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»Passiert ständig, Sir. Rotchinesische Dschunkenflotten arbeiten nach einem kollektiven Fangsystem ohne Rücksicht auf die Einzelergebnisse, Sir. Folge ist, daß immer wieder einzelne Dschunken bei Nacht ausbrechen, unbeleuchtet einlaufen und ihre Fische an die Leute auf den Außeninseln für gutes Geld verkaufen.«

Smiley hatte sich zur Karte der Insel Po Toi an der anderen Wand umgewandt und hielt den Kopf schräg, um die vergrößernde Wirkung seiner Brillengläser zu erhöhen.

»Mit welchem Dschunkentyp haben wir's zu tun?« fragte Martello.

»Achtundzwanzig-Mann-Langleiner, Sir, beködert für Haie, Goldmakrelen und Meeraale.«

»Hat Drake auch diesen Typ benutzt?« fragte Martello.

»Ja«, sagte Smiley, der noch immer auf die Karte blickte. »Ja, das hat er.«

»Und sie kann so weit hereinkommen, wie? Vorausgesetzt, das Wetter tut mit?«

Wiederum gab Smiley die Antwort. Bis auf den heutigen Tag hatte Guillam ihn im ganzen Leben noch nicht einmal das Wort Boot aussprechen hören.

»Der Tiefgang eines Langleiners beträgt weniger als fünf Faden«, erklärte er. »Die Dschunke kann so nah herankommen, wie sie will, immer vorausgesetzt, daß die See nicht zu rauh ist.« Fawn auf seiner Hinterbank ließ ein unbändiges Lachen los. Guillam fuhr in seinem Sessel herum und schleuderte ihm einen mörderischen Blick zu. Fawn feixte und schüttelte den Kopf, er vermochte sich vor Freude über die Allwissenheit seines Herrn und Meisters gar nicht zu fassen..

»Aus wie vielen Dschunken besteht eine Flotte?« fragte Martello. »Zwanzig bis dreißig«, sagte Smiley. »Schach«, sagte Murphy schwach.

»Was wird also unser Nelson machen, George? Sich an den Rand der Meute schieben, ein bißchen rumzockeln?«

»Er wird zurückbleiben«, sagte Smiley. »Die Flotten formieren sich in Kiellinie. Nelson wird seinen Skipper anweisen, die Nachhut zu bilden.«

»Gott geb's«, murmelte Martello vor sich hin. »Murphy, welches sind die traditionellen Erkennungszeichen?«

»Sehr wenig bekannt in dieser Gegend, Sir. Die Bootsleute sind notorisch schwer zu fassen. Haben keinen Respekt vor dem Seerecht. Draußen auf dem Meer setzen die Boote überhaupt keine Lichter, schon aus Furcht vor den Piraten.«

Smiley war wieder für die Welt gestorben. Er war in hölzerne Starre versunken, und obwohl seine Augen unverwandt auf die große Seekarte blickten, war er im Geist, wie Guillam wußte, überall, nur nicht bei Murphys öden, statistischen Aufzählungen.

Nicht so Martello.

»Wie umfangreich ist der gesamte Küstenhandel, Murphy?

 »Sir, es gibt keine Kontrollen und keine Angaben.

 »Bestehen Quarantänekontrollen, wenn die Dschunken in die Gewässer von Hongkong einfahren, Murphy?« fragte Martello.

 »Theoretisch sollte jedes Fahrzeug anhalten und sich kontrollieren lassen, Sir.«

»Und in der Praxis, Murphy?«

»Dschunken haben ihre eigenen Gesetze, Sir. Technisch gesehen ist es den Dschunken verboten, zwischen Victoria Island und Kowloon Point zu verkehren, Sir, aber das letzte, was die Briten sich wünschen, ist ein GekabbeL mit Festlandchina wegen der Wegerechte. Verzeihung, Sir.«

»Keine Ursache«, sagte Smiley höflich und wandte den Blick nicht von der Karte. »Briten sind wir, und Briten werden wir bleiben.« Es ist sein Karla-Gesicht. Das gleiche, das er immer hat, wenn er das Foto ansieht. Sein Blick fällt darauf, er ist erstaunt und scheint es eine Weile zu studieren, die Konturen, die verschwommenen, blicklosen Augen. Dann erlischt in seinen eigenen Augen langsam das Licht und irgendwie auch die Hoffnung, und man spürt, daß er sich in äußerster Erregung in sich selber zurückzieht. »Murphy, sprachen Sie nicht soeben von Positionslichtern?« fragte Smiley, wobei er den Kopf ein wenig drehte, die Karte jedoch nicht aus den Augen ließ. »Ja, Sir.«

»Ich erwarte, daß Nelsons Dschunke drei Lichter setzt«, sagte Smiley. »Zwei grüne untereinander am Heckmast, und ein rotes Licht steuerbords.«

»Ja, Sir«, sagte Murphy wieder.

Martello versuchte, Guillams Blick zu erhaschen, aber Guillam spielte nicht mit.

»Vielleicht aber auch nicht«, warnte Smiley nach einigem Überlegen. »Vielleicht setzt sie überhaupt keine Lichter und signalisiert erst, wenn sie ganz nah ist.«

Murphy nahm seinen Vortrag wieder auf. Ein neues Kapiteclass="underline" Nachrichtenverbindungen.

»Sir, zu den Nachrichtenverbindungen ist zu sagen, daß nur wenige Dschunken ein eigenes Funkgerät haben, aber fast alle haben einen Empfänger. Gelegentlich kauft ein Skipper ein Walkie-Talkie mit etwa einer Meile Reichweite, um das Trawlen zu erleichtern, aber sie machen es schon so lange, daß sie einander kaum etwas mitzuteilen haben dürften. Ferner, wie sie ihren Weg finden, also dazu sagt Navy Int., es grenze an ein Wunder. Wir haben zuverlässige Informationen, wonach manche Langleiner mit Hilfe eines primitiven Kompasses navigieren oder sogar nur mittels einer rostigen Alarmglocke ihren Kurs halten.«

»Murphy, wie zum Teufel stellen sie das an?« rief Martello. »Leine mit einem Bleilot und Wachs daran, Sir. Sie loten den Grund aus, und an dem, was an dem Wachs hängen bleibt, erkennen sie, wo sie sind.«

»Na, umständlicher geht's wohl nicht mehr«, erklärte Martello. Ein Telefon klingelte. Martellos zweiter Gehilfe nahm den Hörer ab, lauschte, dann legte er die Hand über die Sprechmuschel. »Quarry Worth kommt gerade zurück, Sir«, sagte er zu Smiley. »Observierte fuhr eine Stunde lang herum, jetzt hat sie den Wagen hinter dem Häuserblock abgestellt. Mac sagt, es hört sich an, als würde sie Badewasser einlaufen lassen, also will sie vielleicht später noch ausgehen.«

»Und sie ist allein«, sagte Smiley unbewegt. Es war eine Frage. »Ist sie allein in der Wohnung, Mac?« Er lachte bellend auf. »Würde dir so passen, du Halunke. Ja, Sir, die Dame ist ganz allein im Bad, und Mac sagt, wann kriegen wir endlich Video. Singt die Dame in der Badewanne, Mac?« Er legte auf. »Sie singt nicht.«

»Murphy, weiter im Text«, fauchte Martello. Smiley sagte, er möchte die Pläne für das Eingreifen nochmals durchgehen.

»Klar George! Bitte! Es ist doch Ihre Show!«

»Vielleicht könnten wir uns nochmals der großen Karte der Insel Po Toi zuwenden, ja? Und dann könnte Murphy es noch einmal Zug um Zug erklären, wenn's recht ist.«

»Recht, George, recht!« rief Martello, und Murphy begann von neuem, jetzt wieder mit dem Zeigestock in der Hand. »Die Posten von Navy Int. sind hier, Sir. In ständiger Wechselverbindung mit der Basis, Sir. Keinerlei Posten innerhalb von zwei Seemeilen rings um die Landezone. Navy Int. benachrichtigt die Basis, sobald Kos Jacht wieder Kurs auf Hongkong nimmt, Sir. Eingreifen geschieht durch reguläres britisches Polizeiboot, wenn Kos Jacht in den Hafen einläuft. US liefert lediglich operative Hilfestellung und hält sich bereit, falls unvorhergesehene Situation eintreten sollte.«

Smiley bekräftigte jedes Detail mit einem pedantischen Kopfnicken.

»So wie die Dinge stehen, Marty«, warf er an einer Stelle ein, »kann Ko doch, wenn er Nelson einmal ah Bord hat, nirgendwo anders hinfahren, wie? Po Toi liegt direkt an der Grenze der chinesischen Hoheitsgewässer. Also heißt es für ihn: wir oder gar nichts.«

Eines schönen Tages, dachte Guillam, während er zuhörte, wird George eines von zwei Dingen passieren. Entweder er hört auf, sich um alles Gedanken zu machen, oder er geht an der Widersprüchlichkeit des Ganzen zugrunde. Wenn er aufhört, sich um alles Gedanken zu machen, ist er nur noch halb soviel wert. Wenn nicht, dann würde ihm das Herz vor Anstrengung brechen, die Erklärung für unser Tun zu finden. Smiley selber hatte einmal, in einem unseligen inoffiziellen Gespräch mit seinem Stab, das Dilemma in Worte gefaßt, und Guillam bewahrte die peinliche Erinnerung bis auf den heutigen Tag. Mit unmenschlichen Mitteln unsere Menschlichkeit verteidigen, Härte zeigen im Kampf um das Mitgefühl, Intoleranz im Kampf um unsere Meinungsvielfalt, hatte er gesagt. In einem regelrechten Protestmarsch hatten sie Mann für Mann den Raum verlassen. Warum konnte George nicht einfach seine Arbeit tun und die Klappe halten, anstatt sein Credo an die große Glocke zu hängen und daran herumzurubbeln, bis die schwachen Stellen zum Vorschein kamen? Connie hatte Guillam sogar einen russischen Aphorismus ins Ohr geflüstert, von dem sie behauptete, er stamme von Karla. »Es wird keinen Krieg geben, nicht wahr, Peter, darling«, hatte sie tröstend gesagt und seine Hand gedrückt, als er sie durch den Korridor stützte. »Aber im Kampf um den Frieden wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Recht hat er gehabt, der alte Fuchs, aber wetten, daß das Collegium ihm auch hierfür keinen Dank wußte.«