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Wer er denn sei? Was er in seiner Jugend gemacht habe? Er sei Journalist, sagte die Sanders, und berichtete, was sie über die Familie wußte; der Vater, ein Prachtmensch, hellhaarig wie der Sohn, hielt Rennpferde, sie hatte ihn noch kurz vor seinem Tod gesehen, und er war noch immer ein Mann. Wie der Sohn kannte er keine Ruhe: Frauen und Häuser, und beide wechselte er ständig; brüllte immerzu jemanden an, wenn nicht seinen Sohn, dann irgendwen auf der anderen Straßenseite. Die Postmeisterin bohrte weiter. Aber, was ihn selbst betraf: hatte der Schuljunge sich auch schon ausgezeichnet? Nun, er hatte für ein paar ausgezeichnete Zeitungen gearbeitet, sagen wir mal so, sagte die Sanders, und ihr Lächeln strahlte geheimnisvoll auf: »In England ist es im allgemeinen nicht üblich, Journalisten besonders auszuzeichnen«, erklärte sie in ihrer klassischen römischen Sprechweise.

Aber die Postmeisterin wollte mehr, viel mehr. Sein Schreiben, sein Buch, was hatte es damit auf sich? So lange Zeit! So vieles weggeworfen! Körbevoll, hatte der Müllmann ihr berichtet - denn kein vernünftiger Mensch würde dort droben im Sommer ein Feuer anzünden. Beth Sanders verstand die Hartnäckigkeit isoliert lebender Menschen und wußte, daß ihre Intelligenz sich an uninteressanten Orten auf Kleinigkeiten konzentrieren mußte. Also versuchte sie, versuchte sie wirklich, gefällig zu sein. Nun, er sei die ganze Zeit gereist, sagte sie, kam an die Theke zurück und legte ihr Paket wieder ab. Heutzutage seien natürlich alle Journalisten viel auf Reisen, Frühstück in London, Mittagessen in Rom, Abendbrot in Delhi, aber Signor Westerby sei selbst nach diesen Maßstäben eine Ausnahme gewesen. Also schrieb er vielleicht ein Reisebuch.

Aber warum war er gereist? bohrte die Postmeisterin weiter, denn für sie gab es keine Reise ohne Zieclass="underline" warum? Wegen der Kriege, erwiderte die Sanders geduldig: der Kriege, der Seuchen und Hungersnöte: »Was hat ein Journalist heutzutage schließlich anderes zu tun als über die Drangsale des Lebens zu berichten?« fragte sie.

Die Postmeisterin schüttelte weise den Kopf, alle ihre Sinne waren auf die Enthüllung gerichtet: Der Sohn eines blonden Pferdelords, der herumbellte; reist wie ein Irrer, schreibt für ausgezeichnete Zeitungen! Und gab es einen besonderen Schauplatz-, irgendeinen Winkel der Erde -, auf den er sich spezialisiert hatte? Er sei die meiste Zeit im Fernen Osten, meinte die Sanders nach kurzem Nachdenken. Er sei schon überall gewesen, aber es gebe eine Sorte von Engländern, die sich nur im Fernen Osten wirklich zu Hause fühlten. Bestimmt war das auch der Grund, warum er nach Italien kam: Manche Männer werden trübsinnig ohne Sonne. Und manche Frauen auch, kreischte die Postmeisterin, und sie lachten beide herzhaft.

Ach der Ferne Osten, sagte die Postmeisterin mit tragischem Kopfneigen - ein Krieg nach dem anderen, warum griff der Papst nicht ein? Während Mamma Stefano in dieser Tonart fortfuhr, schien der Sanders etwas einzufallen. Zuerst lächelte sie nur ein wenig, dann immer mehr. Das Lächeln der Verbannten, dachte die Postmeisterin, die sie nicht aus den Augen ließ: wie ein Matrose, der ans Meer denkt.

»Er hat früher immer einen Sack voller Bücher mit sich herumgeschleppt«, sagte die Sanders. »Wir sagten damals, er hat sie aus den besten Häusern geklaut.«

»Er trägt ihn immer noch rum!« rief die Postmeisterin, und sie erzählte, wie Guido im Wald der Contessa auf den Schuljungen gestoßen war, der lesend auf einem Holzstoß saß.

»Ich glaube, er wollte eigentlich einmal Romane schreiben«, fuhr die Sanders im gleichen Ton privater Erinnerungen fort: »Ich erinnere mich, daß sein Vater es uns sagte. Er war furchtbar wütend. Brüllte durch das ganze Haus.«

»Der Schuljunge? Der Schuljunge war wütend?« rief Mamma Stefano ungläubig.

»Nein, nein. Der Vater.« Die Sanders lachte laut. In der englischen Gesellschaftsordnung, erklärte sie, rangierten die Romanschreiber sogar noch unter den Journalisten. »Malt er auch noch immer?«

»Malen? Er ist Maler?« staunte die Postmeisterin. Er hat's versucht, sagte die Sanders, aber der Vater hat auch das verboten. Maler seien die allerniedrigsten Geschöpfe, sagte sie unter erneutem Lachen: nur die erfolgreichen wurden widerstrebend geduldet.

Kurz nach diesem Mehrfachzünder berichtete der Dorfschmied - der gleiche Dorfschmied, den die Waise als Ziel für ihren Krug ausersehen hatte -, er habe Jerry und das Mädchen im Gestüt der Sanders gesehen, zuerst zweimal in einer Woche, dann dreimal, sie hätten auch dort gegessen. Und daß der Schuljunge großen Pferdeverstand gezeigt habe, die Tiere hätten sich von ihm ohne weiteres führen und longieren lassen, auch die wildesten. Die Waise beteiligte sich nicht, sagte der Dorf schmied. Sie saß mit der Knäbin im Schatten und las entweder etwas aus dem Büchersack oder beobachtete ihn mit ihren eifersüchtigen, starren Augen; sie wartete, wie jedermann wußte, auf den Tod des Vormunds. Und heute das Telegramm! Jerry hatte Mamma Stefano schon von weitem gesehen. Es war sein Instinkt, etwas in ihm schien immer zu beobachten: eine schwarze Gestalt, die unerbittlich den staubigen Pfad hinaufhumpelte wie ein lahmer Käfer; durch das exakte Streifenmuster aus Sonne und Schatten, das die Zedernreihen warfen; das ausgetrocknete Bachbett von Francos Olivenhainen hinan, querbeet durch Jerrys Klein-Italien, wie er es nannte, ganze zweihundert Quadratmeter, aber groß genug, um an kühlen Abenden, wenn er und die Waise sportliche Anwandlungen hatten, einen zerfledderten Tennisball an einer Schnur um einen Pfahl zu treiben. Er hatte sehr bald schon den blauen Umschlag gesehen, den sie schwenkte, und er hatte sogar das Miauen gehört, das sie ausstieß und das sich gegen die übrigen Geräusche aus dem Tal durchsetzte: die Lambrettas und die Kreissägen. Und, ohne im Tippen innezuhalten, warf er zunächst einen verstohlenen Blick auf das Haus, um sich zu versichern, daß das Mädchen das Küchenfenster als Schutz vor Hitze und Insekten geschlossen hatte. Dann lief er, genau wie die Postmeisterin es später beschrieb, mit einem Glas Wein in der Hand die Stufen herunter auf sie zu, um sie nicht zu nah herankommen zu lassen.

Er las das Telegramm langsam, einmal, beugte sich darüber, damit die Schrift im Schatten liege, und sein Gesicht, das von Mamma Stefano genau beobachtet wurde, nahm einen finsteren, verschlossenen Ausdruck an, und seine Stimme wurde noch rauher, als er ihr die riesige fleischige Hand auf den Arm legte. »La sera«, brachte er zustande, während er sie wieder zum Weg zurückgeleitete. Er wollte die Antwort heute Abend absenden, meinte er. »Molto grazie, Mamma. Super. Bin Ihnen sehr dankbar. Ganz schrecklich.«

Noch beim Verabschieden schnatterte sie wie wild, bot ihm jede nur denkbare Hilfe an, Taxis, Gepäckträger, Telefonanrufe beim Flugplatz, und Jerry tastete zerstreut seine Hosentaschen nach kleinen oder großen Münzen ab: er hatte offenbar vorübergehend vergessen, daß die Waise jetzt das Geld verwaltete. Der Schuljunge habe die Nachricht mit Fassung entgegengenommen, berichtete die Postmeisterin dem Dorf. Leutselig, er habe sie sogar ein Stück Wegs zurückbegleitet; tapfer, so daß nur eine welterfahrene Frau - eine Frau, die überdies die Engländer kannte - den verborgenen nagenden Kummer gewahren konnte: so verwirrt, daß er versäumt habe, ihr ein Trinkgeld zu geben. Oder fing er bereits an, sich in der hochgradigen Knickrigkeit der Superreichen zu üben? -

»Aber wie hat sich die Waise verhalten?« fragten sie. Habe sie nicht geschluchzt und die Heilige Jungfrau angerufen, um zum Schein seinen Gram zu teilen?

»Er muß es ihr erst noch sagen«, flüsterte die Postmeisterin und entsann sich des einzigen kurzen Blicks, den sie auf das Mädchen erhascht hatte, während es auf das Fleisch einschlug: »Er muß erst über ihre Position nachdenken.«