Auch als Enderby Smiley anvertraute, daß er Sam Collins als Leiter von London Station vorschlagen wolle, zeigte Smiley ausschließlich höfliches Interesse. Sam sei ungemein rührig, erklärte Enderby, und Rührigkeit sei im Moment in Langley hoch im Kurs. Mit vornehmer Zurückhaltung sei kein Blumentopf mehr zu gewinnen. »Bestimmt nicht«, sagte Smiley.
Bade Männer stimmten darin überein, daß Roddy Martindale trotz seines enormen Unterhaltungswerts nicht für diesen Posten geeignet sei. Der alte Roddy sei einfach zu schwul, sagte Enderby, und der Minister habe einen wahren Horror vor ihm. Auch kam er nicht gerade glänzend bei den Amerikanern an, nicht einmal bei denen, die zufällig seine Neigungen teilten. Überdies hegte Enderby leise Bedenken, noch mehr ehemalige Eton-Schüler zu berufen. Könnte einen falschen Eindruck machen. Eine Woche später schlossen die Housekeepers Sams altes Büro in der fünften Etage wieder auf und entfernten das Mobiliar. Collins' Geist habe endlich seine Rühe gefunden, sagten gewisse vorlaute Stimmen genüßlich. Am Montag indes trafen ein imposanter Schreibtisch mit rotem Lederbezug sowie mehrere Imitationen von Jagdstichen ein, die einst die Wände von Sams Club geziert hatten. Was den Club selbst betraf, so war bereits seine Übernahme durch eines der größeren Glücksspielsyndikate in die Wege geleitet, zur Zufriedenheit sämtlicher Parteien. Der kleine Fawn wurde nie wieder gesehen. Auch dann nicht, als mehrere der mehr muskelbetonten Londoner Außenstellen wieder zum Leben erweckt wurden, einschließlich der Skalpjäger in Brixton, denen Fawn dereinst angehört hatte, und der Pfadfinder in Acton unter Toby Esterhase. Aber niemand vermißte ihn. Ähnlich wie Sam Collins war er über die Bühne gegeistert, ohne eigentlich eine Rolle im Spiel zu haben. Aber zum Unterschied von Sam verschwand er in den Kulissen, um nie mehr aufzutauchen.
So fiel Sam Collins also an seinem ersten Tag im neuen Amt die Aufgabe zu, die traurige Nachricht von Jerrys Tod bekanntzugeben. Er tat es in der Rumpelkammer, in Form einer kurzen unsentimentalen Rede, und alle fanden, er habe es gut gemacht. Sie hätten es ihm gar nicht zugetraut.
»Nur für die Ohren der fünften Etage«, hatte er gesagt. Seine Zuhörer waren tief betroffen, dann stolz. Connie weinte und versuchte, Jerry als eines von Karlas zahlreichen Opfern hinzustellen, was jedoch schwerhielt, denn es war nicht zu erfahren, wer oder was ihn getötet hatte. Es sei im Zuge des Einsatzes gewesen, hieß es, und ehrenvoll.
Drüben in Hongkong zeigte der »Auslandskorrespondenten-Club« sich zunächst sehr besorgt um die Geschicke seiner vermißten Kinder Luke und Westerby. Dank unermüdlicher Vorsprachen seiner Mitglieder wurde eine regelrechte geheime Sonderkommission unter Vorsitz des umsichtigen Superintendent Rockhurst eingesetzt, die das Doppelrätsel ihres Verschwindens klären sollte. Die Behörden sagten vollständige Veröffentlichung aller Resultate zu, und der Generalkonsul der Vereinigten Staaten von Amerika setzte eine Belohnung von fünftausend Dollar aus seiner eigenen Schatulle für jeden aus, der brauchbare Informationen liefern würde. Als ritterliche Geste gegenüber der Kolonie schloß er Jerry Westerbys Namen in dieses Anerbieten ein. Die beiden Männer wurden als Die Vermißten Reporter bekannt, und alsbald verbreiteten sich Andeutungen einer schimpflichen Verbindung zwischen ihnen. Lukes Büro legte nochmals fünftausend Dollar zu, und der Zwerg, obzwar untröstlich, bewarb sich allen Ernstes um die Gesamtsumme. Schließlich hatte er, dank unermüdlicher Zweifronten-Arbeit, von Deathwish erfahren, daß die Wohnung an der Cloudview Road, die Luke zuletzt benutzt hatte, vom Fußboden bis zur Decke renoviert wurde, ehe die scharfäugigen Fahnder des Rocker dazu kamen, sie zu durchsuchen. Wer hatte das angeordnet? Wer hatte das bezahlt? Niemand wußte es. Der Zwerg hatte auch aus erster Hand Berichte gesammelt, wonach Jerry am Flugplatz von Kai Tak einen japanischen Touristenschwarm interviewt hatte. Aber die Sonderkommission des Superintendent sah sich gezwungen, diese Informationen zurückzuweisen. Die besagten Japaner seien willige, aber unzuverlässige Zeugen gewesen, als es darauf ankam, einen Europäer zu identifizieren, der nach einer langen Reise so einfach über sie hergefallen sei. Und was Luke anging: nun ja, so wie er es getrieben habe, hieß es, habe es mit ihm auf jeden Fall ein übles Ende nehmen müssen. Die Wissenden sprachen von Gedächtnisverlust, verursacht vom Alkohol und Ausschweifung. Nach einer Weile wurden auch die besten Storys kalt. Gerüchte gingen um, die beiden Männer seien während des Falls von Hue - oder war es Da Nang? - in Saigon gesehen worden, wo sie gemeinsam gejagt und getrunken hätten. Dann wieder hätten sie angeblich Seite an Seite am Strand von Manila gesessen. »Und Händchen gehalten?« fragte der Zwerg. »Schlimmeres«, lautete die Antwort.
Der Name des Rocker war außerdem in aller Munde, dank seines Erfolges bei einem spektakulären Rauschgiftprozeß, der mit Hilfe des amerikanischen Drogenbekämpfung unlängst über die Bühne gegangen war. Mehrere Chinesen und eine betörend schöne englische Abenteurerin, Heroinschmugglerin, waren die Hauptangeklagten. Der große Boß konnte zwar, wie üblich, nicht vor Gericht gestellt werden, jedoch wäre es dem Rocker, wie es hieß, um Haaresbreite gelungen, ihn festzunageln. »Unser rauher, aber redlicher Retter in der Not«, schrieb die South China Morning Post in einem Leitartikel zum Lobe seiner Tüchtigkeit. »Hongkong könnte mehr Männer seines Schlages gebrauchen.« Weitere Zerstreuungen konnte der Club aus der dramatischen Wiedereröffnung von High Haven beziehen. Das Haus wurde jetzt von einem zwanzig Fuß hohen Drahtzaun umzogen, mit Flutlicht angestrahlt und durch Wachhunde gesichert. Aber es gab keine Einladungen zum Lunch mehr, und so hatte die Sache bald ihren Reiz verlören.
Was Old Craw anging, so wurde er monatelang nicht gesehen, und niemand sprach von ihm, bis er eines Abends wieder erschien, sehr gealtert und nüchtern gekleidet, sich in seine angestammte Ecke setzte und ins Leere starrte. Ein paar Leute waren noch da, die ihn kannten. Der kanadische Cowboy schlug eine Runde »Shanghai Bowling« vor, aber Craw lehnte ab. Darin geschah etwas Seltsames. Es kam zum Streit über einen albernen Punkt der Clubsatzung. Durchaus nichts Ernstes: nur ob man im Interesse des Clubs unbedingt die traditionelle Form der Bons für Speisen und Getränke beibehalten müsse. Eine Kleinigkeit. Aber aus irgendeinem Grund brachte sie den alten Knaben völlig aus dem Häuschen. Er stand auf, stapfte zu den Lifts, und die Tränen liefe i ihm übers Gesicht, während er die Clubmitglieder mit Beleidigungen überhäufte.
»Daß ihr mir nichts ändert!« drohte er und schüttelte wütend seinen Stock. »Du sollst nichts ändern an der alten Ordnung, laßt alles weiterlaufen, wie es ist. Ihr werdet das Rad nicht anhalten, nicht gemeinsam und nicht einzeln, ihr rotznäsigen, verschissenen Grünschnäbel! Sonst sägt ihr den Ast ab, auf dem ihr mit euern fetten Ärschen sitzt!«