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Jerry behielt die letzte Dschunke im Blickfeld, obwohl sie noch immer nur ein Schatten war, und signalisierte aufs neue, einmal rot, einmal grün, und Sekunden später hörte er Drake einen Freudenruf ausstoßen, als ein Antwortzeichen über das Wasser herüberflammte.

»Kann er sich danach orientieren?« sagte Jerry.

»Klar«, sagte Ko und ließ den Blick nicht von der See. »Klar. Er wird sich danach orientieren.«

»Dann lassen wir's jetzt. Nicht mehr blinken.«

Ko drehte sich zu ihm um, und Jerry sah die Erregung in seinen Zügen und fühlte sein Vertrauen.

»Mr. Westerby. Ich gebe Ihnen einen aufrichtigen Rat. Wenn Sie mich und meinen Bruder Nelson hereinlegen, dann ist Ihre Christenhölle ein sehr angenehmer Aufenthaltsort verglichen mit der, die meine Leute Ihnen bereiten würden. Aber wenn Sie mir helfen, gebe ich Ihnen alles. Das ist mein Vertrag, und ich habe nie im Leben einen Vertrag gebrochen. Auch mein Bruder hat gewisse Verträge geschlossen.« Er blickte aufs Meer hinaus. Die vorderen Dschunken waren außer Sicht. Nur die letzten sah man noch. Von weither glaubte Jerry das unregelmäßige Poltern eines Motors zu hören, aber er wußte, daß sein Denken gestreut war und es ebensogut das Donnern der Wogen sein konnte. Der Mond glitt hinter die Felsspitze, und der Schatten des Berges fiel wie eine schwarze Messerspitze auf das Meer, nur in der Ferne blieb noch ein silbriges Leuchten. Drake hatte sich zur Lampe niedergebeugt und stieß einen zweiten Jubelruf aus. »Hier! Hier! Sehen Sie, Mr. Westerby!« Durch das Okular konnte Jerry eine einzelne Geisterdschunke ausmachen, die, unbeleuchtet bis auf drei schwache Lampen, zwei grüne am Mast, eine rote steuerbords, auf sie zuhielt. Sie glitt aus dem Silber in die Schwärze, und er verlor sie aus den Augen. Hinter sich hörte er einen Schmerzenslaut von Tiu. Drake achtete nicht darauf, er preßte das Auge ans Okular und hielt einen Arm ausgestreckt wie ein Fotograf aus viktorianischer Zeit, während er leise Worte in chinesischer Sprache rief. Jerry rannte über den steinigen Strand, zog die Pistole aus Tius Gürtel, packte sich die M 16 auf, trug beides bis ans Wasser und schleuderte die Waffen hinein. Drake versuchte, das Lichtsignal zu wiederholen, konnte jedoch glücklicherweise den Knopf nicht finden, und Jerry kam gerade noch recht, um ihn zurückzuhalten. Wieder glaubte Jerry, ein Poltern zu hören, aber nicht von einem Motor, sondern von zweien. Er rannte hinaus bis zum Kap, blickte nach Norden und Süden auf der Suche nach einem Patrouillenboot, sah aber auch diesmal nichts, und wiederum gab er der Brandung und seiner überreizten Phantasie die Schuld. Die Dschunke war näher gekommen, lavierte auf die Insel zu, ihr braunes Segel, wie Fledermausflügel ausgebreitet, ragte plötzlich groß und schrecklich auffällig vor dem Himmel auf. Drake war ans Wasser gerannt und winkte und schrie übers Meer. »Nicht so laut!« zischte Jerry neben ihm. Aber Jerry war für Drake nicht mehr vorhanden. Drakes ganzes Leben gehörte Nelson. Aus dem Schutz des nahen Kaps taumelte Drakes Sampan hinüber zur schaukelnden Dschunke. Der Mond kam aus seinem Versteck, und einen Augenblick lang vergaß Jerry alle Ängste, als eine kleine graugekleidete Gestalt, kurz und stämmig, der Statur nach Drakes genaues Gegenteil, mit Kapokmantel und proletarischer Ballonmütze, sich über die Bordwand hinunterließ und in die wartenden Arme der Sampan-Besatzung sprang. Drake schrie wieder auf, die Dschunke blähte die Segel und glitt hinter das Kap, bis über den Felsen nur noch die grünen Lichter an den Toppen zu sehen waren, und dann verschwanden. Der Sampan steuerte auf die Bucht zu, und Jerry erkannte Nelsons gedrungene Erscheinung, als er im Bug stand und mit beiden Händen winkte, und Drake Ko, der mit seiner Baskenmütze wie ein Irrer am Ufer herumtanzte, winkte zurück. Das Motorengeräusch wurde ständig lauter, aber noch immer konnte Jerry seinen Ursprung nicht ausmachen. Das Meer war leer, und als er nach oben blickte, sah er nur die Hammerkopfklippe und ihren Gipfel schwarz vor den Sternen. Die Brüder hatten sich gefunden, sie stürzten einander in die Arme und verharrten engumschlungen, ohne sich zu bewegen. Jerry packte beide, versetzte jedem einen Stoß und schrie aus Leibeskräften: »Zurück ins Boot. Schnell!«

Aber sie sahen nur einander. Jerry rannte zum Wasser, zog den Bug des Sampan heran und hielt ihn fest. Er rief noch nach der beiden, als er den Himmel hinter dem Gipfel schon gelb und dann rasch immer heller werden sah, während das Motorengeräusch zu einem Brüllen anschwoll und drei gleißende Scheinwerfer aus schwarzbemalten Hubschraubern auf den Strand zielten. Die Felsen tanzten im Wirbel der Landescheinwerfer, das Meer furchte sich, Kiesel spritzten und flogen wie ein Schauer herum. Den Bruchteil einer Sekunde lang sah Jerry Drakes Gesicht sich hilfeflehend ihm zuwenden, als hätte er, viel zu spät, erkannt, wo die Hilfe lag. Er sagte etwas, aber der Lärm verschluckte seine Worte. Jerry stürzte vor. Nicht um Nelsons und noch weniger um Kos willen; sondern um dessentwillen, was die beiden miteinander verband und was ihn mit Lizzie verband. Aber lang ehe er sie erreichte, hatte sich ein dunkler Schwarm um die beiden Männer geschlossen, riß sie auseinander und schob Nelsons formlose Gestalt blitzschnell in den Frachtraum des Hubschraubers. Während des Überfalls hatte Jerry seine Waffe gezogen und hielt sie in der Hand. Er brüllte, konnte jedoch in den Hurrikanen des Kampfes nicht einmal seine eigene Stimme hören. Der Hubschrauber hob ab. Eine einzelne Gestalt blieb in der offenen Luke stehen und blickte hinunter, und vielleicht war es Fawn, denn er sah dunkel und irre aus. Dann fuhr ein orangefarbener Blitz aus der Lukenöffnung, dann ein zweiter und ein dritter, und danach hörte Jerry auf, mitzuzählen. In flammendem Zorn warf er die Hände in die Luft, sein offener Mund schrie noch immer, noch immer flehte schweigend sein Gesicht. Dann stürzte er und blieb liegen, bis kein Laut mehr zu hören war außer der Brandung, die an den Strand schlug, und Drake Kos hoffnungsloser, erstickter Klage gegen die siegreichen Armadas des Westens, die ihm seinen Bruder gestohlen haften und ihren hartbedrängten Krieger tot zu seinen Füßen liegen ließen.

 

Die Wiedergeburt

Der Circus geriet in einen wahren Siegestaumel, als von den Vettern die frohe Botschaft durchgegeben wurde. Nelson an Land gezogen, Nelson geschnappt, ohne daß ihm ein Haar gekrümmt wurde! Zwei Tage lang gingen wilde Spekulationen über Orden, Adelstitel und Beförderungen um. Jetzt müßten sie endlich irgendetwas für George tun, sie müßten einfach! Weit gefehlt, sagte Connie ätzend aus dem Abseits. Sie würden es George nie verzeihen, daß er die Scharte Bill Haydon ausgewetzt hatte. Auf die Euphorie folgte eine Zeit verwirrender Gerüchte. Connie und Doc di Salis zum Beispiel, die im »sicheren Haus« von Maresfield, jetzt mit dem Spitznamen »Delphinarium« belegt, wie auf glühenden Kohlen saßen, warteten eine volle Woche auf das Eintreffen ihres Opfers, und warteten vergebens. Vergebens warteten auch die Dolmetscher, Aufzeichner, Inquisitoren, Babysitter und Angehörigen zugeordneter Berufe, aus denen das Empfangs- und Befragungskomitee bestand. Das Treffen sei ins Wasser gefallen, sagten die Housekeepers. Es werde ein neues Datum festgesetzt. Nur Geduld, sagten sie. Aber bald darauf meldete eine Quelle bei der Immobilienfirma in der benachbarten Stadt Uckfield, daß die Housekeepers versuchten, aus dem Pachtvertrag auszusteigen. Und tatsächlich wurde das Team eine Woche später »bis auf weiteres« aufgelöst. Es trat nie wieder zusammen.

Als nächstes sickerte durch, daß Enderby und Martello gemeinsam - allein schon die Kombination schien befremdlich - einem anglo-amerikanischen Arbeitsausschuß vorstehen sollten. Der Ausschuß würde abwechselnd in Washington und London tagen und für die paritätische Verteilung des Delphin-Produktes, Codename CA VI AR, auf beide Seiten des Atlantik sorgen. Rein zufällig kam heraus, daß Nelson in die Vereinigten Staaten verbracht worden sei, in einen befestigten Bau in Philadelphia, den man schon vor einiger Zeit für ihn vorbereitet habe. Die Erklärung hierfür ließ sogar noch länger auf sich warten. Man habe das Gefühl - man war vermutlich eine bestimmte Person, aber Gefühle sind durch so viele Korridore schwer zu verfolgen -, Nelson werde dort sicherer aufgehoben sein. Körperlich sicherer. Denkt nur an die Russen. Denkt an die Chinesen. Außerdem, betonten die Housekeepers, hätten die Verarbeitungs- und Auswertungsstellen der Vettern weit günstigere Voraussetzungen, um den erwarteten, noch nie dagewesenen Materialanfall zu bewältigen. Außerdem, sagten sie, könnten sich die Vettern die horrenden Ausgaben leisten. Außerdem -