Bland, de Silsky und Kaspar bewarben sich um Wiedereinstellung. Sie beriefen sich darauf, daß der kleine Toby Esterhase, der Ungar, habe zurückkommen dürfen, und verlangten die gleiche Behandlung, aber vergebens. Sie wurden abschlägig beschieden und nie wieder erwähnt. Unrecht zu Unrecht. Wenn sie auch leicht lädiert waren, so hätten sie doch nützlich sein können, aber Smiley wollte ihre Namen nicht mehr hören; nicht damals, nicht später, nie mehr. Das war der absolute Tiefpunkt dieser Zeit unmittelbar nach dem Sündenfall. Ein paar Leute - sowohl innerhalb wie außerhalb des Circus - glaubten aufrichtig, den letzten Schlag des geheimen Herzens Englands gehört zu haben. Doch ein paar Tage nach dieser Katastrophe bescherte das Glück Smiley einen kleinen Trost. In Warschau fing ein flüchtiger Spitzenagent des Circus am hellichten Tag das BBC-Signal auf und marschierte schnurstracks in die britische Botschaft. Dank vereinten und beharrlichen Antichambrierens sowohl Lacons wie Smileys wurde er trotz Martindales Widerstand noch in der gleichen Nacht, als diplomatischer Kurier getarnt, nach London heimgeflogen. Da Smiley seiner Tarngeschichte mißtraute, reichte er den Mann an die Inquisitoren des Circus weiter, die ihn, mangels anderer Opfer, fast zu Tode brachten, ihn danach jedoch als sauber bezeichneten. Er wurde in Australien aufs neue eingesetzt.
Anschließend war Smiley, dessen Herrschaft noch immer im Anfangsstadium steckte, gezwungen, sich die verbrannten Stützpunkte des Circus innerhalb des Landes vorzunehmen. Am liebsten hätte er alles abgeschrieben: die sicheren Häuser, die jetzt total unsicher waren; die Nursery in Sarratt, wo traditionsgemäß die Instruktion und Ausbildung von Agenten und Neulingen stattfand; die Audio-Versuchslabors in Harlow, die Bombenbastler- und Knallerschule in Argyll; die Matrosenschule in der Bucht von Heiford, wo abgemusterte Seeleute die schwarzen Künste der Kleinstfahrzeug-Schiffahrt zelebrierten wie das Ritual einer untergegangenen Religion; und die Funkstelle für Fernverkehr in Canterbury. Er hätte sogar das Hauptquartier der Stöpsler in Bath aufgelöst, wo nach wie vor die Codes geknackt wurden. »Weg mit dem Ganzen«, sagte er zu Lacon, den er in seinem Büro aufgesucht hatte.
»Und was dann?« fragte Lacon, verwundert über Smileys Heftigkeit, die seit dem Sochi-Fehlschlag an ihm auffiel.
»Neu anfangen.«
»Verstehe«, sagte Lacon, was natürlich bedeutete, daß er nicht verstand. Lacon hatte Zahlenaufstellungen des Schatzamtes vor sich liegen und studierte sie, während er sprach. »Die Nursery in Sarratt wird aus irgendeinem mir nicht zugänglichen Grund im Militärhaushalt geführt«, bemerkte er nachdenklich. »Nicht etwa in Ihrem Reptilienfonds. Das Foreign Office kommt für Harlow auf - und hat das bestimmt längst vergessen -, Argyll ist unter den Fittichen des Verteidigungsministeriums, das höchstwahrscheinlich nicht von der Existenz dieser Einrichtung weiß, das Postministerium hat Canterbury, und die Navy hat Heiford. Bath wird, wie ich mich freue sagen zu können, gleichfalls aus Geldern des Foreign Office unterhalten, laut eigenhändiger Unterschrift von Martindale, es kam vor sechs Jahren dazu und ist inzwischen auch in Vergessenheit geraten. Also tut uns das alles nicht weh, oder?«
»Es sind nutzlose Anhängsel«, sagte Smiley eigensinnig. »Und solange diese Einrichtungen bestehen, können wir sie nicht durch neue ersetzen. Sarratt ist schon lange zum Teufel, Heiford liegt in den letzten Zügen, Argyll ist nur noch ein Witz. Und was die Stöpsler angeht, so haben sie die letzten fünf Jahre praktisch hauptamtlich für Karla gearbeitet.«
»Mit Karla meinen Sie die Moskauer Zentrale?«
»Ich meine die Abteilung, die zuständig war für Haydon und ein halbes Dutzend -«
»Ich weiß, was Sie meinen. Aber ich finde es sicherer, wenn wir bei den Einrichtungen bleiben, Sie nicht auch? Dadurch ersparen wir uns die Peinlichkeit, Namen zu nennen. Dazu sind Einrichtungen schließlich da, wie?« Lacon stieß das Bleistiftende rhythmisch auf den Schreibtisch. Endlich blickte er auf und sah Smiley neckisch an. »Schön, schön, Sie sind im Moment der große Neuerer, George. Ich darf gar nicht daran denken, was passierte, wenn Sie jemals die Säge an meinen Ast ansetzen würden. Diese Außenstellen sind mündelsichere Aktien. Wenn Sie sich jetzt davon trennen, sehen Sie keine einzige mehr wieder. Später, wenn alles wieder läuft, können Sie sie abstoßen und sich etwas Besseres kaufen. Man soll nie verkaufen, wenn die Börse schlecht steht. Man wartet, bis man Gewinn mitnehmen kann.« Widerstrebend fügte Smiley sich seinem Rat. Als wären's der Schwierigkeiten noch nicht genug, kam der schwarze Montag, an dem eine Rechnungsprüfung im Schatzamt auf erhebliche Diskrepanzen in der Verwaltung des Reptilienfonds des Circus während der fünf Jahre stieß, ehe der Fonds nach dem Sündenfall eingefroren wurde. Smiley war gezwungen, ein Femegericht abzuhalten, bei dem ein älterer Buchhalter der Finanzabteilung, den man aus dem Ruhestand aufgescheucht hatte, zusammenbrach und eine schändliche Leidenschaft für ein Mädchen aus der Registratur gestand, das ihn an der Nase herumgeführt hatte. In einem grausigen Anfall von Reue ging der alte Mann heim und erhängte sich. Gegen Guillams dringendes Zureden ließ Smiley es sich nicht nehmen, der Bestattung beizuwohnen.
Dennoch ist es verbürgte Tatsache, daß George Smiley bereits in der Zeit dieser betrüblichen Anfänge, in seinen allerersten Wochen im Amt zum Angriff überging.
Die Basis, von der aus dieser Angriff geführt wurde, war zuvörderst philosophischer, zum zweiten theoretischer und erst in letzter Linie und dank dem dramatischen Auftreten des unschlagbaren Glücksspielers Sam Collins menschlicher Natur. Die Philosophie war einfach. Die Aufgabe eines Geheimdienstes, verkündete Smiley energisch, bestehe nicht darin, Haschen zu spielen, sondern seinen Kunden geheime Informationen zu liefern. Versäumte er diese Aufgabe, so würden sich seine Kunden an andere, weniger korrekte Verkäufer wenden oder, was noch schlimmer sei, zu amateurhafter Selbsthilfe greifen. Und der Geheimdienst würde an Schwindsucht eingehen. Nicht auf den Whitehall-Märkten vertreten sein hieß nicht gefragt sein, fuhr er fort. Schlimmer: wenn der Circus nichts produzierte, würde er auch keine Waren für den Tauschhandel mit den Vettern oder anderen Schwesterorganisationen in der Hand haben, mit denen von alters her solche Geschäfte getätigt wurden. Wer nicht produzierte, konnte nicht handeln, und wer nicht handeln konnte, war tot.
Amen, sagten sie.
Seine Theorie - er nannte sie seine Prämisse - über die Produktion von Geheimnachrichten ohne Nachrichtenquellen war Gegenstand einer zwanglosen Zusammenkunft in der Rumpelkammer, keine zwei Monate nach seinem Amtsantritt, zwischen ihm und dem winzigen inneren Kreis, der bis zu einem gewissen Punkt sein Vertrauen genoß. Insgesamt waren sie fünf: Smiley selbst, Peter Guillam, sein Schildknappe; die dicke wallende Moskau-Tante Connie Sachs; Fawn, das finsterblickende Faktotum in schwarzen Turnschuhen, das den russischen Kupfersamowar betreute und Kekse ausgab; und schließlich Doc di Salis, genannt der Tolle Jesuit, oberster China-Onkel des Circus. Als es Gott gelungen war, Connie Sachs zu erschaffen, so sagten die Lästerzungen, habe er eine Pause nötig gehabt, also pfuschte er aus den Resten rasch Doc di Salis zusammen. Der Doc war ein struppiges schmuddeliges Männchen, eher eine Karikatur Connies als ihr Pendent, er wirkte tatsächlich von dem borstigen Silberhaar, das ihm über den unsauberen Kragen hing, bis zu den feuchten mißgestalteten Fingerspitzen, die wie Hühnerschnäbel nach allem hackten, ganz eindeutig verformt. Hätte Beardsley ihn gezeichnet, er hätte ihn zottig und in Ketten dargestellt, wie er hinter Connies gewaltigem Kaftan hervorlugte. Trotzdem war di Sallis ein Orientalist von Graden, ein Gelehrter und sogar so etwas wie ein Held, denn er hatte einen Teil des Krieges in China verbracht, wo er für Gott und den Circus warb, und einen weiteren Teil im Gefängnis von Tschangi, um den Japanern eine Freude zu machen. Das also war das Team: der Fünfer-Club. Mit der Zeit vergrößerte er sich, aber diese ersten fünf bildeten den berühmten Kern, und einer von ihnen gewesen zu sein war, wie di Salis sagte, »als hätte man einen K.P.-Parteiausweis mit einer einstelligen Mitgliedsnummer«. Zunächst inspizierte Smiley das Wrack, und das nahm einige Zeit in Anspruch, genau wie das Plündern einer Stadt oder die Liquidierung zahlreicher Personen einige Zeit in Anspruch nimmt. Er fuhr einfach durch jede obskure Hintergasse, die dem Circus gehörte, und machte schonungslos deutlich, wie, durch welche Methode und oft auch genau wann Haydon ihre Geheimnisse seinen sowjetischen Herren und Meistern offenbart hatte. Natürlich kam ihm dabei sein Verhör Haydons zustatten sowie die Recherchen, die ihn ursprünglich auf Haydons Fährte geführt hatten. Er kannte den Parcours. Dennoch war die Zusammenfassung seiner Rede ein tour de force destruktiver Analyse. »Also, keine Illusionen«, endete er bündig. »Diese Dienststelle wird nie wieder das gleiche sein wie vordem. Sie kann besser werden, auf jeden Fall aber wird sie anders.« Amen, sagten sie wiederum und nutzten die Pause, um betrübt die Beine zu strecken.