»Herrje«, erklärte sie anerkennend. »Die ist wirklich im siebenten Himmel!« Der Schrei wiederholte sich. »Ach! War nur Mache!« Stille.
»Bist du wach?« fragte sie.
»Ja.«
»Was willst du jetzt machen?
»Morgen?«
»Ja.«
»Ich weiß nicht«, sagte er.
»Herzlich willkommen im Club«, sagte sie.
Ich muß neue Instruktionen von Sarratt kriegen. Unbedingt, dachte er. Einen Kassiberanruf bei Old Craw, dachte er. Den lieben alten George um einen seiner philosophischen Winke bitten, die er in letzter Zeit so gern spendiert. Er muß in der Nähe sein.
Irgendwo.
Smiley war in der Nähe, aber zu diesem Zeitpunkt hätte er Jerry überhaupt keine Hilfe zuteil werden lassen können. Er würde sein ganzes Wissen für ein bißchen Verständnis eingetauscht haben.
Die Isolierstation kannte keine Nacht, sie lagen oder lungerten unter dem Tageslicht des durchbrochenen Plafonds, die drei Vettern und Sam auf der einen Seite des Raums, Smiley und Guillam auf der anderen, und Fawn schritt unermüdlich die Reihe der Kinositze ab, ein Gefangener, der vor Wut beinah platzte, und preßte in jeder der winzigen Fäuste etwas, das wie ein Tennisball aussah. Seine Lippen waren schwarz und verschwollen, ein Auge war geschlossen. Unter seiner Nase hielt sich hartnäckig ein Blutgerinsel. Guillam trug den rechten Arm bis zur Schulter bandagiert und ließ kein Auge von Smiley. Auch die Blicke aller anderen waren auf Smiley gerichtet, aller, außer Fawn. Ein Telefon klingelte, aber es war der Nachrichtenraum im Oberstock, der meldete, daß Jerrys Spur mit Sicherheit bis Vientiane verfolgt werden konnte.
»Sagen Sie ihnen, die Fährte ist kalt, Murphy«, befahl Martello und hielt dabei den Blick auf Smiley gerichtet. »Sagen Sie ihnen irgendwas. Aber schaffen Sie uns die Bande vom Hals. Recht so, George?« Smiley nickte.
»Recht so«, sagte Guillam energisch an seiner Stelle. »Die Fährte ist kalt, honey«, echote Murphy ins Telefon. Das honey war eine Überraschung. Murphy hatte bislang keinerlei Symptome menschlicher Wärme gezeigt. »Wollen Sie zurückdrahten, oder muß ich es erledigen? Wir sind nicht interessiert, ja? Abblasen.« Er legte auf.
»Rockhurst hat ihren Wagen gefunden«, sagte Guillam zum zweitenmal, während Smiley unentwegt vor sich hinstarrte. »In einer Tiefgarage in Central. Ein Mietwagen steht auch drunten. Westerby hat ihn gemietet. Heute. Auf seinen Arbeitsnamen. George?«
Smiley nickte so schwach, als hätte er nur einen Anfall von Schläfrigkeit verscheuchen wollen.
»Wenigstens unternimmt er etwas, George«, sagte Martello anzüglich aus seiner Ecke, die er mit Collins und den schweigsamen Männern teilte. »Es heißt, wenn ein Elefant ausbricht, dann gibt's nur eins: hingehen und ihn erschießen.«
»Zuerst muß man ihn finden«, schnauzte Guillam, dessen Nerven am Zerreißen waren.
»Ich bin nicht einmal ganz sicher, ob George das möchte, Peter«, Martello war wieder in seinen onkelhaften Ton verfallen, »ich glaube, George sollte sich doch entschließen, der ernsten Gefährdung unseres gemeinsamen Unternehmens einige Aufmerksamkeit zu schenken.«
»Was sollte George denn tun, Ihrer Meinung nach?« konterte Guillam schroff. »Durch die Straßen laufen, bis er ihn zu fassen hat? Rockhurst veranlassen, Namen und Personenbeschreibung in Umlauf zu setzen, damit jeder Journalist in der ganzen Stadt erfährt, daß nach ihm gefahndet wird?«
Neben Guillam hockte Smiley gebückt und kraftlos wie ein alter Mann.
»Westerby ist ein Profi«, fuhr Guillam fort. »Er ist kein geborener Außenmann, aber er ist gut. Er kann sich in einer Stadt wie dieser monatelang versteckt halten, ohne daß Rockhurst davon Wind bekommt.«
»Auch mit dem Mädchen im Schlepptau?« sagte Murphy. Trotz des bandagierten Arms beugte Guillam sich zu Smiley hinüber.
»Es ist Ihre Operation«, drängte er flüsternd. »Wenn Sie sagen, wir müssen warten, dann warten wir. Aber geben Sie den Befehl.
Diese Burschen da lauern doch nur auf einen Vorwand, das Steuer zu übernehmen. Alles, nur kein Vakuum. Alles.«
Fawn, der vor den Kinositzen auf und ab wanderte, ließ ein sarkastisches Murmeln hören.
»Reden, reden, reden. Mehr ist nicht drin.«
Martello probierte es nochmals.
»George. Ist diese Insel nun britisch oder nicht? Ihr könnt doch diese Stadt jederzeit um- und -umkehren.« Er wies auf eine fensterlose Wand. »Da draußen ist ein Mann - Ihr Mann -, der offenbar entschlossen ist, Amok zu laufen. Nelson Ko ist der größte Fisch, den Sie oder ich jemals an Land ziehen können. Der größte in meiner ganzen Laufbahn, und, da wette ich um meine Frau, meine Großmutter und meine Plantage, sogar auch in der Ihrigen.«
»Keine Gegenwetten«, sagte Sam Collins, der Spieler, und grinste. Martello ließ nicht locker.
»Sollen wir uns von ihm die Beute abjagen lassen, George, während wir hier herumsitzen und darüber brüten, wieso Christus an Weihnachten zur Welt kam und nicht am sechsundzwanzigsten oder siebenundzwanzigsten Dezember?«
Endlich linste Smiley hinüber zu Martello, dann zu Guillam hinauf, der stocksteif neben ihm stand und die Schultern zurücknahm, um die Armschlinge zu straffen, und schließlich blickte er hinab auf seine ineinander verkrampften Hände, und während einer Zeitspanne, die nicht meßbar war, prüfte er sich im Geist und überdachte seine Suche nach Karla, den Ann seinen schwarzen Gral nannte. Er dachte an Ann und wie sie ihn wiederholt betrogen hatte auf der Suche nach ihrem eigenen Gral, den sie Liebe nannte. Er entsann sich, wie er, wider besseres Wissen versucht hatte, ihren Glauben zu teilen, ihn wie ein wahrer Gläubiger' mit jedem Tag zu erneuern, trotz ihrer anarchischen Auslegung seiner Bedeutung. Er dachte an Haydon, den Karla auf Ann angesetzt hatte. Er dachte an Jerry und das Mädchen, und er dachte an Peter Worthington, den Ehemann, und an den Hundeblick der Zusammengehörigkeit, den Worthington auf ihn gerichtet hatte, als er ihn in seinem Reihenhaus in Islington aufsuchte: »Du und ich, wir gehören zu denen, die man zurückläßt«, lautete die Botschaft.
Er dachte an Jerrys andere Liebesversuche auf seinen ungeraden Pfaden, an die halbbezahlten Rechnungen, die der Circus für ihn beglichen hatte, und es wäre naheliegend gewesen, Lizzie als eine von vielen abzutun, aber das konnte er nicht. Er war nicht Sam Collins, und er zweifelte keine Sekunde daran, daß in diesem Augenblick Jerrys Gefühle für das Mädchen eine Sache seien, für die Ann wärmstens eingetreten wäre. Aber er war auch nicht Ann. Dennoch fragte er sich einen schmerzhaften Moment lang, während er noch immer dasaß, von Unentschlossenheit gelähmt, ob Ann nicht recht habe damit, daß sein eigenes Streben nichts anderes mehr sei als ein privates Abenteuer inmitten der Chimären und Schreckgestalten seiner eigenen Unzulänglichkeit, in das er schlichte Gemüter wie Jerry bedenkenlos hineinzog. Sie haben unrecht, altes Haus. Weiß nicht wie, weiß nicht warum, aber Sie haben unrecht.
Allein deshalb, weil ich unrecht habe, hatte er einmal im Verlauf eines ihrer endlosen Streitgespräche zu Ann gesagt, hast du noch lange nicht recht.
Wieder hörte er Martello sprechen, diesmal in der Gegenwartsform.
»George, einige Leute warten mit offenen Armen auf das, was wir ihnen geben können. Was Nelson ihnen geben kann.«