Sehr langsam lehnte er sich in der klassischen Position des Außenfeldspielers nach hinten, hob den linken Ellbogen nach vorn, krümmte den rechten Arm nach hinten und holte zum Wurf aus. Eine Brandungswelle überschlug sich, er hörte das Scharren der Gegenströmung, das Grollen, als sich die zweite Welle sammelte. Immer noch wartete er, den rechten Arm zurückgezogen, die Kiesel fest in der schwitzenden Hand. Dann, als die Welle ihren Höhepunkt erreichte, schleuderte er die Steine mit aller Kraft hoch die Klippe hinauf, ehe er sich tief zusammenkauerte und den Blick starr auf die beiden Zigaretten gerichtet hielt. Er wartete, hörte die Kiesel gegen den Felsen prasseln und dann wie einen Hagelschauer niederstürzen. Im nächsten Moment vernahm er Tius kurzen Fluch und sah eines der roten Pünktchen in die Luft fliegen, als Tiu aufsprang, das Maschinengewehr in den Händen, den Lauf zur Klippe gerichtet, den Rücken Jerry zugewandt. Drake kroch in Deckung.
Zuerst schlug Jerry Tiu die Pistole auf den Kopf, wobei er darauf achtete, die Finger am Abzug zu behalten, bann verpaßte er ihm mit aller Kraft der geballten Rechten einen Zwei-Knöchel-Schlag - Faust nach abwärts und dann drehen, wie sie in Sarratt sagten - und als Finale einen Schwinger. Als Tiu zu Boden ging, traf Jerry seinen Backenknochen mit dem vollen Schwung des nach vorn schießenden rechten Stiefels und hörte das Schnappen des Kiefers. Und als er sich bückte, um die M16 an sich zu reißen, hieb er den Kolben in Tius Nieren und dachte dabei zornerfüllt an Luke und an Frost, aber auch an Tius billigen Witz über Lizzie, daß sie nicht mehr wert sei als die Fahrt von Kaulun nach Hongkong. Herzliche Grüße vom Pferdeschreiber, dachte er.
Dann blickte er zu Drake hinüber, der ein paar Schritte nähergekommen war, aber noch immer nur einen schwarzen Schatten vor der See bildete: eine gebeugte Silhouette mit abstehenden Ohren, die unter dem Rand seiner komischen Baskenmütze hervorragten. Erneut war eine kräftige Brise aufgekommen, oder Jerry bemerkte sie erst jetzt. Sie rumorte in den Felsen hinter ihnen und ließ Drakes weite Hosen flattern. »Ist das Mr. Westerby, der englische Zeitungsmann?«fragte Ko in genau dem tiefen, barschen Tonfall wie in Happy Valley. »Eben dieser«, sagte Jerry.
»Sie sind ein sehr politischer Mann, Mr. Westerby. Was zum Teufel wollen Sie hier?«
Jerry mußte erst wieder zu Atem kommen und fühlte sich im Moment nicht sprechbereit.
»Mr. Ricardo erzählt meinen Leuten, Sie beabsichtigen, mich zu erpressen. Geht es Ihnen um Geld, Mr. Westerby?«
»Botschaft von Ihrem Mädchen«, sagte Jerry, weil er das Gefühl hatte, sich zuerst dieses Versprechen entledigen zu müssen. »Sie sagt, sie habe ihr Wort gehalten. Sie ist auf Ihrer Seite.«
»Ich habe keine Seite, Mr. Westerby. Ich bin eine Ein-Mann-Armee. Was wollen Sie? Mr. Marshall sagt meinen Leuten, Sie sind eine Art Held. Helden sind sehr politische Persönlichkeiten, Mr. Westerby. Ich habe nichts übrig für Helden.«
»Ich bin gekommen, um Sie zu warnen. Man hat es auf Nelson abgesehen. Sie dürfen ihn nicht nach Hongkong zurückbringen. Er ist von allen Seiten eingekreist. Die Pläne, die man mit ihm hat, werden ihm für den Rest seines Lebens reichen. Und Ihnen auch. Die Falle ist für Sie beide aufgestellt.«
»Was wollen Sie, Mr. Westerby?«
»Ein Abkommen.«
»Niemand will ein Abkommen. Jeder will nur eine Ware. Durch das Abkommen wollen sie die Ware kriegen. Was wollen Sie?« wiederholte Drake und hob befehlend die Stimme. »Bitte sagen Sie es mir.«
»Sie, Mr. Ko, haben sich für Ricardos Leben das Mädchen gekauft«, sagte Jerry. »Ich dachte, vielleicht könnte ich sie um den Preis von Nelsons Leben zurückkaufen. Ich werde an Ihrer Stelle mit den betreffenden Leuten sprechen. Ich weiß, was sie wollen. Es wird sich arrangieren lassen.«
Das ist der letzte Fuß, den ich in der letzten Tür habe, dachte er. »Ein politisches Arrangement, Mr. Westerby? Mit Ihren Leuten? Ich habe eine Menge politische Arrangements mit ihnen getroffen. Sie haben mir gesagt, Gott liebe die Kinder. Haben Sie schon einmal gesehen, daß Gott ein asiatisches Kind geliebt hätte, Mr. Westerby? Sie haben mir gesagt, Gott ist ein kweilo und seine Mutter hat gelbes Haar. Sie haben mir gesagt, Gott sei ein Mann des Friedens, aber ich habe einmal gelesen, daß es nirgends so viele Bürgerkriege gegeben hat wie im Reich Christi. Sie haben mir gesagt . . . «
»Ihr Bruder steht direkt hinter Ihnen, Mr. Ko.« Drake fuhr herum. Zu ihrer Linken, von Osten her, zuckelten ein Dutzend oder mehr Dschunken in ungeordneter Formation und unter vollen Segeln südwärts quer durch den Mondstreif. Ihre Lichter perlten im Wasser. Drake fiel auf die Knie und begann fieberhaft nach der Laterne zu tasten. Jerry fand den Dreifuß und klappte ihn auf. Drake stellte die Laterne darauf, aber seine Hände zitterten so heftig, daß Jerry ihm helfen mußte. Jerry ergriff die Kontaktschnüre, riß ein Streichholz an und befestigte die Kabel an den Batteriepolen. Sie standen nebeneinander und starrten beide hinaus aufs Meer. Drake ließ die Lampe einmal aufleuchten, dann nochmals, zuerst rot, dann grün.
»Warten Sie«, sagte Jerry leise. »Es ist noch zu früh. Ganz ruhig, oder Sie verpatzen alles.«
Er schob Ko sanft beiseite, bückte sich, um durch das Okular zu blicken und machte die eilige Reihe der Boote aus. »Welches?« fragte Jerry. »Das letzte«, sagte Ko.