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Und was wird Drake mit Lizzie anstellen, fragte er sich, während dieses kleine Drama seinen Lauf nimmt? Welchem Schlamassel geht sie diesmal entgegen?«

Sie hatten den Zugang zum Tunnel erreicht und waren fast zum Stehen gekommen. Der Mercedes war direkt hinter ihnen. Jerry ließ den Kopf nach vorne fallen. Er legte beide Hände an die Leisten, schwankte vor und zurück und keuchte vor Schmerz. Aus einem improvisierten Polizeiposten, der einem Schilderhäuschen glich, lugte ein chinesischer Schutzmann neugierig herüber. »Wenn er zu uns herkommt, sagen Sie, wir haben einen Betrunkenen im Wagen. Zeigen Sie ihm das Erbrochene auf dem Boden«, fauchte Guillam.

Sie krochen in den Tunnel. Wegen des schlechten Wetters waren die Wagen auf zwei Fahrspuren in nördlicher Richtung Nase an Heck aufgereiht. Guillam hatte die rechte Spur gewählt, der Mercedes hielt in gleicher Höhe auf der linken. Im Spiegel sah Jerry durch die halbgeschlossenen Lider einen braunen Lastwagen, der hinter ihnen langsam bergab zuckelte. »Geben Sie mir Kleingeld«, sagte Guillam »Ich brauche Kleingeld, wenn ich rausfahre.«

Fawn grub in seinen Taschen, wobei er nur eine Hand benutzte. Der Tunnel rüttelte vom Dröhnen der Motoren. Ein Hupkonzert setzte ein. Zum alles durchdringenden Nebel kam nun noch der Gestank der Auspuffgase. Fawn schloß sein Fenster. Der Lärm schwoll an und wurde von den Wänden zurückgeworfen, bis der Wagen im Takt bebte. Jerry hielt sich die Ohren zu. »Tut mir leid, altes Haus. Glaube, mir wird wieder schlecht.« Aber diesmal beugte er sich nach Fawns Seite, der mit einem unterdrückten »Dreckschwein« hastig sein Fenster wieder herunterkurbeln wollte, als Jerrys Kopf in seinen Kiefer krachte und Jerrys Ellbogen ihm in die Leisten fuhr. Für Guillam, der zugleich steuern und sich hätte wehren müssen, hatte Jerry einen Handkantenschlag auf die Stelle zwischen Schultergelenk und Schlüsselbein vorgesehen. Er fing mit völlig entspanntem Arm an und legte erst im allerletzten Moment seine ganze Kraft in den Hieb. Der Aufschlag hob Guillam vom Sitz, er schrie auf, und der Wagen schwang nach rechts. Fawn hatte einen Arm um Jerrys Hals geschlungen und versuchte mit der anderen Hand, Jerrys Kopf darüberzubiegen, womit er ihn zweifellos getötet hätte. Aber in Sarratt wird ein Spezialschlag auf engstem Raum gelehrt, die sogenannte Tigerpranke, wobei man den Handballen von unten nach oben gegen die Luftröhre des Gegners sausen läßt, den Arm angewinkelt und die Finger straff nach hinten gereckt. Diesen Schlag führte Jerry jetzt, und Fawns Kopf fuhr mit solchem Schwung ins Rückfenster, daß die Sicherheitsscheibe sternförmig barst. Die beiden Amerikaner im Mercedes hielten die Blicke starr nach vorn gerichtet, als führen sie zu einem Staatsbegräbnis. Jerry überlegte, ob er Fawns Luftröhre mit Finger und Daumen abpressen sollte, aber es schien nicht nötig zu sein. Er schnappte sich seine Waffe aus Fawns Hosenbund und öffnete die rechte Tür. Guillam warf sich verzweifelt auf ihn und riß den Ärmel seines getreuen, aber sehr alten blauen Anzugs bis zum Ellbogen auf. Jerry hieb ihn mit der Pistole auf den Arm und sah, wie sich sein Gesicht vor Schmerz verzerrte. Fawn kriegte ein Bein durch die Tür, aber Jerry schmetterte sie mit aller Kraft zu und hörte ihn nochmals »Dreckschwein«! schreien, und danach rannte er einfach zurück in Richtung Stadt, gegen den Strom der Fahrzeuge. Er sprang und schlängelte sich zwischen den eingepferchten Wagen hindurch, schoß aus dem Tunnel und den Hügel hinauf, bis er zu dem kleinen Schilderhäuschen kam. Er glaubte, Guillam schreien zu hören. Er glaubte, einen Schuß zu hören, aber es konnte auch eine Fehlzündung gewesen sein. Seine Leiste schmerzte unwahrscheinlich, aber es war, als beschleunigte der Schmerz sein Tempo. Ein Polizist schrie vom Straßenrand herüber, ein anderer breitete die Arme aus, aber Jerry fegte ihn beiseite, und sie gewährten ihm die Narrenfreiheit des Rundauges. Er rannte, bis er ein Taxi fand. Der Fahrer konnte nicht Englisch, und er mußte ihm den Weg weisen: »Genau, altes Haus. Dort rauf. Links, du verdammter Idiot. Genau . . .« Bis sie bei ihrem Häuserblock ankamen.

Er wußte nicht, ob Smiley und Collins noch in der Wohnung waren oder ob Ko inzwischen aufgekreuzt war, womöglich mit Tiu, aber zu Rätselspielen war sehr wenig Zeit. Er klingelte nicht an der Tür, denn er wußte, daß die Mikrophone das Klingeln aufnehmen würden. Statt dessen fischte er eine Karte aus der Brieftasche, kritzelte etwas darauf, schob sie durch den Briefschlitz und wartete kauernd, zitternd und schwitzend wie ein Karrengaul, während er auf ihre Schritte lauschte und die Hände auf die Leisten preßte. Er wartete eine Ewigkeit, dann öffnete sich endlich die Tür, und sie stand vor ihm und starrte ihn an, während er versuchte, sich aufzurichten.

»Mein Gott, Sir Galahad«, flüsterte sie. Sie trug kein Make-up, und Ricardos Krallenspuren waren tief und rot. Sie weinte nicht; er glaubte nicht, daß sie je weinte, aber ihr Gesicht wirkte älter als alles übrige an ihr. Ehe er etwas sagte, schob er sie in den Korridor, und sie leistete keinen Widerstand. Er wies zur Tür, die auf die Feuertreppe führte.

»Wir treffen uns draußen in genau fünf Sekunden, verstanden?

Keine Telefonanrufe, keinen Krach beim Weggehen, und keine blöden Fragen. Warm anziehen. Los jetzt, altes Haus. Nicht gefackelt. Bitte.«

Sie blickte ihn an, seinen zerfetzten Ärmel, das schweißnasse Jackett, die Haarsträhne, die ihm übers Auge hing. »Die Wahl heißt: mich oder gar nichts«, sagte er. »Und glaub mir, es ist ein riesengroßes Garnichts.«

Sie tastete allein in die Wohnung zurück und ließ die Tür offen, kam blitzschnell wieder und verschloß zur Sicherheit nicht einmal die Tür. Auf der Feuerleiter kletterte er voran. Sie hatte eine Schultertasche umgehängt und trug einen Ledermantel. Sie hatte ihm eine Strickweste mitgebracht, vermutlich Drakes Weste, denn sie war ihm viel zu klein, aber er zwängte sich trotzdem hinein. Er leerte den Inhalt seiner Jackentaschen in ihre Handtasche und stopfte die Jacke in den Müllschlucker. Sie folgte ihm so lautlos, daß er sich zweimal umsah, ob sie überhaupt noch da war. Als sie im Erdgeschoß angelangt waren, lugte er durch das Drahtglasfenster und zog seinen Kopf gerade noch rechtzeitig zurück, als er den Rocker höchstpersönlich, begleitet von einem bleichen Untergebenen, auf die Portiersloge zumarschieren und seinen Polizeiausweis vorzeigen sah. Jerry und das Mädchen stiegen weiter abwärts bis zur Tiefgarage, und Lizzie sagte: »Nehmen wir das rote Kanu.«

»Rede doch keinen Blödsinn, wir haben es in der Stadt stehenlassen.«

Köpf schüttelnd führte er sie an den Wagen vorbei in ein schmutziges, nicht überdachtes Gelände voller Abfall und Bauschutt, das dem Hinterhof des Circus glich. Von dort führte zwischen triefnassen Betonwänden eine steile Treppe hinab zur Stadt, von schwarzen Ästen überhangen und von der gewundenen Fahrstraße immer wieder unterbrochen. Die Erschütterung des Treppablaufens verursachte heftigen Schmerz in seinen Leisten. Als sie das erstemal an die Fahrstraße kamen, führte Jerry das Mädchen stracks hinüber. Beim zweitenmal sahen sie in der Ferne das blutrote Blitzen eines Warnlichts, und er zog sie unter die Bäume, aus dem Scheinwerferkegel eines Polizeiwagens, der mit Höchstgeschwindigkeit bergab heulte. An der Unterführung fanden sie einen pak-pai, und Jerry gab ihm die Adresse an. »Wo zum Teufel ist das?« fragte Lizzie.

»Irgendwo, wo man sich nicht eintragen muß«, sagte Jerry. »Halt den Mund und laß mich den Pascha spielen, ja? Wieviel Geld hast du dabei?«