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»George zehrt von seinem Ruf«, sagten sie, nachdem ein paar Monate verstrichen waren. »Daß er Bill Haydon erwischte, war ein glücklicher Zufall.«

Und überhaupt, sagten sie, sei es ein amerikanischer Tip gewesen und keineswegs Georges großer Coup: der Ruhm gebühre den Vettern, aber die hatten aus diplomatischen Gründen auf ihn verzichtet. Nein, nein, wollten andere wissen, es waren die Holländer. Die Holländer hatten Moskaus Code geknackt und den Fang über die Verbindungsstelle weitergegeben, man frage nur Roddy Martindale - Martindale, den professionellen Verbreiter von Falschmeldungen über den Circus. Und so ging es hin und her, während Smiley, der von alledem keine Ahnung zu haben schien, seine Meinung für sich behielt und seine Frau verließ. Sie konnten es kaum glauben. Sie waren perplex.

Martindale, der nie im Leben eine Frau geliebt hatte, war besonders empört. Er machte im Garrick eine regelrechte Sache daraus:

»Unverschämtheit! Er ein kompletter Niemand, und sie eine halbe Sawley! Ich sage nur: Pawlow. Typisch pawlowsche Grausamkeit. Anders kann man's nicht nennen. Nachdem er jahrelang ihre durchaus gesunden kleinen Fehltritte akzeptiert hat - ich sage, er hat sie sogar dazu getrieben -, was tut dieser Knirps? Macht Front und versetzt ihr mit napoleonischer Brutalität einen Schlag mitten ins Gesicht! Ein Skandal! Das werde ich jedem sagen. Ein Skandal ist das! Ich bin ein ziemlich toleranter Mensch, nicht engstirnig, wie ich meine, aber Smiley ist zu weit gegangen. Jawohl.«

In diesem Fall hatte Martindale, was zuweilen auch vorkam, eine zutreffende Darstellung geliefert. Die Fakten waren allen zugänglich». Nachdem Haydon tot und die Vergangenheit begraben war, hatten die Smileys ihre Differenzen beigelegt, und das neugeeinte Paar war feierlich in das kleine Haus an der Bywater Street in Chelsea zurückgekehrt. Sie hatten es sogar mit Geselligkeit versucht. Sie waren ausgegangen, sie hatten in dem Stil, der Georges neuer Stellung entsprach, Gäste empfangen; die Vettern, dann und wann einen Minister, verschiedene Whitehall-Barone, und alle ließen sich's wohl sein und gingen fröhlich und satt nach Hause; die beiden hatten sogar ein paar Wochen lang eine kleine Sehenswürdigkeit in höheren bürokratischen Kreisen gebildet. Bis George Smiley sich über Nacht und zum unverkennbaren Mißbehagen seiner Frau aus ihrem Gesichtskreis zurückgezogen und sein Lager in den ärmlichen Mansarden hinter seinem Thronsaal im Circus aufgeschlagen hatte. Bald schien die Trübseligkeit dieser Stätte sich auf seinem Gesicht festzusetzen wie der Staub auf der Haut eines Gefangenen, während sich Ann Smiley in Chelsea härmte und sehr unter ihrer Rolle als verlassene Ehefrau zu leiden schien.

Hingabe, sagten die Wissenden. Mönchische Entsagung. George ist ein Heiliger. Und in seinem Alter.

Quatsch, konterte die Martindale-Fraktion. Hingabe an was? Was gab es denn noch in diesem verödeten Ziegelschuppen, das einen solchen Akt der Selbstopferung irgend fordern konnte? Was war denn überhaupt noch irgendwo, in diesem verfluchten Whitehall oder, Gott sei uns gnädig, in diesem verfluchten England, das heute noch eine solche Forderung stellen konnte? Die Arbeit, sagten die Wissenden.

Aber was für eine Arbeit?, fistelten die selbsternannten Circus-Spezialisten im Chor und ließen das Wenige, das sie vom Hörensagen wußten, die Runde machen. Was macht er dort oben, nachdem ihm die Planstellen von drei Vierteln seiner Mitarbeiter gestrichen wurden - bis auf die ein paar alter Hennen, die ihm Tee brauten - und seine Netze beim Teufel waren, seine ausländischen Residenturen, sein Reptilienfonds - sie meinten seine Einsatzkonten - vom Schatzamt dauerhaft eingefroren waren, und er keinen Menschen in Whitehall oder Washington seinen Freund nennen konnte? Es sei denn, man betrachte diesen affektierten Parvenü Lacon im Ministerium als seinen Freund, der immer so entschlossen war, sich bei jeder nur denkbaren Gelegenheit für ihn in die Nesseln zu setzen. Und natürlich würde Lacon um ihn kämpfen: was hatte er denn sonst? Der Circus war Lacons Hausmacht. Ohne ihn wäre er - nun ja, was er auch jetzt schon war - ein Eunuch. Natürlich würde Lacon sich ins Getümmel stürzen. »Ein Skandal«, verkündete Martindale idigniert, während er seinen geräucherten Aal wegputzte und die Steak-and-Kidney-Pastete und den Rotspon, die Hausmarke des Clubs, die schon wieder um zwanzig Pence pro Karaffe gestiegen war. »Ich werde es jedem sagen.«

Zwischen den Dörflern von Whitehall und den Dörflern der Toskana war der Unterschied manchmal erstaunlich gering.

Die Zeit machte den Gerüchten nicht den Garaus. Im Gegenteil, sie wurden immer mehr, bezogen neue Nahrung aus seinem Einsiedlerdasein und nannten es Besessenheit. Man erinnerte sich, daß Bill Haydon nicht nur George Smileys Kollege gewesen war, sondern auch Anns Cousin und noch einiges mehr daneben. Smileys Zorn auf ihn, so hieß es, sei nicht mit Haydons Tod erloschen: er tanze buchstäblich auf Bills Grab. Zum Beispiel habe George persönlich das Ausräumen von Haydons berühmtem Dienstzimmer, dem Maschinengewehrstand hoch über der Charing Cross Road, und die Vernichtung auch der geringsten seiner Spuren überwacht, von den mittelmäßigen selbstgemalten Ölbildern bis zu dem Krimskrams in seinen Schreibtischladen; sogar der Schreibtisch selbst mußte auf sein Geheiß zersägt und verbrannt werden. Und als auch das vollbracht war, hieß es, habe er die Arbeiter des Circus kommen lassen, damit sie die Trennwände einrissen. Jawohl, sagte Martindale. Oder, um ein weiteres und wirklich sehr beschämendes Beispiel zu nennen, nehmen wir das Foto, das an der Wand von Smileys armseligem Thronsaal hing, offensichtlich ein Paßfoto, aber weit über dessen Format vergrößert, so daß es körnig und irgendwie gespenstisch wirkte. Einer der Jungens aus dem Schatzamt hatte es während einer Sondersitzung über die Beschneidung der Einsatzkonten entdeckt.

»Soll das Controls Porträt sein?« hatte er Peter Guillam gefragt, einfach um etwas zu sagen. Keinerlei finstere Absichten dahinter. Man durfte doch wohl noch fragen, wie? Control, dessen sonstige Namen noch immer unbekannt waren, war der legendäre Geist des Hauses. Er war dreißig Jahre hindurch Smileys Führer und Mentor gewesen. Smiley hatte ihn sogar in aller Stille begraben, hieß es: denn die sehr Geheimen wie die sehr Reichen teilen das Schicksal, unbetrauert zu sterben.

»Nein, das ist verdammt nicht Control«, hatte Guillam, der Schildknappe, ihn in seiner hochnäsigen Art abgefertigt. »Das ist Karla.«

Und wer bitte sei Karla, wenn man fragen dürfe? Karla, mein Lieber, sei der Deckname des sowjetischen Einsatzleiters, der Bill Haydon zuerst angeworben und dann geführt hatte: »Eine gänzlich andere Lesart, um es milde auszudrücken«, sagte Martindale, vor Entrüstung bebend. »Wirklich die reinste Vendetta, die wir da auf dem Hals haben. Ich frage mich nur, wie kindisch kann ein Mensch werden?« Sogar Lacon war von diesem Bild leicht beunruhigt. »Also ehrlich, George, warum hängen Sie ihn hier aus?« fragte er mit seiner kräftigen Oberlehrerstimme, als er eines Abends auf dem Heimweg vom Ministerium einen Überraschungsbesuch bei Smiley machte. »Was bedeutet er bloß für Sie? Schon mal darüber nachgedacht? Finden Sie das nicht selber ein bißchen makaber? Der siegreiche Feind? Ich hätte eher gedacht, es würde Sie ganz fertigmachen, wenn er so den ganzen Tag auf Sie runterfeixt?«