»Super, Pheeb, toll sehen Sie aus. Sollten da droben auf dem Laufsteg sein, altes Haus, ein Stückchen Bein zeigen.« Er nahm an, sie sei ein bißchen blau, und vielleicht nahm sie das auch von ihm an, obwohl er seit dem Flug nichts getrunken hatte. Er nahm einen Block zur Hand und schrieb etwas darauf, es würde ihn beruhigen, wenn er sich professionell gäbe. Immer mit der Ruhe. Nicht das Wild erschrecken. Als er las, was er geschrieben hatte, sah er nur »Lizzie Worthington«, sonst nichts. Auch Graham, der Chinese, las es und lachte.
»Mein neues Pseudonym«, sagte Jerry, und jetzt lachten sie beide so laut, daß die Leute in der vordersten Reihe sich umdrehten, während die Lichter sich verdunkelten. Aber Lizzie drehte sich nicht um, obwohl Jerry dachte, sie könnte seine Stimme erkannt haben.
Hinter ihnen wurden die Türen geschlossen, und als es dunkel war, wäre Jerry am liebsten in seinem weichen freundlichen Sessel eingeschlummert. Die Sphärenmusik wich einem Dschungel-Beat, mit Jazzbesen und Becken, bis nur noch ein einziger Leuchter über dem schwarzen Laufsteg flimmerte, als Gegenstück zu den flackernden Lichtflecken, die vom Hafen durch das rückwärtige Fenster hereinleuchteten. Verstärker in allen Winkeln ließen den Drumbeat in einem langsamen Crescendo anschwellen. Es ging lange Zeit so weiter, nur Trommeln, sehr gut gespielt, sehr eindringlich, bis nach und nach groteske menschliche Schatten vor dem Hafenfenster sichtbar wurden. Die Trommeln schwiegen. Im gespannten Schweigen wiegten sich zwei schwarze Mädchen Hüfte an Hüfte den Laufsteg entlang, nur mit Juwelen bekleidet. Ihre Köpfe waren geschoren, und sie trugen runde Elfenbeinohrringe und Brillantcolliers, wie die Eisenringe bei Sklavinnen. Sie waren groß, schön und geschmeidig, und kamen völlig unerwartet. Sekundenlang hielten sie die Zuschauer in einem unentrinnbaren erotischen Bann. Die Trommeln erwachten wieder und steigerten sich, Scheinwerfer flitzten über die Juwelen und die Glieder der Mädchen. Sie entwanden sich dem Dunstkreis des Hafens und schritten mit dem Zorn versklavter Sinnlichkeit auf die Zuschauer zu. Sie machten kehrt und gingen langsam zurück, ihre Hüften lockten und versagten sich zugleich. Die Lichter flammten wieder auf, und nach einem Ausbruch nervösen Beifalls folgten Lachen und Drinks. Alle redeten jetzt zugleich, Jerry am lautesten: er sprach zu Miss Lizzie Worthington, der bekannten blaublütigen Partyschönheit, deren Mutter nicht einmal ein Ei kochen konnte, und zu den Arpegos, denen Manila gehörte und ein paar der umliegenden Inseln, wie Captain Grant vom Jockey-Club ihm dereinst versichert hatte. Jerry zückte seinen Notizbjock wie ein Oberkellner. »Lizzie Worthington, super, ganz Hongkong zu Ihren Füßen, Madam, wenn ich so sagen darf. Meine Zeitung bringt einen Exklusivartikel über diese Veranstaltung, Miss Worth oder Worthington, und wir hoffen, auch über Sie schreiben zu dürfen, ihre Kleider, ihren faszinierenden Lebensstil und ihre noch faszinierenderen Freunde. Meine Fotografen folgen mir auf dem Fuß.« Er verbeugte sich vor den Arpegos. »Guten Abend, Madame, Sir. Eine Ehre, Sie hier zu sehen. Ist dies Ihr erster Besuch in Hongkong?«
Er spielte den tapsigen jungen Riesenhund, die jungenhafte Seele des Abends. Ein Kellner brachte Champagner, und Jerry ließ es sich nicht nehmen, selber die Gläser herumzureichen. Den Arpegos machte seine Nummer Spaß. Craw hatte gesagt, sie seien falsche Fuffziger. Lizzie starte ihn an, es lag etwas in ihrem Blick, was er nicht definieren konnte, etwas Reales und Entsetztes, als hätte sie, nicht Jerry, kürzlich die Tür geöffnet und Luke gefunden.
»Mr. Westerby hat bereits einen Artikel über mich geschrieben, soviel ich weiß«, sagte sie. »Er ist wahrscheinlich nie erschienen, wie, Mr. Westerby?«
»Für wen schreiben Sie?« fragte Mr. Arpego plötzlich. Er lachte nicht mehr. Er sah gefährlich und häßlich aus, eindeutig hatte Lizzie ihn an etwas erinnert, was er gehört und gar nicht gemocht hatte. Etwas, wovor Tiu ihn gewarnt hatte, zum Beispiel. Jerry sagte es ihm.
»Dann schreiben Sie nur. Lassen Sie diese Dame in Ruhe. Sie gibt keine Interviews. Wenn Sie hier zu tun haben, dann tun Sie es woanders. Sie sind nicht zu Ihrem Vergnügen hier. Verdienen Sie sich Ihr Geld.«
»Dann also ein paar Fragen an Sie, Mr. Arpego. Ehe ich weggehe. Wie darf ich Sie beschreiben, Sir? Als einen ungehobelten Philipino-Millionär? Oder nur Halb-Millionär?«
»Um Gottes willen«, hauchte Lizzie, und gnädigerweise gingen die Lichter wieder aus, das Trommeln setzte ein, jeder begab sich zurück auf seinen Platz, und die Stimme einer Frau mit französischem Akzent gab einen leisen Kommentar über den Lautsprecher. Am hinteren Ende des Laufstegs vollführten die beiden schwarzen Mädchen einen langen lasziven Schattentanz. Als das erste Mannequin erschien, sah Jerry, wie Lizzie vor ihm im Dunkeln aufstand, das Cape über die Schulter zog und an ihm vorbei schnell und leise den Gang entlang mit gesenktem Kopf auf die Türen zuschritt. Jerry folgte ihr. In der Halle drehte sie sich halb um, als wollte sie nach ihm sehen, und er dachte, sie müsse ihn erwarten. Ihr Gesichtsausdruck war noch der gleiche und spiegelte seine eigene Stimmung. Sie wirkte gejagt, müde und aufs äußerste verwirrt.
»Lizzie!« rief er, als wäre er soeben einer alten Freundin wiederbegegnet, und lief schnell zu ihr hin, ehe sie die Damengarderobe erreichen konnte. »Lizzie! Mein Gott! Es muß Jahre her sein! Eine Ewigkeit! Super!«
Ein paar Wachmänner blickten lässig auf, als er die Arme zum Kuß langer Freundschaft um sie schlang. Seine linke Hand war unter ihr Cape geschlüpft, und als er das lachende Gesicht zu dem ihren niederbeugte, hielt er den kleinen Revolver an ihren nackten Rücken, den Lauf direkt unter ihren Nacken, und so, von den Banden alter Zuneigung an sie gefesselt, führte er sie stracks hinaus auf die Straße, unter pausenlosem fröhlichem Geplauder, und schob sie in ein Taxi. Er hatte die Pistole nicht zu Hilfe nehmen wollen, aber er konnte es nicht riskieren, sie im Polizeigriff abführen zu müssen. Ja, so geht's, dachte er. Da kommt man zurück, um ihr zu sagen, daß man sie liebt, und dann führt man sie mit vorgehaltener Pistole ab. Sie zitterte und war wütend, aber er glaubte nicht, daß sie Angst hatte, er glaubte nicht einmal, daß sie diese gräßliche Veranstaltung besonders ungern verließ.
»Das hat mir noch gefehlt«, sagte sie, als sie sich wieder durch den Nebel bergan schlängelten. »Gut gemacht. Verdammt gut gemacht.«
Sie trug einen Duft, der ihm fremd war, aber er fand ihn unvergleichlich angenehmer als Juice of the Vine.
Nicht daß Guillam sich direkt langweilte, aber seine Konzentrationsfähigkeit war auch nicht grenzenlos, wie es bei George der Fall zu sein schien. Wenn er nicht gerade darüber nachdachte, was zum Teufel Jerry Westerby vorhaben mochte, dann sonnte er sich beim Gedanken an die erotischen Entbehrungen, unter denen Molly Meakin jetzt zu leiden hatte, oder er dachte an den Chinesenjungen mit den verdrehten Armen, der wie ein angeschossener Hase hinter dem entschwindenden Wagen hergeheult hatte. Murphy dozierte jetzt über die Insel Po Toi, und er verbreitete sich erbarmungslos über dieses Thema. Vulkanisch, Sir, sagte er.