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»Nun, Bill ist tot, sagte Smiley in seiner elliptischen Art. Zuweilen lieferte er nur den Hinweis auf ein Argument, nicht das Argument selbst.

»Und Karla lebt, wollen Sie sagen?« hakte Lacon ein. »Und ein lebender Gegner ist Ihnen lieber als ein toter? Ist es so gemeint?« Aber es gab Fragen, die an George Smiley abglitten; die sogar, so sagten seine Kollegen, an ihn gerichtet, geschmacklos erschienen.

Ein Zwischenfall, der den Whitehall-Garküchen kernigere Kost lieferte, betraf die Frettchen, auch Wanzentöter genannt. An einen übleren Fall von Bevorzugung konnte man sich nirgends erinnern. Mein Gott, diese Geheimen hatten manchmal Nerven! Martindale, der ein Jahr gewartet hatte, bis sein Büro drankam, schickte eine Beschwerde an seinen Unterstaatssekretär. Handschriftlich. Nur persönlich zu öffnen. Desgleichen tat sein Bruder in Christo vom Verteidigungsministerium und beinah auch Hammer vom Schatzamt, aber entweder vergaß Hammer, seine Beschwerde in den Briefkasten zu werfen, oder er hatte es sich im letzten Augenblick anders überlegt. Es ging hier nicht nur um die Rangfolge. Nicht einmal ums Prinzip. Hier ging es um Geld. Um Geld der Steuerzahler. Das Schatzamt hatte bereits auf Georges Drangen im halben Circus neue Leitungen gelegt. Sein Verfolgungswahn in puncto Lauschangriffe kannte offenbar keine Grenzen. Hinzu kam, daß die Frettchen ohnehin knapp an Personal waren, es hatte Auseinandersetzungen mit der Industrie über unsoziale Arbeitsstunden gegeben - einfach jede Menge Ärger! Dynamit, das ganze Thema.

Was aber war in der ganzen Sache eigentlich passiert? Martindale zählte die Einzelheiten an den wohlmanikürten Fingern auf. George war an einem Donnerstag zu Lacon gegangen - während dieser irren Hitzewelle, Sie erinnern sich, als alle Welt praktisch verschmachtete, sogar im Garrick -, und bereits am Sonnabend - an einem Sonnabend, man stelle sich diese Überstunden vor! - waren diese Ungeheuer im Circus eingefallen, hatten die Anwohner mit ihrem Krach zum Wahnsinn getrieben und das ganze Haus auseinandergenommen. Ein eklatanterer Fall von blinder Bevorzugung war nicht mehr dagewesen, seit, ja, seit sie Smiley erlaubten, seine räudige alte Rußland-Tante zurückzuholen, Sachs, Connie Sachs, diese Professorin aus Oxford, wider jede Vernunft, und sie als eine der Mütter führten, obwohl sie das gar nicht war.

Diskret, jedenfalls so diskret, wie es ihm möglich war, setzte Martindale alle Hebel in Bewegung, um herauszubekommen, ob die Frettchen tatsächlich etwas entdeckt hatten, stieß jedoch auf Granit. In der Geheimwelt ist Information gleich Geld, und zumindest nach diesem Maßstab war Roddy Martindale, vielleicht ohne es zu wissen, bettelarm, denn die insides dieser inside-story kannten nur die wenigsten. Es stimmte, daß Smiley am Donnerstag Lacon in seinem getäfelten Büro mit Blick auf den St. James' Park aufsuchte und daß dieser Tag ungewöhnlich heiß für einen Herbsttag war. Breite Sonnenströme ergossen sich auf den repräsentativen Teppich, und die Staubteilchen tummelten sich darin wie winzige exotische Fische. Lacon hatte sogar das Jackett abgelegt, die Krawatte natürlich nicht.

»Connie Sachs hat ein paar Rechenkunststücke mit Karlas Handschrift in vergleichbaren Fällen angestellt«, verkündete Smiley.

»Handschrift?« echote Lacon, als wäre Handschrift etwas ausgesprachen Reglementwidriges.

»Technik. Karlas übliches Vorgehen. Es scheint, daß er, wo es irgend anging, Maulwürfe und Lauscher als Tandem führte.«

»Das Ganze nochmals im Klartext, George, wenn ich bitten darf.« Wo die Umstände es erlaubten, sagte Smiley, habe Karla seine Agenteneinsätze durch Mikrophone unterstützt. Obwohl Smiley zu seiner Genugtuung feststellte, daß innerhalb des Hauses nichts gesagt worden war, was das »gegenwärtige Vorhaben«, wie er sich ausdrückte, beeinträchtigen konnte, war allein schon die Möglichkeit beunruhigend Lacon sollte auch Smileys Handschrift kennenlernen. »Irgendeinen Anhaltspunkt für diese ziemlich akademische Theorie?« wollte er wissen und prüfte Smileys ausdruckslose Züge über die Spitze des Bleistifts hinweg, den er wie ein Lineal zwischen beiden Zeigefingern hielt.

»Wir haben in unserem eigenen Tonbandarchiv Inventur gemacht«, gestand Smiley stirnrunzelnd. »Es fehlt einiges vom hauseigenen Material. Eine Menge scheint während der Veränderungen von anno Sechsundsechzig verschwunden zu sein.« Lacon wartete, holte jedes Wort einzeln aus ihm heraus. »Haydon gehörte dem dafür zuständigen Bau-Ausschuß an«, endete Smiley als letzten Seufzer. »Er war sogar die treibende Kraft. Es ist nur - also, ich meine, wenn die Vettern jemals davon erführen, dann wäre es der letzte Nagel zu unserem Sarg.« Lacon war kein Narr, und die Vettern auf die Palme zu bringen, genau in dem Augenblick, da alles versucht wurde, um ihr Gefieder wieder zu glätten, mußte um jeden Preis vermieden werden. Wäre es nach ihm gegangen, er hätte die Frettchen noch am gleichen Tag geschickt. Der Sonnabend war ein Kompromiß, und ohne jemanden zu fragen, schickte er das ganze Team los, alle zwölf Mann, in zwei grauen Lieferwagen mit der Aufschrift »Umweltschutz-Meßwagen.« Und sie nahmen wirklich das ganze Haus auseinander, daher das alberne Gerücht über die Zerstörung von Bill Haydons Büro. Sie waren wütend wegen des verpatzten Wochenendes und vielleicht deshalb so unnötig grob: die Überstunden wurden schrecklich hoch besteuert. Aber ihre Stimmung schlug jäh um, als sie auf einen Streich acht Abhörmikrophone ausbuddelten, sämtlich Standard-Geräte des Circus aus den Audio-Lagern. Haydons Verteilung war klassisch gewesen, wie Lacon zugab, als er zur Inspektion auftauchte. Eines in einer Schublade eines nicht mehr benutzten Schreibtisches, als wäre es in aller Unschuld dort liegengeblieben und in Vergessenheit geraten. Nur daß der Schreibtisch ausgerechnet im Codierraum stand. Eines verstaubte auf einem alten Stahlschrank im Konferenzzimmer auf der fünften Etage - im Haus die Rumpelkammer genannt. Und eines war, mit typisch Haydonschem Flair, hinter den Wasserkasten in der Toilette der höheren Dienstgrade gleich nebenan geklemmt. Ein zweiter Durchgang, bei dem auch die Tragmauern drankamen, förderte weitere drei zutage, die während der Bauarbeiten eingefügt worden waren. Sonden, mit Plastik-Schnorchelhälsen zum Transportieren der Töne. Die Frettchen legten sie aus wie eine Jagdstrecke. Tot, selbstverständlich, wie sämtliche Apparate, aber dennoch von Haydon hier angebracht und auf Frequenzen eingestellt, die der Circus nicht benutzte.

»Und auf Kosten des Schatzamtes unterhalten, wohlgemerkt«, sagte Lacon mit dem allerdünnsten Lächeln und spielte mit den Leitungen, die einstmals die Abhörmikrophone mit dem Stromversorgungsnetz verbunden hatten. »Oder jedenfalls früher, denn George ließ im ganzen Haus neue Leitungen legen. Das muß ich unbedingt Bruder Hammer erzählen. Er wird begeistert sein.« Hammer, gebürtiger Waliser, war Lacons Erzfeind. Auf Lacons Anraten inszenierte Smiley nun eine kleine Komödie. Er ließ die Frettchen die Radiomikrophone im Konferenzzimmer wieder in Betrieb setzen und den Empfänger auf einen der wenigen, dem Circus verbliebenen Observierungswagen einstellen. Dann bat er drei der bockigsten Schreibtischhengste von Whitehall, unter ihnen den Waliser Hammer, in einem Radius von einer halben Meile um das Gebäude zu fahren und einer gestellten Diskussion zwischen zwei von Smileys schattenhaften Gehilfen zu lauschen, die in der Rumpelkammer saßen. Sie hörten jedes Wort. Keine Silbe ausgelassen.

Worauf Smiley persönlich sie absolutes Stillschweigen schwören und zum Überfluß eine Erklärung unterschreiben ließ, die eigens von den Housekeepers zwecks Abschreckung aufgesetzt worden war. Peter Guillam schätzte, daß sie daraufhin für etwa einen Monat lang den Mund halten würden.