich Euch erreichen kann. Und jetzt laßt uns über die Botschaft sprechen, die Euch Ultan von Armagh mitgegeben hat.»

Fidelma reckte kampflustig ihr hübsches Kinn. «Sie ist allein für die Augen Seiner Heiligkeit bestimmt.»

Verärgert zog Gelasius die Brauen zusammen. Kurz sah er in die unerschrockenen, grünen Augen, die kühn seinem Blick standhielten. Dann aber überlegte er es sich anders und nickte mit einem breiten Lächeln.

«Ihr habt vollkommen recht, Schwester. Aber hier bei uns herrscht nun mal die Regel, daß ich kraft meines Amtes als nomenclator alle eingehenden Schreiben prüfen muß. Auch die Regularien, die Ihr dem Heiligen Vater zur Segnung mitgebracht habt, müssen vorher von mir durchgesehen werden. Das liegt nun mal in meinem Zuständigkeitsbereich.»

Fidelma sah ein, daß ihr nichts anderes übrig blieb, als einzulenken. Aus den Falten ihrer langen Gewänder zog sie eine dicke Pergamentrolle hervor und reichte sie dem Bischof. Er entrollte sie, überflog ihren Inhalt und legte sie dann auf den Tisch.

«Ich werde alles in Ruhe lesen und anschließend meinen scriptor um eine Prüfung bitten. Wenn alles seine Richtigkeit hat, können wir für heute in sieben Tagen eine Audienz bei Seiner Heiligkeit vereinbaren.»

«Nicht früher?» fragte sie enttäuscht.

«Habt Ihr es denn so eilig, unsere schöne Stadt wieder zu verlassen?» spöttelte Gelasius.

«Mein Herz sehnt sich nach meiner Heimat, werter Bischof, das ist alles. Ich bin jetzt schon so viele Monate von zu Hause fort.»

«Dann, mein Kind, werden ein paar Tage mehr oder weniger auch keinen großen Unterschied machen. Es gibt so vieles, was Ihr Euch vor Eurer Rückkehr anschauen solltet, vor allem, wenn dies Eure erste Pilgerreise ist. Zweifellos werdet Ihr den Vatikanhügel besuchen und die Basilika besichtigen wollen, die man dort über dem Grab des Heiligen Petrus errichtet hat - dem Felsen, auf dem nach dem Willen Christi seine Kirche fest und unverbrüchlich steht. Auf diesem Hügel, sagt man, ist der Herr auch dem Heiligen Petrus erschienen, als er die Stadt, in der Nero alle Gläubigen verfolgte, verlassen wollte. Petrus kehrte um und ging zurück in die Stadt, um gemeinsam mit seiner Herde den Kreuzigungstod zu erleiden, und auf diesem Hügel wurde er dann zu Grabe getragen.»

Fidelma senkte den Kopf. Es fiel ihr schwer, ihre Verärgerung darüber zu verbergen, daß der Bischof sie für so unwissend hielt.

«Dann werde ich warten, bis Ihr mich rufen laßt, Gelasius», sagte sie, stand auf und sah ihn an, als wolle sie sich von ihm verabschieden. Wieder staunte Gelasius, der es gewohnt war, in seinen Amtsräumen ganz allein darüber zu entscheiden, wann ein Gespräch beendet war.

«Sagt mir, Fidelma von Kildare, gibt es in Eurem Land viele Frauen wie Euch?»

Fidelma sah ihn fragend an. Offenbar war ihr die Bedeutung seiner Worte nicht ganz klar.

«Ich habe viele Eurer Landsmänner kennengelernt, einige davon sind sogar hier im Lateranpalast für uns tätig, aber meine Erfahrungen mit den Frauen sind sehr begrenzt. Sind sie alle so unverblümt und offen wie Ihr?»

Fidelma lächelte gelassen. «Ich kann nur für mich selbst sprechen, Gelasius. Doch wie ich Euch schon sagte, sind die Frauen in meinem Land den Männern in keiner Weise unterstellt. Wir glauben, daß Gott uns als Wesen mit gleichen Rechten geschaffen hat. Vielleicht solltet Ihr selbst einmal nach Irland reisen und Euch ein Bild von seinen Schönheiten und Schätzen machen.»

Gelasius lachte. «Kein schlechter Einfall. Aber ich glaube, ich bin schon zu alt für eine so anstrengende Reise. Jedenfalls wünsche ich Euch eine schöne Zeit in unserer Stadt. Ihr könnt jetzt gehen. Deus vobiscum.»