«Einverstanden», stimmte Fidelma zu.
In freundschaftlicher Eintracht gingen sie weiter die Via Merulana hinunter. In gebührendem Abstand folgte ihnen, im Schutz der Zypressen, der fremde Mönch mit dem Mondgesicht.
III
FIDELMA HATTE DAS GEFÜHL, ERST
vor wenigen Minuten eingeschlafen zu sein, als durchdringendes Glockengeläut sie aus dem Schlummer riß. Leise ächzend drehte sie sich um und wollte schon weiter ihren angenehmen Träumen nachhängen, als sie wieder von erneutem Klingeln und dem Klang barscher Stimmen geweckt wurde. Sie hörte, wie die anderen Pilger sich in ihren Betten regten und sich lautstark nach dem Grund für die Störung ihrer Nachtruhe erkundigten. Inzwischen hellwach, schlüpfte Fidelma aus ihrem Bett, warf ihr Gewand über und wollte gerade nach einer Kerze greifen, als es verhalten an der Tür ihrer Kammer klopfte. Ehe sie antworten konnte, schwang die Tür auf, und im Schein der nachts im Flur ständig brennenden Lampe erkannte Fidelma die völlig aufgelöste Hausherrin auf der Schwelle. Epiphania rang die Hände.
«Schwester Fidelma!» jammerte sie in heller Angst.
«Beruhigt Euch, Epiphania», erwiderte Fidelma sanft. «Was ist geschehen?»
«Ein Offizier der custodes, der Wache im Lateranpalast, verlangt, daß Ihr ihn begleitet.»
Schreckensbilder erschienen vor Fidelmas geistigem Auge. Warum war sie Ultans Bitte, in seinem Auftrag nach Rom zu reisen, überhaupt nachgekommen? Warum hatte sie den Fehler begangen, den Heiligen Vater, den Prunk der Geistlichkeit und die Geschäftemacherei mit gutgläubigen Pilgern zu kritisieren? Hatte jemand sie belauscht und angeschwärzt? Obwohl es sie große Mühe kostete, sich zu beherrschen, war ihr äußerlich nichts anzumerken.
«Wohin soll ich ihn begleiten?» fragte sie mit ruhiger Stimme. «Und zu welchem Zweck?»
Doch in diesem Augenblick wurde die Diakonin auch schon unsanft zur Seite geschoben, und in der offenen Tür des cubiculum erschien ein gutaussehender, junger Soldat in der prächtigen Uniform der custodes. Herrisch blickte er über ihren Kopf hinweg und vermied es, ihr in die Augen zu sehen. Fidelma war lange genug in Rom, um die Rangabzeichen eines tesserarius sofort zu erkennen.
«Wir haben den Befehl, Euch zum Lateranpalast zu bringen, und zwar auf der Stelle, Schwester», erklärt er mit barscher Stimme.
Fidelma zwang sich zu einem Lächeln. «Und zu welchem Zweck?»
Der junge Mann verzog keine Miene. «Das hat man mir nicht gesagt. Ich führe lediglich einen Befehl aus.»
«Läßt der Befehl zu, daß ich mir vorher noch schnell das Gesicht wasche und mich ordentlich ankleide?» fragte sie freundlich.
Der Soldat sah Fidelma an und wirkte auf einmal ein wenig zugänglicher. «Wir erwarten Euch draußen, Schwester», sagte er und zog sich ebenso rasch zurück, wie er gekommen war.
Epiphania stöhnte leise. «Was hat das zu bedeuten, Schwester? Was hat das nur zu bedeuten?»
«Das werde ich erst wissen, wenn ich mich angekleidet und die custodes zum Palast begleitet habe», antwortete Fidelma, die versuchte, ihre Befürchtungen hinter einem gleichgültigen Tonfall zu verbergen.
Nach kurzem Zögern verließ die Diakonin ihre Kammer.
Eine Weile blieb Fidelma reglos stehen. Sie fror und fühlte sich ziemlich verlassen. Dann aber gab sie sich einen Ruck und zwang sich, Wasser in eine Schüssel zu gießen und sich zu waschen. Langsam und bedächtig machte sie sich an ihre Morgentoilette, als könnte sie damit ihren inneren Aufruhr besänftigen.
Zehn Minuten später trat sie, nach außen hin völlig ruhig und gelassen, in den Innenhof. Die Diakonin stand am Tor, und Fidelma wußte, daß die anderen Gäste des Hauses neugierig aus ihren Fenstern spähten. Außer dem jungen Offizier, der sie in ihrem cubiculum aufgesucht hatte, standen noch zwei weitere Soldaten bereit.
Der Offizier nickte ihr zu und trat einen Schritt vor. «Ehe wir gehen, muß ich Euch noch ausdrücklich fragen, ob Ihr tatsächlich Fidelma von Kildare aus dem irischen Königreich seid?»
«Ja, die bin ich.» Fidelma neigte leicht den Kopf.
«Ich bin tessarius Licinius von der Wache des Lateranpalasts. Unser oberster Dienstherr, der su-perista, hat mir befohlen, Euch sofort zu ihm zu bringen.»
«Ich verstehe», entgegnete Fidelma, die in Wirklichkeit nicht das geringste verstand. «Wird mir ein Verbrechen zur Last gelegt?»
Der junge Offizier zuckte die Achseln. «Ich kann Euch nur noch einmal beteuern, daß ich lediglich meine Befehle ausführe, Schwester.»
«Dann werde ich mit Euch kommen», seufzte Fidelma, der klar war, daß sie unter diesen Umständen ohnehin keine andere Wahl hatte.
Mit blassem Gesicht und zitternden Lippen öffnete die Diakonin das große Tor.
Seite an Seite mit dem jungen Offizier trat Fidelma auf die Straße hinaus, gefolgt von den beiden Soldaten, die mit Fackeln ihren Weg durch das nächtliche Rom erleuchteten.
Außer dem fernen Jaulen eines Hundes war in der tagsüber so geschäftigen Stadt nichts zu hören, und die Luft war so kühl und frisch, wie Fidelma es seit ihrer Ankunft noch nicht erlebt hatte. Zwar war es nicht so eisig wie in den frühen Morgenstunden in ihrem Heimatland, aber sie war doch dankbar für ihr wärmendes Wollgewand. Es würde mindestens eine Stunde dauern, bis sich die ersten Strahlen der Morgensonne vorsichtig in den östlichen Himmel jenseits der fernen Hügel reckten. Abgesehen vom Scharren ihrer Sandalen und der schweren, nägelbeschlagenen caligulae der Soldaten auf dem Straßenpflaster war alles noch friedlich und still.
Schweigend gingen sie auf der breiten Via Me-rulana in südlicher Richtung auf die hohe, alles beherrschende Kuppel der St.-Johannes-Basilika zu, die den Lateranpalast überragte. Es war nicht sehr weit, kaum mehr als tausend Meter, wie Fidelma auf ihrem täglichen Weg zum Palast bereits herausgefunden hatte. Die Tore wurden von lodernden Fackeln beleuchtet und von custodes mit gezücktem Schwert bewacht.
Der Offizier führte Fidelma die Treppe hinauf in das atrium, wo sie bei ihrem Versuch, zum Heiligen Vater vorgelassen zu werden, schon so viele Stunden gewartet hatte. Sie durchquerten die große Halle, verließen sie durch eine Seitentür wieder und schritten einen kahlen, mit Steinen gepflasterten Gang entlang, dessen Kargheit in einem seltsamen Widerspruch zur Pracht der anderen Räume stand. Schließlich kamen sie in einen kleinen Innenhof, in dessen Mitte ein kunstvoll gestalteter Brunnen plätscherte, und danach in einen Vorraum, wo zwei weitere Soldaten Wache standen. Der Offizier blieb stehen und klopfte leise an die Tür.
Auf einen Zuruf von innen stieß der junge Mann die Tür auf und schob Fidelma hinein. «Fidelma von Kildare!» verkündete er und schloß die Tür hinter ihr.
Fidelma blieb stehen und sah sich um.
Sie befand sich in einem großen, mit dicken Wandteppichen geschmückten Zimmer, das jedoch längst nicht so prunkvoll ausgestattet war wie der große Saal, in dem sie tags zuvor mit Bischof Gelasius gesprochen hatte. Die Möblierung war spärlich und zweckmäßig. Das officium war gut beleuchtet. Ein gedrungener Mann mit kurzgeschnittenem, stahlgrauem Haar und ausgeprägtem Kinn trat auf sie zu, um sie zu begrüßen. Offenbar handelte es sich um einen Offizier, der aber weder Rüstung noch Waffen trug.
«Fidelma von Kildare?» In seiner Stimme lag keinerlei Feindseligkeit, ja, der Mann wirkte eher ängstlich. Als Fidelma argwöhnisch nickte, fuhr er fort: «Ich bin superista Marinus und befehlige die Soldaten im Lateranpalast.»
Er deutete auf einen großen Kamin, in dem ein loderndes Feuer die frische Morgenluft erwärmte. Davor standen zwei Stühle. Er bot ihr den einen an und nahm auf dem anderen Platz.