Выбрать главу

Als ich zum letztenmal mit Luke sprach, sagte ich, er solle mir den Buckel runterrutschen, dachte er, und als er zum letztenmal mit mir sprach, sagte er, daß er mich Stubbsi gegenüber gedeckt habe. Sie fuhr jetzt bergab in Richtung Stadt. Er hielt sich hinter ihr, und eine ganze Weile folgte ihm kein anderes Fahrzeug, was ungewöhnlich war, aber diese Stunden waren überhaupt ungewöhnlich, und der Sarratt-Mann in ihm starb schneller, als er folgen konnte. Sie peilte den hellsten Teil der Stadt an. Er vermutete, daß er sie noch immer liebte, wenngleich er gerade jetzt in der Stimmung war, jedem Menschen alles Erdenkliche zuzutrauen. Er hielt sich dicht hinter ihr, denn er erinnerte sich daran, daß sie selten in den Rückspiegel schaute. Und auch dann hätte sie in der nebligen Dämmerung nur seine Scheinwerfer sehen kennen. Der Nebel hing in einzelnen Schwaden, und der Hafen sah aus, als stünde er in Flammen, gegen deren ziehenden Rauch sich die Strahlenfinger der Kranlichter wie Wasserschläuche richteten. In der Central Street tauchte sie in eine Tiefgarage, er fuhr straks hinter ihr her und parkte sechs Plätze entfernt, trotzdem sah sie ihn nicht. Sie blieb noch eine Weile im Wagen sitzen, um ihr Make-up aufzufrischen, und er konnte sogar feststellen, daß sie die Narben am Kinn überpuderte. Dann stieg sie aus und schloß den Wagen umständlich ab, obwohl jedes Kind im Handumdrehen das Verdeck mit einer Rasierklinge hätte aufschlitzen können. Sie trug etwas wie ein Seidencape und ein langes Seidenkleid, und als sie auf die steinerne Wendeltreppe zuschritt, hob sie beide Hände und legte ihr Haar, das im Nacken zu einem Pferdeschwanz gerafft war, sorgfältig über den Kragen des Capes. Jerry stieg ebenfalls aus und folgte ihr bis in die Hotelhalle, wo er gerade noch rechtzeitig zur Seite treten konnte, um aus dem Schußfeld einer schnatternden Meute von Modefotografen und Journalisten beiderlei Geschlechts in Abendgarderobe zu gelangen.

Jerry verzog sich in die relative Sicherheit des Korridors und setzte sich die einzelnen Teile der Szene zusammen. Es war eine große Privatparty, die Lizzie hier durch die Hintertür betreten hatte. Die übrigen Gäste kamen durch den Haupteingang; wo die Rolls-Royces so dicht gesät waren, daß keiner mehr besonders auffiel. Eine Frau mit blaugrauem Haar führte die Aufsicht, sie flatterte herum und redete in gingetränktem Französisch. Das Public-Relations-Mädchen, eine adrette Chinesin, bildete zusammen mit einigen Assistentinnen das Empfangsspalier. Eine ganze Riege rückte mit erschreckender Liebenswürdigkeit an und fragte nach den Namen, und manchmal ließen sie sich auch die Einladungskarten zeigen, ehe sie in einer Liste nachsahen und »Oh, ja, natürlich« flöteten. Die blaugraue Dame lächelte und knurrte abwechselnd. Die Riege verteilte Anstecknadeln an die Herren und Orchideen an die Damen, dann stürzte sie sich auf die nächsten Ankömmlinge. Lizzie Worthington durchlief mit stoischer Ruhe die Prüfung. Jerry ließ ihr eine Minute Vorsprung, sah ihr nach, wie sie durch die Flügeltür schritt, an der ein Schild mit der Aufschrift »Soiree« und einem Pfeil hing, dann reihte er sich in die Schlange der Wartenden. Seine Wildlederstiefel machten der Public-Relations-Dame schwer zu schaffen. Sein Anzug war schon fragwürdig genug, aber was ihr wirklich zu schaffen machte, waren die Stiefel. Während sie hinunterstarrte, dachte er, in ihrem Ausbildungskursus hatte sie gelernt, größten Wert auf Schuhwerk zu legen. Millionäre können vom Kopf bis zu den Socken wie Tramps aussehen, aber ein Paar Zweihundert-Dollar-Schuhe von Gucci sind eine Legitimation. Stirnrunzelnd studierte sie seinen Presseausweis, dann ihre Gästeliste, dann nochmals den Presseausweis und wiederum die Stiefel, warf danach einen langen Blick hinüber zu der blaugrauen Schnapsdrossel, die immer noch lächelte und knurrte. Schließlich setzte das. Mädchen in eigener Regie ihr Speziallächeln für ausgefallene Kunden auf und überreichte ihm eine untertassengroße Scheibe in rosa Leuchtfarbe mit der drei Zentimeter hohen weißen Aufschrift PRESSE. »Heute machen wir alle unsere Gäste besonders schön, Mr. Westerby«, sagte sie.

»Hartes Stück Arbeit bei mir, junge Frau.«

»Gefällt Ihnen mein Parfüm, Mr. Westerby?«

»Umwerfend«, sagte Jerry.

»Es heißt Juice of the Vine, Mr. Westerby, hundert Hongkong-Dollar die kleine Flasche, aber heute abend verteilt Maison Flaubert Gratismuster an alle unsere Gäste. Madame Montifiori . . . ja, ja natürlich, Maison Flaubert heißt Sie willkommen. Gefällt Ihnen mein Parfüm, Madame Montifiori?«

Eine junge Eurasierin im Cheongsam trat mit einem Tablett auf ihn zu und flüsterte: »Flaubert wünscht Ihnen eine exotische Nacht.«

»Um Himmels willen«, sagte Jerry.

Innerhalb der Flügeltür wartete ein zweites Empfangsspalier, gebildet aus drei hübschen Knaben, die man ihrer Reize wegen aus Paris eingeflogen hatte, sowie einem Aufgebot Gorillas, das einem Präsidenten Ehre gemacht hätte. Sekundenlang fürchtete er, sie könnten ihn durchsuchen, und er wußte, daß er in diesem Fall den ganzen Tempel in seinen Untergang mitgerissen hätte. Sie beäugten Jerry ohne Freundlichkeit, hielten ihn für ein Mitglied des Aushilfspersonals, aber immerhin war er hellhaarig, und sie ließen ihn passieren.

»Presse dritte Reihe hinter dem Laufsteg«, näselte ein blonder Hermaphrodit im ledernen Cowboyanzug und überreichte ihm die Presseinformation. »Haben Sie keine Kamera, Monsieur?«

»Ich mach nur die Texte«, sagte Jerry und wies mit dem Daumen über die Schulter. »Spike dort hinten macht die Bilder«, und er marschierte in den Empfangssaal, sah sich unbefangen um, grinste übertrieben und winkte jedem zu, der in sein Blickfeld geriet. Die Pyramide aus Champagnergläsern war sechs Fuß hoch und stand auf einem Sockel aus schwarzen, seidenbezogenen Stufen, damit die Kellner hinaufreichen konnten. In tiefen Eissärgen ruhten Magnumflaschen und warteten auf das Begräbnis. Eine Schubkarre war mit gekochten Langusten gefüllt, und ein Hochzeitskuchen aus päte de foie gras trug in Aspik die Aufschrift: »Maison Flaubert«. Vom Plafond strömte Musik herab, darunter wurde sogar Konversation gemacht, wenn auch nur das langweilige Bla-bla-bla der Superreichen. Der Laufsteg führte von der Mitte des Raums bis zu einem bodentiefen Fenster, das den Blick zum Hafen frei gab, aber der Nebel teilte die Aussicht in unregelmäßige Flecke auf. Die Klimaanlage lief auf Hochtouren, so daß die Damen ohne zu ersticken ihre Nerze tragen konnten. Die meisten Männer waren im Smoking, nur die jungen chinesischen Playboys traten in Slacks auf, wie sie in New York gerade Mode waren, schwarzen Hemden und Goldkettchen. Die britischen Taipans standen mit ihren Frauen in einem Kreis und süffelten wie gelangweilte Offiziere bei einem Garnisonsfest. Jerry spürte eine Hand auf seiner Schulter und fuhr herum, aber vor ihm stand nur ein kleiner schwuler Chinese namens Graham, der für eines der lokalen Klatschblättchen arbeitete. Jerry hatte ihm einmal mit einer Story ausgeholfen, die er beim Comic nicht loswurde. Dem Laufsteg gegenüber waren Sesselreihen hufeisenförmig aufgestellt. Lizzie saß in der ersten Reihe zwischen Mr. Arpego und dessen Frau oder Mätresse. Jerry kannte sie aus Happy Valley. Sie sahen aus, als hätten sie Lizzie für den Abend unter ihre Fittiche genommen. Die Arpegos redeten mit ihr, aber sie schien kaum zuzuhören. Sie saß kerzengerade da und sah wunderschön aus und hatte das Cape abgelegt, und von Jerrys Platz aus gesehen hätte sie bis auf das Perlenkollier und die Perlohrringe splitternackt sein können. Wenigstens ist sie noch ganz, dachte er. Nichts kaputt, keine Cholera und keine Kugel im Kopf. Er entsann sich des goldenen Flaums, den er ihren Rücker entlang hatte schimmern sehen, als er an jenem ersten Abend neben ihr im Lift stand. Der schwule Graham saß neben Jerry, zwei Plätze weiter hockte Phoebe Wayfarer. Jerry kannte sie nur flüchtig, winkte ihr aber ausgiebig zu.